Datenklau vom Vettel-Team bei Red Bull? Status quo & Konsequenzen
21.05.2022 | 22:01 Uhr
Die Formel 1 beschäftigt derzeit ein heikles Thema - der mögliche Daten-Klau von Aston Martin bei Red Bull. Sky Sport blickt auf die wichtigsten Fragen und Antworten zu dieser Thematik.
Der GP von Spanien in Barcelona im ersten Saisondrittel wird von den Teams häufig dazu genutzt, um größere Update-Pakete an den Autos herauszubringen. So auch in diesem Jahr, in dem - bis auf den Rennstall Haas - alle Teams größere oder kleinere Modifikationen an den Boliden vorgenommen haben. So weit, so gut.
Doch die Änderungen, die Aston Martin nun präsentiert hat, sorgen für Aufregung. Der Grund: Alles zwischen den beiden Achsen - also alles, was sich zwischen Vorderräder und Hinterräder befindet, ähnelt durch die Updates sehr dem RB18 von Red Bull. "Es ist ein komplett neues Konzept, das man bei Aston Martin präsentiert hat. Die Form des Seitenkastens, der Lüftungsauslass, der Unterboden, an dem man diese kleinen Schlitze drin sieht, sind deckungsgleich mit denen am Red Bull", erklärt Sky Experte Timo Glock.
Noch brisanter wird die Angelegenheit durch den Fakt, dass in der vergangenen Saison und im Winter sieben Ingenieure von Red Bull zu Aston Martin abgewandert sind. Der Gedanke, dass dabei Ideen mitgenommen wurden, liegt deshalb nahe. An sich wäre dies nicht verboten, wie Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko am Sky Mikro erwähnte, doch sollten dafür auch Daten heruntergeladen worden sein, mit deren Hilfe eine Kopie des Red-Bull-Boliden angefertigt werden konnte, wäre dies ein klarer Regelbruch.
Die FIA hat in dieser Woche Untersuchungen bei Aston Martin angestellt. Zu Beginn des Rennwochenendes teilte der Motorsport-Weltverband dann nach einer eingehenden Betrachtung des grünen AMR22 mit, dass es zwar Parallelen zum RB18 gebe, im Zuge der Untersuchung aber kein Fehlverhalten im Entwicklungsprozess festgestellt wurde. Dr. Marko deutete am Sky Mikrofon jedoch an, dass Red Bull die Thematik weiter verfolgen werde - auch intern. Es gebe nämlich Beweise, dass Daten heruntergeladen worden seien.
Das Thema ist also trotz der aktuellen FIA-Entscheidung wohl noch lange nicht vom Tisch.
Der Rennstall von Weltmeister Max Verstappen zeigte sich zu Beginn des Wochenendes von der Tatsache einer möglichen Kopie des Red Bull überrascht, wie Teamchef Christian Horner am Sky Mikrofon verriet: "Wir wurden von der FIA darauf aufmerksam gemacht, dass es da ein Auto gibt, das verblüffend wie unseres aussieht. Die FIA hat eine Liste der Mitarbeiter angefordert, die uns verlassen haben. Da läuten natürlich die Alarmglocken." Informationen, die die Ingenieure dabei aus dem Kopf hernehmen, seien in Ordnung. "Was nicht fair und total inakzeptabel ist, was wir auch nicht akzeptieren würden, ist ein Transfer von geistigem Eigentum."
Deshalb müsse man jetzt klären, "wie es zu dieser unglaublichen Kopie gekommen ist", fordert Dr. Marko. "Es gibt Evidenzen, dass Daten heruntergeladen wurden. Es ist halt die Frage: Kopieren ist im Ansatz wahrscheinlich nicht verboten, aber kann man ohne Unterlagen so kopieren, dass man eine solch detailgetreue Kopie von unserem Auto zustande bringt?"
Bei Red Bull werde man nun interne Ermittlungen in Milton Keynes einleiten. "Ich werde nicht verraten, wo wir mit bestimmten Personen genau stehen", erklärt Horner. "Das geistige Eigentum ist das Blut in den Adern eines Teams. Da investieren wir Millionen, und wir wollen nicht, dass das bei einem anderen Team landet."
Das Team von Sebastian Vettel bestreitet die aufgekommenen Kopier-Vorwürfe und erklärt, dass man in den vergangenen Monaten zwei Konzepte parallel verfolgt und entwickelt habe. "Wir haben eigentlich relativ früh - letztes Jahr noch - verschiedene Richtungen festgelegt. Unser Chassis ist relativ flexibel ausgelegt, sodass wir eine eingeschlagene Richtung auch wieder ändern können. Wir haben verschiedene Programme aufgelegt und dann irgendwann entschieden, dass wir in eine andere Richtung gehen müssen. Das war aber schon lange bevor irgendwelche Autos publik waren", so Teamchef Mike Krack am Sky Mikrofon.
