Sprit-Fiasko in Singapur: Red Bull patzt und Verstappen tobt
01.10.2022 | 20:04 Uhr
Max Verstappen war nach dem Qualifying in Singapur mächtig angefressen. Der 25-Jährige verstand die Welt nicht mehr, denn statt der Pole geht der Weltmeister nur von Platz acht aus ins Rennen (am Sonntag, ab 12.30 Uhr LIVE & EXKLUSIV auf Sky). Schuld daran war ein Kalkulationsfehler von Red Bull.
"Was zur Hölle?! Warum? Unglaublich, Leute", brüllte Max Verstappen noch am Funk sein Team an. "Ich verstehe es nicht, um was für einen Mist geht es hier?", schob der WM-Spitzenreiter noch nach.
In Singapur hat Verstappen bereits seinen ersten (wenn auch kleinen) Matchball für den zweiten Titelgewinn seiner Karriere. Die Wahrscheinlichkeit, dass er diesen schon im südostasiatischen Stadtstaat verwandelt, ist nach dem Qualifying-Samstag noch um einiges geringer geworden.
Dabei war Verstappen in Q3 eigentlich der dominierende Fahrer. Zweimal lag er auf Pole-Kurs, beide Male sogar recht deutlich. Den ersten Run brach der Niederländer jedoch ab, beim finalen Versuch steuerte er dann auf Anweisung seines Teams die Box an. Bis dato hatte er nach den ersten zwei Sektoren bereits über neun Zehntelsekunden Vorsprung im Vergleich zum späteren Polesetter Charles Leclerc gehabt.
Ralf Schumacher erkannte sofort, warum Red Bull seinen Star-Piloten an die Box beorderte. "Da ist nicht unendlich Benzin im Auto drin. Es muss eine gewisse Restmenge noch drin sein, um davon eine Probe zu nehmen. Wenn das nicht der Fall ist, wäre er disqualifiziert worden und von ganz hinten losgefahren", erklärte der Sky F1-Experte. Red Bull hatte somit am Ende keine Wahl und konnte die letzte Runde nicht mehr zu Ende fahren.
Dr. Helmut Marko bestätigte am Sky Mikrofon Schumachers Vermutung und lieferte eine Erklärung: "Unsere vorletzte Runde hätte gereicht für die Pole-Position. Aber man kalkulierte mit der immer besser werdenden Piste und wir sind dann zu nah auf Pierre Gasly aufgelaufen, um die letzte Runde optimal zu fahren. In der Diskussion haben wir übersehen, dass wir nur für fünf Runden getankt haben, deshalb haben wir die letzte Runde abbrechen müssen. Das ist ärgerlich. Da sind Faktoren zusammengekommen, Hektik, dann kann so was auch uns passieren."
Ausgerechnet am Wochenende der ersten Chance auf den zweiten Fahrertitel in Folge unterlief Red Bull ein so folgenschwerer Fehler. Betrachtet man die gesamte bisherige Saison, haben sich die Österreicher - im Gegensatz zum großen Konkurrenten Ferrari - strategisch kaum Fehler erlaubt. Marko räumte ein, dass die "Sicherheitsvariante" im Nachgang die richtige Entscheidung gewesen wäre: "Man hätte diese vorletzte Runde mitnehmen müssen." Doch Red Bull ging volles Risiko - und das ging nach hinten los.
Verstappen selbst äußerte sich kurz darauf ebenfalls. "Schon in der Runde zuvor hätte ich auf Pole fahren können, dann hat man mir in der letzten Runde gesagt, ich soll in die Box fahren. Das ist natürlich unglaublich frustrierend, das sollte nicht passieren. Wenn man zu wenig Sprit hat oder nicht plant, eine sechste Runde zu fahren, dann muss man das doch vorher abchecken. Daher bin ich überhaupt nicht glücklich", so der 25-Jährige bei Sky.
Red Bull hatte offenbar nur mit fünf Runden in Q3 geplant und entsprechend getankt. Dass dem Team das Malheur dann erst während der sechsten Runde aufgefallen ist, konnte Verstappen nicht nachvollziehen und schickte eine klare Ansage in Richtung Red Bull: "Das ist natürlich eine Teamleistung. Ich kann Fehler machen, das Team kann Fehler machen. Das ist nie akzeptabel, aber du lernst natürlich von so was. Es ist einfach Mist und sollte nicht passieren."
Er wolle jetzt schnell "ins Hotel und abschalten" sowie an andere Sachen denken. Timo Glock gefielen die Aussagen Verstappens. "Ich finde es sehr beeindruckend, wie geradeaus er war und trotzdem kontrolliert. Er hat eine klare Ansage ans Team gemacht. Das zeichnet einen Max Verstappen aus, der viel gelernt und sich weiterentwickelt hat. Der ist erst 25, steht da und hat eine klare Meinung zu dem, was passiert ist", analysierte der Sky F1-Experte.
Zudem konnte Glock nachvollziehen, warum der Ärger des Niederländers so groß war: "Er hat natürlich recht: Das muss man vorher schon sehen, dass sich das nicht ausgeht mit sechs Runden, wenn man nur für fünf Sprit an Board hat. Vor zwei, drei Jahren hätte er da vielleicht gestanden und kein Wort gesprochen. Und jetzt: Klare Ansage, das finde ich sehr beeindruckend bei ihm und zeigt auch, wie klar er im Kopf ist."
Mit Blick auf das Rennen ist der erhoffte sechste Sieg in Folge von Startplatz acht natürlich in weite Ferne gerückt. Denn auch wenn Verstappen bereits von sieben verschiedenen Startpositionen aus Rennen in dieser Saison gewonnen hat und dabei zweimal sogar von noch weitere hinten (P10 in Ungarn & P14 in Belgien) startete als nun in Singapur, ist ein weiterer Triumph des WM-Spitzenreiters unter normalen Umständen kaum realisierbar.
"Statt Pole-Position oder zumindest erste Reihe jetzt Achter auf diesem Kurs, das ist eine sehr schwierige Ausgangsposition. Das ist hier ähnlich wie in Monte-Carlo, hier zu überholen ist ganz schwierig", sagte Marko und Verstappen erklärte: "Vielleicht kann man mit der Strategie noch was machen. Ich gebe natürlich mein Bestes, wenn ich dann wieder ins Auto springe."
In den bisherigen zwölf Auflagen des Singapur-GP hat allerdings noch nie ein Fahrer von einer geraden Startposition gewonnen. Zudem haben die schärfsten Kontrahenten geliefert. "Mit Charles Leclerc und Sergio Perez in der ersten Startreihe muss er natürlich auf viel Chaos hoffen", meinte Glock. Das gilt sowohl für den Rennsieg als auch für die kleine Chance auf die vorzeitige Titelverteidigung.
Für dieses Chaos könnte allerdings der vorhergesagte Regen sorgen, der auch in der Qualifikation bereits die Strecke sehr schwer befahrbar machte. Verstappen ist im Kampf um den Sieg noch nicht abzuschreiben. "Der wird mit seinen Ingenieuren jetzt ein klares Wort reden, dann das Qualifying aber abhaken und sich voll auf das Rennen konzentrieren, um dort das Maximale herauszuholen", ist Glock überzeugt.
In einem drohenden Regenrennen wäre Verstappen dann natürlich auch besonders auf die richtigen strategischen Entscheidungen seines Red-Bull-Teams angewiesen.
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