Trotz Abwehrsorgen: Bayerns "Weltklasse-Transfer" auf Abstellgleis
03.11.2021 | 09:48 Uhr
Als der FC Bayern im Juni 2020 die Verpflichtung von Tanguy Nianzou verkündete, war die Vorfreude an der Säbener Straße groß. Der junge Innenverteidiger kam schließlich ablösefrei aus Paris und galt als eines der größten Talente überhaupt. Die Münchner wurden für den Coup gefeiert, doch auf den Durchbruch wartet der Youngster noch. Wie geht es nun weiter mit dem Juwel?
Kaum jemand versteht es besser, Talente frühzeitig zu erkennen als Ralf Rangnick. Der ehemalige Macher der TSG Hoffenheim und RB Leipzig hätte 1994 fast Ronaldo zum VfB Stuttgart gelotst. Also zu einer Zeit, als noch nicht klar war, welche Weltkarriere "Il Fenomeno" später hinlegen würde. Das gab Rangnick im September 2020 bei Sky90 zu. Demnach war er sich mit dem späteren Weltfußballer bereits einig, aber der Transfer scheiterte an der Ablöse von sechs Millionen Dollar.
Auch an Kylian Mbappe war Rangnick in seiner Leipziger-Zeit dran, als dieser erst 15 Jahre alt war und noch nicht zum Profiteam der AS Monaco zählte. Bei beiden Stars klappte es letztlich mit einem Wechsel nicht - etwas, dass Ronaldo und Mbappe mit Bayerns Tanguy Nianzou gemein haben, denn auch den jungen Abwehrspieler der Münchner wollte Rangnick unbedingt verpflichten.
Wie der 63-Jährige am Deadline Day 2020 im Sky Studio verriet, war Leipzig zwei Jahre an dem Talent interessiert. Am Ende wechselte Nianzou bekanntlich zum deutschen Branchenprimus und Rangnick gratulierte: "Sie haben mit Tanguy Nianzou einen absoluten Weltklasse-Spieler verpflichtet", so der langjährige Coach, um direkt eine Prognose abzugeben: "Ich wage mal die gewagte These, dass er innerhalb eines Jahres Stammspieler beim FC Bayern wird."
Dieses Jahr ist mittlerweile längst vorbei und der junge Abwehrmann ist gefühlt so weit weg von einem Stammplatz in München wie noch nie. In seiner ersten Spielzeit bei den Bayern wurde Nianzou immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen. Am Ende kam er in der Bundesliga fünf Mal von der Bank aus zu Kurzeinsätzen und stand einmal in der Startformation. Am 32. Spieltag sah er dabei jedoch beim 6:0-Kantersieg gegen Borussia Mönchengladbach in der 75. Minute beim Stand von 5:0 die Rote Karte wegen einer Notbremse.
An den Qualitäten des Youngsters zweifelte in München aber niemand. Sportvorstand Hasan Salihamidzic beschrieb den Franzosen bei der offiziellen Vorstellung als einen "der besten Spieler seines Jahrgangs". Nianzou sei in der Spieleröffnung weit für sein Alter und er habe eine gute Technik und sei kopfballstark.
Diese Stärken sollte er unter dem neuen Trainer Julian Nagelsmann nach Möglichkeit häufiger auf dem Platz präsentieren. Zwar holten die Münchner mit Dayot Upamecano neue Konkurrenz für die Position, aber man ließ mit David Alaba und Jerome Boateng auch zwei Innenverteidiger ziehen, um dem Top-Talent den Weg nicht zu verbauen.
Tatsächlich lief die Vorbereitung für Nianzou unter Nagelsmann mehr als ordentlich. Durch die erst später angereisten Nationalspieler durfte das Juwel viel spielen und wusste dabei trotz durchwachsener Ergebnisse durchaus zu überzeugen. Viele Experten erwarteten den Franzosen zum Liga-Auftakt gegen Mönchengladbach daher auch in der Startformation neben Upamecano.
