Lothar Matthäus Kolumne nach dem Aus von Deutschland im EM-Viertelfinale gegen Spanien
"Gesellschaftlich sollte die Euro ein Vorbild für unser Land sein"
06.07.2024 | 17:21 Uhr
Lothar Matthäus blickt in seiner Kolumne auf das bittere deutsche EM-Aus. Der Sky Experte spricht dabei nicht nur über den nicht gegebenen Handelfmeter, sondern zieht auch ein Fazit und hofft, dass die Euro als Vorbild für die Gesellschaft wird.
Die Heim-Europameisterschaft endet für die deutsche Nationalmannschaft also leider schon im Viertelfinale gegen aus meiner Sicht starke Spanier. Es war ein ausgeglichenes und dramatisches Spiel. Beide Teams haben alles gegeben. Die deutsche Mannschaft ist an ihre Grenzen gegangen und hat alles versucht.
Teilweise war man vielleicht auch etwas überhastet. Es war ein Spiel auf Augenhöhe und am Ende muss halt einer gewinnen. Wir können auch nicht sagen, dass wir Pech hatten mit dem Gegentor in der 120. Minute, denn dann hatten wir ja auch Glück mit dem Ausgleich in der 90. Minute - auch wenn es absolut verdient war, dass wir das 1:1 gemacht haben.
Schuld nicht nur beim Schiedsrichter suchen
Der große Aufreger der Partie war natürlich der nicht gegebene Handelfmeter für Deutschland in der Verlängerung. Ich bin ehrlich: Ich habe gleich im ersten Moment ohne Zeitlupen und sonst etwas gesagt, dass er ein klarer Elfmeter ist. Der Arm war weg vom Körper und der Ball, der aufs Tor oder wahrscheinlich sogar ins Tor gegangen wäre, wird klar von der abgespreizten Hand aufgehalten. Allerdings habe ich gehört, dass es vor dieser Szene eine Abseitsstellung von Niclas Füllkrug gab und damit spielt die Hand-Szene mit Cucurella keine Rolle mehr.
Generell sollte man die Schuld aber nicht nur beim Schiedsrichter suchen, denn wir haben sicherlich auch Glück gehabt, dass beispielsweise Toni Kroos 120 Minuten auf dem Platz gestanden hat, denn Toni hat gestern sehr aggressiv gespielt. Der Schiedsrichter hat schon in der Anfangsphase nicht nur bei dem Foul gegen Pedri zwei Augen zugedrückt, als er eine Gelbe Karte hätte bekommen können oder vielleicht sogar müssen.
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Dann wäre er in bei seiner Verwarnung nach einer Stunde logischerweise vom Platz geflogen. Auch danach hat sich Kroos immer wieder Fouls geleistet, aber durfte weiterspielen - beispielsweise bei einer Szene kurz vor Schluss, als er einen Spanier an unserem Strafraum mit beiden Händen schubst und am Torschuss hindert. Der Unparteiische hat also auf beiden Seiten Fehler gemacht.
Euro als Vorbild für die Gesellschaft
Was für ein Fazit kann man jetzt für die Euro aus deutscher Sicht ziehen? Stimmungsmäßig und von der Atmosphäre her war das Turnier eine Eins mit Sternchen - ähnlich wie die WM 2006. Gesellschaftlich sollte die Europameisterschaft ein Vorbild für unser Land sein. Dieses Miteinander und die Freundlichkeit der Menschen waren herausragend und es wäre schön, wenn das nach dem Turnier in unserem Land so weitergeht.
Es ist eine positive Energie, die der Fußball transportiert hat. Das ist unserer Mannschaft und unseren Fans zu verdanken, aber auch den europäischen Gästen, die nach Deutschland gekommen sind. Egal ob es die Türken, die Georgier, Rumänen, Schotten oder Holländer waren. Eigentlich alle haben mit ihrer Atmosphäre zu dieser friedvoll-fantastischen Stimmung beigetragen und das ist der große Gewinner bei dieser EM - gerade in dieser Zeit, wo es an so vielen Grenzen Probleme gibt.
Sportlich kein überragendes Turnier
Und sportlich? Ich finde, wir haben insgesamt ein gutes, wenn auch kein überragendes Turnier gespielt. Das ist gar nicht böse gemeint. Man hat eine große Euphorie entfacht, aber für die Note Eins fehlt uns das Halbfinale und Finale oder auch die ein oder andere bessere Leistung in den Partien, die wir absolviert haben. Außer gegen Schottland haben wir kein sehr gutes Spiel gemacht. Gegen die Schweiz haben wir Mentalität gezeigt, hatten dann Schwierigkeiten mit den Dänen. Da gab es knappe Schiedsrichterentscheidungen für uns und gestern gegen Spanien nun gegen uns.
Insgesamt sehe ich uns aber dennoch auf einem guten Weg, auch im Hinblick auf die nächsten Turniere. Man braucht natürlich das Quäntchen Glück, denn wir sind sicher nicht vor den anderen Ländern. Aber das sind die Spanier - anders als vor zwölf oder 14 Jahren - auch nicht. Ich sehe derzeit keine dominante Mannschaft auf der Welt. Es wird im deutschen Team - wie nach jedem Turnier - Veränderungen geben, denn unter anderem hört mit Kroos ein ganz Großer und der erfolgreichste Deutsche überhaupt auf.
Kimmich kann Deutschlands Rodri werden
Möglicherweise wird es weitere Rücktritte geben, aber Deutschland gehört dennoch zu dem Kreis von rund acht Teams, die für den Titel in Frage kommen. Die große Frage ist für mich, wer die Rolle von Kroos übernimmt. Man hat bei den Spaniern mit einem überragenden Rodri gesehen, wie wichtig diese Position ist, auch wenn Toni sie im deutschen Team etwas anders interpretiert.
Für mich gibt es nur einen und das ist Joshua Kimmich. Er kann unser Rodri sein, wenn man ihm das Vertrauen schenkt. Er war für mich gegen Spanien auch als Rechtsverteidiger unser bester Mann, wäre im Mittelfeld für mich aber noch wertvoller.
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