McLarens zweite Konstrukteurs-WM in Folge ist die Geschichte eines Comebacks
McLaren hat in Singapur den zweiten Konstrukteurs-Titel in Folge bejubelt. Der Traditionsrennstall hat die Spitze der Königsklasse wieder im Griff. Es ist die Geschichte vom Phönix aus der Asche.
07.10.2025 | 22:15 Uhr
"Das Leben wird in Erfolgen, nicht nur in Jahren gemessen", sagte der legendäre Bruce McLaren.
In der Formel 1 liegt der Unterschied zwischen großen Erfolgen und dramatischen Niederlagen oft nicht weit auseinander. Besonders deutlich wird dies in der aktuellen Phase der Rennserie. Die Königsklasse ist hochtechnologisiert wie nie zuvor, professioneller, als sie es vielleicht jemals war und die Konkurrenz enger beieinander denn je.
Umso schwieriger ist es, ein nachhaltiges Erfolgsrezept in dieser Umgebung zu finden. Aktuell scheint McLaren so etwas zu besitzen. Umso bemerkenswerter wird das, wenn man die Zeit etwas zurückstellt. Ein Blick in die jüngere F1-Geschichte offenbart die Geschichte eines spektakulären Comebacks.
Phase 1: Der große Absturz
McLaren geht als wahrer Kraftprotz der Formel 1 aus den Nullerjahren hervor. Der Rennstall aus Woking unter Führung von Ron Dennis musste sich nach den WM-Erfolgen von Mika Häkkinen 1998 und 1999 zwar lange der Dominanz von Ferrari (und zeitweise Renault) unterordnen, doch mit dem sensationellen Titelerfolg von Lewis Hamilton in seiner gerade einmal zweiten Saison 2008 scheinen die Weichen für eine glänzende Zukunft gestellt. Ron Dennis gibt nach fast 30 Jahren als einer der erfolgreichsten Teamchefs der F1-Geschichte das Zepter ab. Dass dies der bis dato letzte Fahrertitel des Teams sein sollte, scheint unvorstellbar.
So starten die Zehnerjahre stark: 2010 kämpfen die damals noch silbernen McLaren von Hamilton und Jenson Button um den Titel mit, scheitern jedoch an der immer dominanter werdenden Traumkombination aus Red Bull, Christian Horner, Adrian Newey und Sebastian Vettel, die vier Fahrer- und Kontrukteurs-Titel in Folge gewinnen. Parallel stürzen die Leistungen des britischen Teams unter der Leitung von Martin Whitmarsh 2011 und 2012 weiter ab. Zum Jahr 2013 verliert man Hamilton an Mercedes, Sergio Perez füllt die Lücke. Für ihn und Button springt kein einziges Podium heraus. Für McLaren eine Katastrophe.
Zum großen Motorenwechsel 2014 wird Ron Dennis zurück in seine Position als CEO berufen. Erfolg kann jedoch auch der König der alten Garde nicht versichern - trotz starkem Mercedes-Aggregat wird das Team lediglich WM-Fünfter. Dennis entscheidet sich zu einem folgenschweren Deal: Die erneute Partnerschaft mit Honda, in den Achtziger- und Neunzigerjahren noch eine Allianz des Erfolgs, verkommt zu einem desaströsen Missverständnis.
Denn der japanischen Hersteller hat sich mit den komplexen 1,6 Liter Sechszylinder-Turbo-Hybridmotoren vertan. Das Comeback in der Königsklasse wird zum Spießrutenlauf. Die Powerunit hat zu wenig Kraft und ist frustrierend unzuverlässig. Fernando Alonso kann zurück an alter Wirkungsstätte nur laut und häufig fluchen. McLaren wird respektive Neunter, Sechster und wieder Neunter in der Konstrukteurs-WM, bevor das Team die Reißleine zieht und zu Renault-Motoren wechselt. Nach der Saison 2016 wird Ron Dennis von seinen Aufgaben entbunden. Den Posten als CEO übernimmt der Amerikaner Zak Brown.
Phase 2: Eine neue Hoffnung
Unter französischer Antriebskraft stabilisieren sich die Leistungen langsam wieder. Alonso verabschiedet sich nach der Saison 2018, das Team vollzieht einen Wandel: Youngster Lando Norris und der etwas etabliertere Carlos Sainz übernehmen die Cockpits. Zudem wird der Deutsche Andreas Seidl als Teamchef eingesetzt. Ein schwieriger Saisonstart folgt, doch der MCL34 zeigt Potenzial - und belohnt das Team in Interlagos 2019 mit einem Podium durch Sainz.
