Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt auf skysport.de. In dieser Woche beschäftigt er sich mit dem FC Bayern und der fehlenden Philosophie bei Borussia Dortmund.
Wir führen in Deutschland seit vielen Wochen eine Trainer-und Qualitäts-Diskussion. Nach fast jedem Spiel des FC Bayern oder von Borussia Dortmund werden sowohl Niko Kovac als auch Lucien Favre kritisiert.
Ich finde, dass das langsam ein Ende haben muss. Wenn man sich in den anderen Ligen Europas umsieht, stellt man Folgendes fest: Genauso wie in der Bundesliga haben viele Top-Mannschaften in Europa das Problem, dass sie die Meisterschaft nicht mehr so dominieren, wie man es eigentlich gewohnt ist.
Spitzenteams verlieren an Dominanz
Beispiel Italien: da haben am Wochenende sowohl Juventus Turin als auch Inter Mailand und der SSC Neapel gegen Lecce, Parma und Ferrara nur Unentschieden gespielt. Atalanta Bergamo auf Platz 3, nur zwei Punkte hinter Inter und drei hinter Juve, hat dabei die meisten Tore erzielt.
In Spanien ist weder der FC Barcelona noch Real Madrid oder Atletico Tabellenführer, sondern der FC Granada liegt an der Spitze. Auch San Sebastian steht total überraschend auf Rang drei.
Die Kleinen sind nicht so klein
Real und Barca müssen zwar noch den Clasico nachholen, aber auch danach bleibt die Tabelle ähnlich wie bei uns: ganz eng beieinander. Allein Paris Saint-Germain und der FC Liverpool haben ein Polster und sind souverän Erster. Wobei in Frankreich ebenso auffällig ist, dass Nantes, Lille und Reims hinter dem Tuchel-Team stehen. Die großen Klubs wie Marseille, Lyon oder Monaco sind weit abgeschlagen.
Leicester mischt oben mit in England und damit konnte ebenso niemand rechnen. Es zeigt sich immer mehr: der Fußball verändert sich. Die Kleinen sind nicht so klein.
Klare Tendenz zu erkennen
Mannschaften wie Freiburg, Hoffenheim und sogar Augsburg haben die ganze Woche Zeit, sich auf ein Spiel vorzubereiten. Es herrscht Ruhe am Trainingsgelände. Die Einstellung, die Laufbereitschaft, die Taktik und der Teamspirit sind gut und kein Trainer versteckt sich mit seiner Mannschaft vor den vermeintlichen Riesen. Das ist eine Tendenz, die so gut wie überall erkennbar ist.
Natürlich werden auch im Ausland Trainer wie Zinedine Zidane oder Maurizio Sarri kritisiert, wenn ihr Superstar-Kader nicht gewinnt und dabei glänzt. Aber nicht in dem Maße wie hier in Deutschland. Auch im internationalen Vergleich haben die deutschen Mannschaften bisher meistens geliefert.
Nicht immer alles schlecht reden
Bayern hat schon neun Punkte in der Champions League. Dortmund kann mit zwei Heimsiegen gegen Inter und Prag in einer schweren Gruppe das Weiterkommen schaffen. Sie hätten dann zehn Punkte. Und bis auf das schlechte Spiel der Gladbacher in Wolfsberg haben sie - sowie Wolfsburg und Frankfurt - geliefert in der Europa League.
Leipzig vertritt die Bundesliga mehr als ordentlich in einer ausgeglichenen Gruppe. Mit Ausnahme von Leverkusen kann sich der deutsche Fußball in dieser Saison in Europa sehen lassen. Wir müssen uns vor niemandem verstecken. Da kann man auch mal stolz sein und nicht immer nur alles schlecht reden.
Kritik an Bayern überzogen
Die Bayern mögen vielleicht nicht ständig berauschend spielen, aber sie sind so gut wie immer dominant und die bessere Mannschaft. Einzig die Chancenverwertung und die Balance müssen besser werden. Bevor sie in Augsburg das 2:2 in der 90. Minute kassierten, muss es längst 5:1 stehen. Beim 2:2 gegen Hertha war es ähnlich.
Und dass sich die fast neue Defensive einfinden muss, ist ganz normal. Hernandez muss sich im Ausland eingewöhnen. Pavard kommt vom Absteiger zum Rekordmeister. Was gibt es an Niko Kovac alle drei Tage zu bemängeln? Langsam reicht es damit.
Keine Philosophie beim BVB zu erkennen
Beim BVB ist die Lage etwas anders. Da stimmen seit Wochen weder die Einstellung noch die Ergebnisse und auch die Atmosphäre leidet immer mehr. Damit meine ich nicht nur die Szene zwischen Mario Götze und Lucien Favre. Die war zwar auch ein Beleg dafür, dass dort einiges nicht stimmt. Aber viel mehr ist immer weniger zu erkennen, wofür dieser BVB eigentlich steht. Was sie einst stark gemacht hat, ist leider überhaupt nicht mehr zu erkennen. Welche Philosophie verfolgen sie? Ballbesitz? Konter-Fußball? Aggressivität?
Ich kann keine Handschrift erkennen. Was mich mit am meisten stört, ist die fehlende Selbstkritik. Der eine vergleicht die 90 Minuten mit einem PlayStation-Spiel. Der andere ist zufrieden mit einem 0:2 bei Inter Mailand oder einem total glücklichen 0:0 auf Schalke. Ein Manuel Neuer ist ehrlich und kritisch und vermisst ein Spiel, das Bayern-like ist. In Dortmund redet man sich alles schön, obwohl es alles andere als schön ist. Ich glaube, so langsam muss man dort eine Lösung finden. Ich habe das Gefühl, dass Favre nicht mehr alle Spieler erreicht und hinter sich hat.
BVB fehlen die Typen
Man muss Entscheidungen treffen. Auch wenn es mir zu einfach ist, ständig alles auf den Coach zu schieben, sich nach fünf Jahren immer noch nach Klopp zu sehnen und dies auch öffentlich zu sagen. Natürlich machen die Trainer nicht alles richtig und es fehlt ein Stoßstürmer wie Mandzukic. Der Rest scheint ein Problem zwischen Trainer und Mannschaft zu sein.
Wenn ich übrigens ein paar Typen in der Mannschaft habe, die sich selbst hinterfragen würden und Gedanken machen, dann geht das auch mal ohne Trainer und eigenverantwortlich. Aber auch diese Qualität fehlt der Dortmunder Mannschaft zum jetzigen Zeitpunkt.
Aktuell machen die Namen Ralf Rangnick und Jose Mourinho die Runde. Zwei überragende Trainer, die jeder Spitzenklub diskutiert und diskutieren muss, wenn ein möglicher Wechsel bevorstehen sollte. So viele freie Top-Trainer gibt es aktuell nämlich nicht.