Nils Petersen im Sky Interview über Bayern, Kane, Guirassy, Deutschland & eigene Zukunft

Petersen exklusiv || "Möchte ich nicht kaputt machen"

Von Fabian Schreiner

Image: Nils Petersen beendete im Sommer seine Profi-Karriere.

Nils Petersen spielte in der Bundesliga für Bayern, Bremen und Freiburg. Heute arbeitet der Rekord-Joker als TV-Experte, zudem schrieb er ein Buch. Im exklusiven Interview mit skysport.de blickt der ehemalige Nationalspieler auf die bisherige Bundesliga-Saison zurück.

Bayer Leverkusen traut Petersen die Meisterschaft zu, bei Harry Kane gerät er ins Schwärmen. Einen Winter-Abschied von Stuttgarts Serhou Guirassy könnte der 35-Jährige nicht nachvollziehen. Auch zu einem möglichen Bundesliga-Comeback bezog der Gewinner der Olympischen Silbermedaille Stellung.

skysport.de: Herr Petersen, Bayer Leverkusen geht als Weihnachtsmeister in die Pause. Trauen Sie der Alonso-Elf am Ende auch den Titel zu?

Nils Petersen: Absolut. Sie sind ein halbes Jahr ungeschlagen durch drei Wettbewerbe gegangen, wirken sehr souverän. Auch mit der Rotation haben sie es gut hinbekommen. Spieler, die auf der Bank sitzen, bekommen trotzdem ihre Spiele wie zuletzt gegen Bochum, als dann Patrik Schick drei Tore erzielt hat. Das ist eine enorme Qualität. Selbst wenn jetzt der eine oder andere aufgrund des Afrika-Cups fehlt, muss das kein Nachteil sein. Dadurch wird Bayer vermeintlich schwächer geredet. Meistens wird es erst Richtung Ostern richtig interessant. Dann beginnen die Begehrlichkeiten und Spekulationen, es kommen Berater ins Spiel. Das sind dann diese Unruhen, die wohl oder übel Einfluss nehmen. Eine Mannschaft wie Bayern könnte das ausnutzen.

skysport.de: Sie sprechen den FC Bayern schon an. Wie bewerten Sie die bisherige Saison der Münchner?

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Petersen: Erwartungsgemäß. Die Ergebnisse stimmen meist. Da waren auch ein paar Ausreißer nach oben dabei: 8:0 gegen Darmstadt, 7:0 gegen Bochum, 4:0 in Dortmund. Dazu sind sie ungeschlagen in der Champions League durch die Gruppe gekommen. Das Pokal-Aus in Saarbrücken und das 1:5 in Frankfurt sind die Ausreißer in die andere Richtung. Mit der Positionierung in der Liga kann man sicherlich leben. Nichtsdestotrotz ist das Selbstverständnis ein Stück weit verloren gegangen. Mit dem Pokal-Viertelfinale, das wir im vergangenen April mit Freiburg in München gewonnen haben, und dem Trainerwechsel ging es los, dass der eine oder andere Gegner auch nicht mehr mit lähmendem Respekt nach München gereist ist. Es war dann eher das Gefühl: die Bayern sind besiegbar. Das hat sich ein bisschen durchgezogen, obwohl die Resultate in Ordnung sind.

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Petersen: Bayern ist etwas anfälliger geworden

skysport.de: Woran könnte es liegen, dass das Selbstverständnis nicht mehr so da ist?

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Petersen: Beim Stuttgart-Spiel hatte Bayern so wenig Ballbesitz wie seit Klinsmann-Zeiten nicht mehr. Sie spielen die Gegner zurzeit nicht mehr an die Wand. Als Gegner hatte man in manchen Partien kaum mehr atmen können, kam kaum aus der eigenen Hälfte. Bayern ist etwas anfälliger geworden. Sie sind als Mannschaft okay, aber dem einen oder anderen Spieler wie etwa Joshua Kimmich fehlt momentan eben auch das Selbstbewusstsein, das Spiel komplett zu dominieren.

skysport.de: Knackt Harry Kane den Tor-Rekord von Robert Lewandowski, der in der Saison 2020/2021 41 Mal getroffen hat?

Petersen: Ich denke schon. Er hat sich sehr schnell an die Liga gewöhnt. Ich würde mich für ihn freuen, ich mag ihn als Spielertypen. Er ist eine sehr angenehme Erscheinung, eine authentische Persönlichkeit. Er ist nicht nur der Vollstrecker, sondern nimmt auch viel am Spiel teil. Ich bin echt dankbar, dass wir solch einen Spieler in der Bundesliga haben. Ich kenne niemanden, selbst bei gegnerischen Fans, die ihn nicht bewundern - und das, obwohl er Bayern-Spieler ist.

skysport.de: Worin unterscheiden sich Kane und Lewandowski?

