Der Druck steigt: Nagelsmann sucht die EM-Emotion
20.11.2023 | 14:18 Uhr
Für Julian Nagelsmann und die Nationalmannschaft ist das Testspiel gegen Österreich nicht nur das letzte Länderspiel des Jahres. Das Ergebnis und die dargebotene Leistung - vor allem aber die gezeigten Emotionen - entscheiden mit Blick auf die Heim-EM über die Stimmungslage beim DFB und den Fans.
In der alten Kaiserstadt Wien funkelt längst die prunkvolle Weihnachtsbeleuchtung, die Touristen schleppen ihre Einkaufstüten um den Christbaum am Stephansdom.
Julian Nagelsmann aber hat im ewig jungen Klassiker gegen Österreich keinerlei Geschenke zu verteilen - der Bundestrainer sucht mit der Nationalmannschaft verzweifelt die Emotion und muss die deutsche EM-Stimmung für die nächsten vier Monate retten.
Nach der alarmierenden Niederlage gegen die Türkei (2:3) werde es am Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) im Ernst-Happel-Stadion keinesfalls einfacher werden, mahnt Nagelsmann. Österreich sei sogar noch stärker: "Die bringen extreme Emotionalität rein, was durch Ralf Rangnicks Fußball noch verstärkt wird. Da können wir direkt versuchen, die Punkte umzusetzen, die wir nicht so gut gemacht haben."
Die Zeitung Kurier vermutete am Montag schon, Deutschland lande gegen Mittag in Schwechat mit "der EM-Angst im Gepäck". Die am Samstag schwer ernüchterten Fans doch noch mit einem Hauch Euphorie ins Turnierjahr zu schicken, ist Nagelsmanns Ziel für ein großes Duell, das auf österreichischer Seite traditionell noch ein bisschen größer gemacht wird.
Der spürbar verärgerte Nagelsmann steht früh an einer Weggabelung. Verliert die Nationalmannschaft in Wien, wäre der anfängliche Schwung verflogen, der Bundestrainer müsste sich einer intensiven Diskussion stellen. Die Fans würden dem nächsten Länderspielfenster im März eher entgegendämmern. Gewinnt sie, kann eine neue Dynamik nach dem Türkei-Rückschlag entstehen.
Seine Spieler müssten auf "demselben Emotionsniveau sein" wie der Gegner, "jeder einzelne Spieler", fordert Nagelsmann: "Dann wird sich die größere Qualität durchsetzen."
Seine Taktik-Idee wird der Bundestrainer voraussichtlich konsequent durchziehen. Mit überschwänglichem Lob für Kai Havertz, den neuen Linksverteidiger bzw. Schienenspieler mit Vorwärtsdrang, hat er sich dazu selbst die Vorlage gegeben. Sensationell, gar "Weltklasse" sei die Leistung des umgeschulten Offensivspielers in Berlin gewesen, schwärmte Nagelsmann.
Allerdings wackelte die Defensive insgesamt wieder mal bedenklich. Kann es der Abwehr tatsächlich Stabilität bringen, die Abwehr zu schwächen? Havertz bekomme auf dieser Position die Chance, "ein prägender Spieler der Heim-EM zu werden", betonte Nagelsmann.
Das klingt so gar nicht, als würde er das Experiment - das er selbst partout nicht so nennen will - wieder einstampfen. Gut möglich aber erscheint, dass er in der Zentrale den wieder voll fitten Routinier Mats Hummels bringt.
Wichtiger als die Aufstellung ist Nagelsmann ohnehin die Leidenschaft. Stehe dabei der Zeiger auf Anschlag, müsse die Taktik gar nicht so brillant ausgefeilt sein. Der Bundestrainer hatte bei seinem Amtsantritt verkündet, er werde die Dinge einfach halten, wie Rudi Völler beim Sieg gegen Frankreich ("Einfachheit in Perfektion").
Doch seine Havertz-Rochade widerspricht diesem Ansatz. Plötzlich ändern sich Laufwege, Absicherungsmodelle, Havertz schien bei gegnerischem Ballbesitz nicht zu wissen, wie hoch er stehen soll - wie auch, ihm fehlen die Erfahrungswerte. Fünf Spiele sind es nur noch, bevor in sieben Monaten die Heim-EM beginnt. Mit ganz viel Emotion.
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