Der Technische Direktor Andrew Green bestätigte die Krack-Aussagen am Samstag und ging dabei noch tiefer ins Detail - auch um die Glaubwürdigkeit Aston Martins zu untermauern: "Ich kann absolut und kategorisch ausschließen, dass wir irgendwelche Informationen von irgendeinem Team bekommen haben für die Entwicklung dieses Autos. Der Vorwurf ist völlig unbegründet." Die FIA habe sich "von den CAD-Daten über CFD-Daten bis hin zu Windkanal-Daten" alle relevanten Informationen angesehen. Der Weltverband habe zudem Zugang zu allen Daten aller Teams und sei deshalb "in der bestmöglichen Situation, die Sache zu beurteilen und sie ist zu der Entscheidung gekommen, dass alles, was wir gemacht haben, völlig legitim und regelkonform ist und dass kein geistiges Eigentum eines anderen Teams genutzt wurde."
Green erklärt des Weiteren den Ablauf bei der Konzeptentwicklung, den Krack bereits angedeutet hatte: "Wir haben zwei Entwicklungsansätze verfolgt - sogar bis hin zum Chassis-Design, sodass wir auch zwei verschiedene Kühlungskonzepte verwenden konnten. Die Entscheidung für das Konzept ist im August/September 2021 gefallen. Aber schon gegen Ende 2021 wurde uns klar, dass es der falsche Weg ist. Die Performance dieses Autos erwies sich schnell als zu schwach. Uns wurde klar, dass wir in einer Sackgasse sind und den falschen Ansatz gewählt haben. Den haben wir dann sehr schnell aufgegeben und uns auf die alternative Spezifikation konzentriert, wie wir sie jetzt heute sehen."
Und weiter: "Dieses Auto ist von unseren Ingenieuren entwickelt worden. Das können wir mit entsprechenden Aufzeichnungen belegen. Die haben wir auch der FIA gezeigt. Dass Red Bull dann mit etwas Ähnlichem kam, bestärkte das, was wir uns schon gedacht haben - nämlich, dass wir uns damals für den falschen Weg entschieden hatten. Es war aber ermutigend zu sehen, dass ein anderes Team mit diesem Konzept eine sehr gute Performance hatte. Das ließ uns hoffen, dass dieses Auto - wie es jetzt ist - großes Potential hat."
Ja! Es gibt bereits mehrere Stimmen, die in und um das Fahrerfeld aufkommen und die Begründung von Aston Martin nicht hundertprozentig mitgehen. Sky Experte Glock: "Mir sind da viel zu viele Zufälle dabei. Komischerweise sind vor der Konzept-Umstellung die Red-Bull-Leute rüber gewandert. Natürlich bringen die Ingenieure ihr Wissen mit und wissen genau, wo Red Bull zur damaligen Zeit war, was Abtrieb, was Aeropunkte angeht. Wir haben schon oft gesehen, wenn ein Ingenieur zu einem anderen Team gewandert ist, dass es Kleinigkeiten gab und beispielsweise ein Frontflügel in die gleiche Richtung gegangen ist. Aber hier war das Konzept des Autos ein völlig anderes und ist jetzt komplett umgebaut worden. Aston Martin ist das einzige Team, das zwei Versionen an den Start gebracht hat und parallel entwickelt hat. Das ist in meinen Augen aus Sicht des Cost Caps nicht umsetzbar."
Auch bei Williams-Teamchef Jost Capito kommen im Hinblick auf das parallele Verfolgen zweier Konzepte Fragen auf. "Ich weiß nicht, wie das mit dem Cost Cap möglich ist. Alles, was man für dieses Jahr macht am Cost Cap, geht für das nächste Jahr weg. Es macht also nur Sinn für das Auto Updates zu bringen, von denen auch das nächste Auto im kommenden Jahr profitiert. Wir Teams wüssten gerne, welche Art der Untersuchung das war: Was ist untersucht worden, wie ist das festgelegt worden? Damit wir das Vertrauen in die Entscheidung der FIA haben können. Wenn alles korrekt ist, ist alles in Ordnung und wenn nicht, dann muss es entsprechend Konsequenzen geben. Aber die Autos sind schon augenscheinlich sehr, sehr ähnlich. "
Bei Aston Martin wird hingegen betont, dass das Vorgehen zwar sehr viel Geld koste, man "deshalb aber auch sehr gut managen musste", wie Green erklärt. "Der Kostendeckel macht einen großen Unterschied dahingehend, wie wir ein Auto entwickeln können. Von Anfang an, als wir die beiden Konzepte hatten, haben wir deshalb sichergestellt, dass wir nur den minimalen Aufwand beim Design betreiben, weil immer klar war, dass wir um Rennen sechs herum vielleicht einen Richtungswechsel vornehmen könnten. Und das haben wir im August/September 2021 so beschlossen."
Bereits im Jahr 2020 ereignete sich in der Formel 1 das sogenannte Copygate um Racing Point. Damals hatte der Vorgänger-Rennstall von Aston Martin illegalerweise bei Mercedes abgekupfert und wurde daraufhin mit einer Geldstrafe von 400.000 Euro belangt. Zudem wurden dem Rennstall damals 15 Punkte in der Konstrukteurswertung abgezogen.
Doch auch den involvierten Ingenieuren - sollte diesen geistiger Diebstahl, also Unternehmens-Diebstahl nachgewiesen werden können - droht eine Strafe, im höchsten Fall sogar eine mehrjährige Haftstrafe.
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