Petersen: Da ist dieses Näschen im Strafraum von Kane, das ist schon der Wahnsinn. Wie er sich beispielsweise bei Standards am zweiten Pfosten absetzt, weil er weiß, dass er die direkten Kopfballduelle nicht unbedingt gewinnt gegen die großen Innenverteidiger. Er nimmt auch die Abschlüsse aus der zweiten Reihe, schont sich nie, arbeitet für die Mannschaft, setzt Nebenleute in Szene. Durch seine Persönlichkeit und Mentalität genießt er im Team eine derartige Wertschätzung, dass Jungs wie Leroy Sane immer versuchen, ihn einzusetzen. Kane macht die Mitspieler besser. Bei Sane zum Beispiel ist die Körpersprache plötzlich eine andere. Nicht zuletzt wegen Harry Kane, weil Leroy Spaß und vor allem Respekt hat.

Sky Experte Lothar Matthäus kritisiert die Dortmunder Körpersprache und sieht darin einen der Hauptgründe für das Bleiben hinter den Erwartungen der Schwarz-Gelben.

Petersen: Da entsteht Unruhe

skysport.de: Borussia Dortmund zählt zu den größten Enttäuschungen der ersten 16 Spieltage. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Petersen: Das größte Problem der Dortmunder ist die Inkonstanz. Nicht jeder Neuzugang hat gezündet. Dann ist mal ein Süle auf der Bank, mal ein Reus. Ich kenne das ja selbst, da entsteht Unruhe, wenn Säulen auf der Bank sitzen. Die erhoffte Entwicklung ist beim BVB einfach nicht zu sehen. Und dann stellt sich zwangsläufig die Frage, ob Potential und Kaderqualität den BVB im Vergleich zu Bayern oder aktuell auch Leverkusen wirklich zu einem ernsthaften Titelanwärter machen. Stand jetzt: nein.

skysport.de: Positiv überrascht hat der VfB Stuttgart. Allen voran Serhou Guirassy sticht bei den Schwaben mit 17 Treffern in 14 Ligaspielen heraus. Dennoch könnte er den Verein schon im Winter verlassen. Fehlt Ihnen da manchmal die Dankbarkeit gegenüber dem Verein gegenüber? Schließlich ging Guirassys Stern erst so richtig vor ein paar Monaten beim VfB auf.

Petersen: Das fände ich sehr schade, zumal in Stuttgart auch niemand ehrenamtlich arbeitet, sondern sicher auch ein ordentliches Salär bezahlt wird. Er hat aktuell eine unfassbare Beliebtheit. Das ist manchmal mehr wert als ein Monatsgehalt. Es wäre bedenklich, das einfach herzuschenken. Er hat die Möglichkeit, mit Stuttgart etwas Sensationelles zu schaffen. Ihm rollen sie in Stuttgart den roten Teppich aus. Man hat nur diese maximal 14, 15 Jahre im Profifußball. Das ist die schönste Zeit in unserem Leben, die jeder auskosten und genießen sollte. Ein Standing bei Fans und im Verein zu spüren ist viel mehr wert als mit 40 Jahren 30 Prozent mehr Geld auf dem Konto zu haben. Das ist meine Meinung. Vielleicht denkt der eine oder andere aber auch anders. Ich würde mir von Fußballern jedenfalls ganz generell wünschen, eher nach Anerkennung als nach Prämien zu streben. Jochen Saier (Sportvorstand beim SC Freiburg; Anm.d.Red) hat immer gesagt, Wertschätzung ist die härteste Währung. Dieser Spruch hat sich bei mir eingebrannt.

skysport.de: Der 1. FC Köln und Steffen Baumgart sind nach dem Union-Spiel getrennte Wege gegangen. Baumgart wollte Sie einst zum Effzeh holen. Hat Sie diese Entscheidung deshalb auch ein wenig mehr berührt?

Petersen: Ich habe ihm nach der Entscheidung direkt geschrieben, weil ich großen Respekt vor seiner Arbeit dort habe. Köln hat ein sehr unruhiges Umfeld, für einen Trainer ist das keine dankbare Position. Die Kaderqualität in Köln passt mitunter nicht zur Erwartungshaltung. Der FC hat es vermutlich auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht geschafft, Hector und Skhiri zu ersetzen. Vielleicht ist Steffen Baumgart sogar erleichtert, weil er gemerkt hat: es wird auch perspektivisch nicht einfacher und vermutlich auch nicht besser.

"Ob Kroos der Retter des deutschen Fußballs wäre, weiß ich nicht"

skysport.de: Sprechen wir über die Nationalmannschaft. Der Name Toni Kroos taucht nun immer wieder auf. Wäre er für Sie eine Option für die Heim-EM im kommenden Sommer?

Petersen: Auf seiner Position sind wir gut besetzt. Toni hat inzwischen ein reifes Alter, aber er ist Stammspieler bei einem Topklub. Im Misserfolg ist jedes Heilmittel recht. Ob Toni der Retter des deutschen Fußballs wäre, weiß ich nicht. Ich freue mich aber für ihn, dass viele nach ihm rufen, weil er als einer der erfolgreichsten deutschen Spieler der Geschichte manchmal zu wenig Wertschätzung erfahren hat. (Kroos-Comeback beim DFB? Nagelsmann heizt Spekulationen an)

skysport.de: Wäre Deniz Undav einer, der noch einmal frischen Wind in die Nationalmannschaft bringen würde?

