GP gewonnen, WM verloren? Ferraris fataler Fehler
04.07.2022 | 10:49 Uhr
Ferrari feiert in Silverstone den Sieg von Carlos Sainz, der erstmals in seiner Karriere auf der obersten Stufe des Podiums steht. Doch diesen Erfolg hat die Scuderia Ferrari im Hinblick auf die WM und ihren Fahrer Nummer eins Charles Leclerc wohl teuer bezahlt. Erneut unterlief den Roten ein Strategiefehler.
Ein schockierender Unfall um den Chinesen Guanyu Zhou, zahlreiche heiße Rad-an-Rad-Duelle in der Endphase des Rennens und die ersten F1-Punkte für Mick Schumacher: Der Große Preis von Großbritannien in Silverstone hatte zahlreiche Geschichten und spektakuläre Szenen zu bieten. Die im Hinblick auf den Rennsieg entscheidende Szene ereignete sich aber in der 40. von 52 Runden auf dem Silverstone Circuit.
Nach einem technischen Defekt beim Alpine von Esteban Ocon musste das Safety Car auf die Strecke. Zu diesem Zeitpunkt führte Charles Leclerc im Ferrari den Grand Prix mit einem Vorsprung von 4,6 Sekunden auf seinen Teamkollegen Carlos Sainz an. Dahinter folgte Lewis Hamilton im Mercedes. Der WM-Führende Max Verstappen lag gleichzeitig nur auf Platz acht, sodass Leclerc beste Chancen besaß, seinen Rückstand in der WM-Wertung um ein großes Stück zu verringern.
Doch dann beging Ferrari - wie schon das eine oder andere Mal in dieser Saison - einen strategischen Fehler. Anstatt während der Safety-Car-Phase - in der man bei einem Boxenstopp anstatt der in Silverstone üblichen 19 Sekunden nur rund neun Sekunden verliert - Leclerc nochmals mit frischen soften Reifen auszustatten, beließ man ihn auf den gebrauchten harten Reifen. Teamkollege Sainz hingegen kam wie auch Verfolger Hamilton in die Box und holte sich die angesprochenen frischen weichen Reifen, mit denen in den letzten Runden nochmals richtig gepusht werden konnte.
Dies führte letztendlich soweit, dass Leclerc in der Schlussphase zwar Gegenwehr zeigte und keinen Meter Asphalt herschenkte, gegen die deutlich schnelleren Sainz, Perez und Hamilton (alle auf Soft) auf Sicht aber chancenlos war und nur Vierter wurde.
Platz vier statt Platz eins für Leclerc: Warum ging Ferrari so vor? Teamchef Mattia Binotto mit einem Erklärungsversuch am Mikrofon von Sky UK: "Wir dachten, wir hätten nicht genug Speed gehabt, um die Autos hinter uns zu halten. Daher mussten wir eine Entscheidung treffen zwischen dem ersten und zweiten Auto. Wir haben Charles dann draußen gelassen, da er zu diesem Zeitpunkt das Rennen anführte und nicht klar war, was danach passieren würde. Deshalb haben wir Carlos reingeholt, es war das einzige Auto, was wir reinholen konnten. Dann hatten wir gehofft, dass es auf dem Softreifen mehr Verschleiß geben würde. Aber das ist nicht passiert."
Doch Binotto hat in seiner Erklärung nicht gänzlich Recht. Klar, die 4,6 Sekunden zwischen den beiden Ferrari waren knapp. Da hätte bei einem Boxenstopp aber überhaupt nichts schief gehen dürfen, um beide Autos abzufrühstücken. Doch selbst wenn das der Fall gewesen wäre, wäre es mit einem doppelten Boxenstopp eng geworden. So weit kann Binotto zugestimmt werden.
Doch warum hat Ferrari nicht Leclerc anstatt Sainz in die Box geholt? In diesem Fall hätte Leclerc zwar seine Track Position und Führung verloren und wäre im schlimmsten Fall auf P3 zurückgefallen, doch er wäre im Anschluss auf frischen, schnellen Softreifen unterwegs gewesen. Und auch wenn Hamilton dann als Reaktion draußen geblieben wäre, hätte dann der Brite mit den alten harten Reifen Probleme bekommen. Hamilton und Sainz in den letzten gut zehn Runden zu überholen, wäre für Leclerc alle Mal drin gewesen.
Doch Ferrari hat sich bekanntlich anders entschieden - und damit Leclerc den möglichen Sieg gekostet. "Jetzt im Nachhinein wissen wir, dass es besser gewesen wäre mit dem Softreifen. Es war nicht die richtige Entscheidung. Das wissen wir aber jetzt erst im Nachhinein", gibt Binotto den Fehler zu.
Im Nachgang suchte er in der Box auch das Gespräch mit dem sichtlich enttäuschten Leclerc. "Ich habe ihm gesagt, dass ich seine Enttäuschung verstehe. Er hat ein super Rennen abgeliefert, hat ein super Start gezeigt und auf den harten Reifen gekämpft, als die anderen auf den soften Reifen waren. Es ist schwierig für ihn, glücklich zu sein, aber es ist wichtig, in einer solchen Situation ruhig zu bleiben." Doch im Wissen der verpassten Chance ist Leclercs Stimmung mehr als nachvollziehbar.
Auch die Konkurrenz von Red Bull zeigte sich ob der Strategie des Konkurrenten erstaunt. Teamchef Horner am Sky Mikrofon: "Das war eine eigenartige Entscheidung, da sie einen doppelten Stopp hätten machen können. Selbst wenn Lewis draußen geblieben wäre, hätten sie den besseren Reifen gehabt. Ich bin mir sicher, dass sie ihre Gründe gehabt haben. Es war ein aufregendes Rennen und erneut so eine Sache von Ferrari."
Und aus dieser ging Red Bull und vor allem Verstappen als Gewinner hervor. Der Weltmeister beschädigte sich seinen Unterboden bereits früh im Rennen, sodass er die restliche Renndistanz keine wirkliche Balance und enorme Abtriebprobleme hatte. Am Ende holte er mit Platz sieben das Maximum für sich heraus.
Das kann Leclerc nicht von sich behaupten. Dem Monegassen wurde durch die falsche strategische Entscheidung seines Teams die Chance auf den Sieg genommen. Anstatt 25 Punkte waren es am Ende nur zwölf. Sein Rückstand in der WM-Wertung auf Verstappen beträgt damit 43 Punkte. Es hätten nur noch 30 sein können.
Ferrari hat durch Sainz das Rennen zwar gewonnen, aber mit Blick auf die Fahrer-WM eine erneute Niederlage einstecken müssen. Wenn sich das mal am Ende nicht rächt ...
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