Heidfeld über Grosjean: Wichtig, schnell wieder ins Auto zu steigen
02.12.2020 | 13:39 Uhr
Ex-Formel-1-Fahrer und Sky Experte Nick Heidfeld spricht in seiner Kolumne über den Unfall von Romain Grosjean, erinnert sich an eigene Horror-Crashes und erklärt, warum es für den Franzosen nun wichtig ist, schnell wieder ans Steuer zu kommen.
Ich hätte nicht gedacht, dass wir nochmal ein Formel-1-Auto so brennen sehen wie es am Sonntag der Fall war. Wie viele Jahre oder Jahrzehnte ist es her, dass man so einen Feuer-Unfall gesehen hat?
Alle, die sich vielleicht gefragt haben, wofür man überhaupt noch einen Nomex-Anzug braucht, haben gesehen, dass es die richtige Entscheidung war und ist. Die FIA hat erst vor zwei Jahren die Richtlinien in Bezug auf die feuerfeste Kleidung, speziell die Unterwäsche, verschärft. Dafür muss man ihr ein Lob aussprechen.
Zu wissen, dass man möglichst schnell aus dem Auto rauskommen muss, ist eine Extremsituation, die ich zum Glück nicht erleben musste. Wenn ich mich an größere Unfälle aus meiner Karriere zurückerinnere, fing die Situation in meinen Gedanken schon deutlich vor dem Aufprall an.
Romain Grosjean war natürlich auch schon ein paar Sekunden vorher klar, dass es ein heftiger Einschlag wird. Diese Momente laufen in Wirklichkeit natürlich rasend schnell ab, aber sie kommen einem im Auto vor wie eine halbe Ewigkeit. Man registriert alles wie in Superslowmotion.
Nach meinem Crash mit Überschlag in der Formel E im Jahr 2014 konnte ich mich noch Jahre später an sämtliche Details erinnern. Jede Millisekunde. Was ich gedacht habe. Was ich gesehen habe. Was ich für Gefühle hatte. Man nimmt alles sehr extrem wahr.
Der Fahrer im Rennauto weiß, bevor es knallt: Jetzt wird es gleich krachen. Und man hofft, dass es doch nicht so sehr schmerzen wird. Ich habe damals Glück gehabt. Ich wusste, dass ich nicht mehr lenken konnte. Und ich habe gesehen, dass ich genau auf den Curb zusteuere, dass ich dann abhebe und irgendwo reinknalle. Das war mir sofort bewusst. Das alles weißt du innerhalb von Hundertstelsekunden, wenn der Unfall noch gar nicht passiert ist.
Ich habe die Augen zugemacht, die Hände vom Lenkrad genommen, mich psychisch und physisch für den Einschlag bereit gemacht,.. und gehofft. Nach dem ersten Aufprall gegen die Wand/Fangzaun war ich direkt positiv überrascht und erleichtert, mich körperlich gut zu fühlen. Ich war dann aber noch relativ lange in der Luft und habe (bei immer noch geschlossenen Augen) irgendwann gedacht: 'So, jetzt könnte ich aber langsam mal landen, ich bin ja schon eine halbe Ewigkeit hier in der Luft.'
Sobald man dann gestoppt hat, fühlt man im Normalfall in seinen Körper rein und spürt entweder irgendwo Schmerzen - oder auch nicht.
Grosjeans Situation war noch viel extremer und er wird sofort realisiert haben, dass es brennt. Der Teil mit dem in den Körper einfühlen fällt dann natürlich erstmal in der Prioritätenliste nach hinten! Er musste möglichst schnell aus dem Wagen zu kommen. Das ist natürlich eine der schlimmsten Situationen, die man sich vorstellen kann.
Auch wenn die Fahrer immer wieder trainieren, schnell aus den Autos rauszukommen, und die Autos auch so gebaut sind, war er vielleicht ein bisschen eingeklemmt. Ich bin mir von den Bildern her nicht ganz sicher, ob das Halo in der normalen Position war und auch die Leitplanke war gegebenenfalls im Weg.
Es wurde auch spekuliert, dass Romain sein Headrest rausnehmen musste, um überhaupt aus dem Auto zu kommen. Falls es so war, wäre es natürlich noch mehr eine Extremsituation. Auf den Fotos ist das Headrest jedenfalls nicht in der Standardposition.
Die Gurte aufzumachen, geht relativ schnell. Ans Lenkrad sollte man auch ganz gut rankommen. Aber diesen Headrest, also den Kopfschutz, der außen um das Cockpit herumführt, rausnehmen zu müssen, das wäre schon brutal bei der Hitze und bei dem Rauch. Man sieht wenig und bekommt vielleicht kaum Sauerstoff. Da geht es um jede Sekunde, und er war ja wirklich lange in dem Feuer.
Bei meinen Crashes war zum Glück nicht so ein heftiger dabei, wie es jetzt beim Grosjean der Fall war. Wir machen das alle jahrelang und irgendwann passiert leider auch mal was. Aber es ist ja auch nicht so, dass es täglich passiert. Umso wichtiger ist es in meinen Augen, möglichst zügig wieder ins Auto zu steigen. Ich denke, das ist generell ein gutes Rezept. Aber am Ende muss es jeder für sich selbst entscheiden, was für ihn das Sinnvollste ist.
Wenn man sich die Geschichte im Motorsport anschaut, gibt es auch Fahrer, die an großen Crashes so lange zu knabbern hatten, dass sie danach nicht mehr gleich zurückgekommen sind. Ich denke, bei Grosjean ist die Gefahr viel geringer, weil er ja anscheinend - zumindest nach den Informationen, die wir jetzt haben - keine größeren bleibenden Schäden hat. Ich glaube, dass wäre eher der Fall, wenn die Erholungszeit lang ist und dann so ein Crash auch auf mentaler Seite längere Folgen haben kann.
Wichtig ist, sich eins bewusst zu machen: Nur aufgrund der Tatsache, dass über die letzten Jahre weniger passiert ist, heißt es noch lange nicht, dass nie etwas passieren wird. Vor allem wegen der hohen Geschwindigkeiten in der Formel 1 wird es nie 100 prozentig sicher sein.
Aber man wird immer wieder Dinge verbessern können. Das Gute ist: Von der FIA wird sich niemand hinstellen und sagen, es war alles perfekt. Die schauen immer, wie und wo man etwas verbessern kann, und das ist wirklich ganz, ganz hoch anzurechnen.