Petersen: Er gefällt mir sehr, sehr gut. Es hat alles Hand und Fuß, was er macht, das Knipser-Gen kommt noch dazu. Was mir am meisten imponiert, ist allerdings, wie er seine Rolle als Joker angenommen hat. Da freut man sich einfach für ihn. Ähnlich ergeht es mir bei Niclas Füllkrug. Da ist endlich mal wieder ein Spieler, mit dem sich der deutsche Fan identifizieren kann. Eine authentische, ehrliche Freude ist enorm viel wert. (Undav erobert VfB-Herzen im Sturm - auch beim DFB?)

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skysport.de: Sie sind nur ein bisschen jünger als Bundestrainer Julian Nagelsmann. Wie muss es für Ihn sein, als Trainer eine Mannschaft zur Heim-EM zu führen?

Petersen: Ich ziehe den Hut vor ihm und habe es sehr begrüßt, dass die Wahl auf ihn fiel. Auch wenn er sich den Start vermutlich etwas leichter oder zumindest erfolgreicher gewünscht hat, halte ich die Entscheidung nach wie vor für richtig. Ich habe die Hoffnung, dass uns Julian Nagelsmann als Bundestrainer weit bringen kann.

skysport.de: Sie haben erst vor Kurzem gesagt, auf lange Sicht sehen Sie sich wieder beim SC Freiburg. Gibt es da schon einen konkreten Plan?

Petersen: Nein, auch keinen zeitlichen. Ich sehe die Jungs ständig, treffe auch Jochen Saier regelmäßig. Dann spürt man unverändert auch die gegenseitige Sympathie. Im Moment genieße ich es noch, weg von diesem Ergebnisdruck zu sein, selbst seinen Kalender zu organisieren, auch mal ein Wochenende für sich zu haben und einfach als Fan ins Stadion zu gehen. Durch das Buch, meine Rolle als TV-Experte und zahlreiche Termine bin ich noch gar nicht vollends zum Abschalten gekommen.

"Ich liebe es, in der Landesliga zu spielen"

skysport.de: Sind Sie als Fan auf der Tribüne denn nun nervöser als früher auf dem Platz?

Petersen: Nein. Wenn man von Anfang an spielt, weicht mit Anpfiff die Nervosität der Konzentration. Als Bankspieler hatte ich ständig diesen flauen Magen, weil es sehr wahrscheinlich war, dass man noch ins Spiel kommt. Das ist jetzt natürlich alles anders. Ich kann es jetzt mehr genießen und die Stürmer sind nicht mehr Konkurrenten, sondern nur noch Kumpels. Ich freue mich, wenn Gregerl (Michael Gregoritsch; Anm.d.Red.) drei Tore schießt oder Lucas Höler einen Doppelpack erzielt. Hauptsache der SC punktet und gewinnt. Wenn sie verlieren, ärgere ich mich nur zehn Minuten und nicht mehr bis Dienstag.

skysport.de: Hat Sie Freiburg-Trainer Christian Streich mal angerufen und nach einem Comeback gefragt? Der Sport-Club hatte in der Hinserie mit großen personellen Problemen zu kämpfen.

Petersen: Nein, nein. Wir haben uns zuletzt im Zuge des Spiels bei West Ham in London im Hotel getroffen. Das war nett. Wir wohnen Luftlinie gar nicht so weit voneinander entfernt, aber irgendwie läuft man sich dann doch nicht so oft über den Weg. Ich spiele in meiner alten Heimat gelegentlich noch Landesliga. Da müsste der SC vermutlich sogar Ablöse zahlen (lacht). Das Thema ist aber durch. Auch unsere zweite Mannschaft ist in der 3. Liga in der Bredouille. Da hat vermutlich auch der eine oder andere gehofft, dass ich dort vielleicht nochmal helfen kann. Aber ich bin ein halbes Jahr raus und froh, dass ich nicht mehr diesen Druck verspüre. Der Anspruch - mein eigener und der mit erfolgreicher Vergangenheit verbundene - ist immens groß. Dem würde ich vermutlich gar nicht mehr gerecht werden können.

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skysport.de: Für den Blankenburger FV haben Sie in der Landesliga auch schon getroffen. Blut geleckt haben Sie aber dennoch nicht?

Petersen: Ich liebe es, in der Landesliga zu spielen, ich liebe es, auf Kunstrasen zu spielen, ich liebe es, im Januar Hallenturniere auf Parkettboden zu spielen. Es ist eben Fußball, nur jetzt eben entspannter. Druck mache ich mir aber auch in der Landesliga, nur etwas überschaubarer. (schmunzelt)

skysport.de: Und was wäre, wenn doch noch einmal jemand aus der Bundesliga anrufen würde?

Petersen: Keine Chance. Ich hatte eine unfassbar geile Fußball-Karriere. Die möchte ich nicht kaputt machen.

Das Interview führte Fabian Schreiner.

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