Das Corona-Jahr 2020 bremst nicht den Schwung der Papaya-Renner: Norris gelingt ein dritter Platz in Österreich, Sainz verpasst im verrückten Rennen von Monza den Sieg nur knapp - Pierre Gasly triumphiert sensationell. Der Spanier verlässt das Team 2021 in Richtung Ferrari, Daniel Ricciardo übernimmt das Steuer, der Motor kommt nun wieder von Mercedes. Mit Erfolg: Der "Honeybadger" gewinnt in Monza das erste Rennen für McLaren seit 2012, Norris wird Zweiter. Ein Ausrufezeichen der Mannschaft aus Woking, zumal noch drei weitere Podestplatzierungen dazu kommen.
Nach einem dritten und vierten Platz in der Konstrukteurs-WM will das Team 2022 weiter nach oben schauen. Die neuen Aero-Regeln sollen dabei helfen - doch die Leistungen stagnieren wieder. Vor allem für Ricciardo ist es ein bitteres Jahr, er punktet lediglich sieben Mal. Für Norris reicht es immerhin zu einem Podium. Seidl wechselt in der Folge zu Sauber. Die Teamleitung übernimmt für 2023 der ehemalige Renningenieur Andrea Stella.
Als absoluter Glücksgriff entpuppt sich zudem die Verpflichtung von Oscar Piastri, der seinen Landsmann Ricciardo ersetzt. Der Rookie, den Alpine eigentlich schon als Fahrer verkündet hatte, überzeugt bereits in seinem ersten Jahr. Beide fahren jeweils ein Mal aus Treppchen. Es geht wieder bergauf. Und wie!
Phase 3: Dominanz wie aus lange vergangenen Zeiten
Zwar dauert es 2024 bis zu einem großen Update in Miami, jedoch folgt ab dann eine wahre Glanzvorstellung der Papaya-Renner. Max Verstappens vierter Titel lässt sich zwar nicht mehr verhindern, doch der Konstrukteurs-Titel landet dank vier Siegen von Norris und zwei von Piastri wieder in Woking. Es ist der erste seit 1998.
Den Winter verschläft McLaren nicht: 2025 bezeichnet das dominanteste Jahr für den Rennstall seit 1988. Es entstehen, ebenfalls vergleichbar mit dieser Phase, lange vergessene Luxusprobleme für das Team um Brown und Stella: Der heiß diskutierte Zweikampf der eigenen Piloten um die Fahrer-WM darf nicht zur Implosion führen. Ein Thema, das Ex-Boss Ron Dennis in lange vergangenen Zeiten bereits mit Ayrton Senna und Alain Prost Kopfschmerzen bereitet hatte. Bisher hat das amerikanisch-italienische Doppelgespann an der Teamspitze eine Eskalation verhindern können.
Doch die Betonung dieser Problematik muss angesichts des WM-Stands definitiv auf "Luxus" liegen: Den zweiten Konstrukteurs-Titel in Folge machte McLaren schon in Singapur klar. Dass Max Verstappen noch in die Fahrer-WM eingreifen kann, scheint unwahrscheinlich. Folgen könnte der erste Fahrer-Titel seit Hamilton 2008.
Für das Team ist es wie die Geschichte vom Phönix aus der Asche. Für Zak Brown eine Auszeichnung in Führungsqualität, bei Andrea Stella der wohl schönste Abschnitt einer Ingenieurskarriere. Doch der Ruhm von heute ist gleichzeitig eine Warnung für morgen.
Im schnelllebigen Geschäft der Formel 1 kann es genau so schnell wieder vorbei sein mit dem Erfolg. Das anstehende neue Reglement des kommenden Jahres ist eine riesige Herausforderung. Oder, anders formuliert: Eine große Wundertüte.
Das macht die Formel 1 so bittersüß: Der Gipfel des Motorsports ist unbarmherzig. Er macht vor keiner noch so schönen Geschichte Halt. Er ist schonungslos. Doch McLaren weiß darum - vielleicht mehr als alle anderen.
Mehr zum Autor Malte Göttlinger
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