Doch Nagelsmann setzte auf Niklas Süle und Nianzou saß 90 Minuten nur auf der Bank. Eine Woche später war es dann aber soweit: Der neue Coach testete am zweiten Spieltag zu Hause gegen den 1. FC Köln die Dreierkette und beförderte Nianzou an der Seite von Süle und Upamecano in die erste Elf. In der Halbzeit nahm Nagelsmann den Jungspund aber wieder runter und stellte auf Viererkette zurück.
Dennoch war Nianzou so nah dran an der Stammelf wie noch nie: Im DFB-Pokal gegen den Bremer SV wenige Tage später durfte er erstmals durchspielen und am dritten Spieltag gegen die Hertha wurde er nach 45 Minuten zumindest für den angeschlagenen Upamecano eingewechselt und bereitete auch den Treffer zum 5:0-Endstand durch Lewandowski vor. Danach reichte es in der Liga aber nur noch zu einem weiteren Kurzeinsatz gegen Bochum Mitte September.
In den vergangenen fünf Bundesligaspielen verzichtete Nagelsmann komplett auf seine Dienste und auch in der Champions League blieb nur die harte Bank. Beim Pokal-Debakel in Mönchengladbach schaffte es Nianzou nicht einmal in der Kader. Der "Weltklasse-Transfer" ist bei den Bayern aufs Abstellgleis geraten, was sich auch Bayern daran zeigt, dass Nianzou - trotz der katastrophalen Leistungen von Upamecano und Lucas Hernandez bei den Fohlen (jeweils Sky Note 6) - keine Alternative an der Seite von Süle für das Spiel bei Union Berlin darstellte
Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel an der alten Försterei erklärte Nagelsmann auch, warum Nianzou derzeit keine Option darstellt: "Tanguy ist ein großes Talent mit viel Potenzial, aber am Ende ist es so, dass er seine Fehlerquote runtersetzen muss. In den Trainingseinheiten oder auch in den Testspielen war es einfach so, dass er noch den ein oder anderen Fehler zu viel drin hatte", so der Übungsleiter, um noch weiter ins Detail zu gehen:
"Er ist ein fußballerisch sehr guter Innenverteidiger und das ist manchmal - die Erfahrung habe ich in der Vergangenheit oft gemacht, auch bei Jugendspielern - gar nicht so gut, weil man sich sehr viel zutraut. Das ist zwar per se eine gute Sache, aber führt dann hin und wieder auch zu Fehlern und das ist auf der Position schwierig."
Doch Nagelsmann hat Nianzou noch nicht abgeschrieben, wie er versicherte: "Am Ende geht es darum, dass er die maximale Seriosität hat, aber trotzdem einen guten Mittelweg findet, seinen Mut nicht zu verlieren. Das bedarf ein wenig Zeit und Entwicklung in diesen Bereichen, dass er da auf 100 Prozent kommt. Aber er ist nach wie vor ein Spieler, von dem ich sehr viel halte", macht der Coach deutlich.
Und weiter: "Er hatte letztes Jahr keinen leichten Stand und auch dieses Jahr nicht, das ist mir völlig bewusst. Aber wir werden mit ihm arbeiten und versuchen, ihm genau diese Dinge beizubringen, damit er mit großer Verlässlichkeit seine Leistung auch stabil auf den Platz bringt, um eine wirkliche Alternative zu sein."
Geduld ist also gefragt. Sowohl beim Verein, als auch beim Spieler selbst. Positiv: Nianzou lässt sich im Training nicht hängen, sondern "gibt in jeder Einheit Vollgas", wie Sky Reporter und Bayern-Insider Torben Hoffmann berichtet.
Die Einstellung stimmt also und wenn Nagelsmann und sein Trainerteam zeitnah auch die Fehlerquote bei Nianzou erfolgreich runterfahren können, könnte auch Rangnicks "Stammspieler-Prognose" - wenn auch später als gedacht - noch wahr werden.
Oder hat sich der ehemalige Schalke-Trainer bei Nianzou tatsächlich getäuscht? Möglich, wenn auch unwahrscheinlich, denn kaum jemand versteht es besser, Talente frühzeitig zu erkennen als Ralf Rangnick...