Streich sei Dank! Freiburg trotzt düsteren Prognosen
24.12.2020 | 10:48 Uhr
Dem SC Freiburg war nach den Abgängen von drei Leistungsträgern eine schwierige Saison vorausgesagt worden. Einige sahen die Breisgauer sogar als Abstiegskandidaten. Doch die Mannschaft von Trainer Christian Streich ist auf dem besten Weg, die Negativ-Prognosen zu widerlegen. Wieder einmal.
"Manchmal denken sie, wenn sie gegen Freiburg verlieren, geht es nicht mehr weiter. Das verstehe ich gar nicht. Man kann doch mal gegen Freiburg verlieren."
Mit diesen Sätzen, die sich auf Schalkes 0:2-Niederlage gegen seine Mannschaft und die anschließende Entlassung von Schalke-Trainer Manuel Baum bezogen, hatte Christian Streich nicht nur die Reihe seiner Kult-Sprüche weiter ausgebaut. Freiburgs Trainer hatte ganz einfach die Wahrheit gesagt.
Schalke 04, Hertha BSC, Arminia Bielefeld und der VfB Stuttgart, am Abend Gegner im DFB-Pokal, haben allesamt in dieser Saison schon gegen den SC Freiburg verloren. Besser platzierte und mit wesentlich größerer Finanzkraft ausgestattete Teams wie Mönchengladbach oder Wolfsburg haben gegen Streichs Mannschaft immerhin nicht gewonnen.
Mit 17 Punkten steht der Sportclub nach 13 Bundesligaspielen auf Platz zehn. "Wir stehen verdient dort, wo wir stehen. Wir haben die Punkte wahrlich nicht gestohlen. Es stellt das dar, was die Mannschaft geleistet hat", meinte Streich auf der Pressekonferenz vor dem Pokalspiel in Stuttgart (ab 20:45 Uhr LIVE auf Sky). "Es ist schön, dass die Mannschaft einem Freude macht. Ich möchte nicht dran denken, wie es wäre, wenn wir jetzt mit sechs, acht oder neun Punkten dastehen würden", sagt der Freiburger Trainer.
Dabei hatten nicht wenige Fachleute die Breisgauer vor der Saison auf einen Abstiegs- oder Relegationsplatz getippt. Zu schwerwiegend seien dieses Mal die erneuten Verluste von Leistungsträgern.
Im Sommer hatten Torwart Alexander Schwolow, und die beiden Nationalspieler Robin Koch (Innenverteidigung) und Luca Waldschmidt (Sturm) den Verein verlassen. Zwar tätigten die Breisgauer in Mittelfeldspieler Baptiste Santamaria, der für zehn Millionen Euro aus Angers kam, den teuersten Transfer ihrer Klubgeschichte, doch in der Fachwelt überwogen die Zweifel, dass Freiburg den Klassenerhalt schaffen könne.
Dass es trotz aller Unkenrufe und eines etwas holprigen Starts nun so aussieht, als könne der Sportclub die düsteren Prognosen widerlegen, liegt daran, dass die Verantwortlichen das getan haben, was sie seit Jahren tun: Sie haben seriös gearbeitet. Streich hat zusammen mit Sportvorstand Jochen Saier und Chefscout Klemens Hartenbach wieder ein konkurrenzfähiges Team auf den Platz gestellt, das viele Gegner auch taktisch vor Probleme stellt.
Freiburg spielt eher abwartend und lässt im Schnitt knapp 15 gegnerische Pässe zu, ehe eine Defensivaktion erfolgt. Dass dies allerdings nicht unbedingt etwas Schlechtes sein muss, zeigt das Beispiel Union Berlin, die im Schnitt 17 gegnerische Pässe zulassen und damit in der Tabelle auf Platz sechs stehen.
Gegen Freiburg wurden in dieser Saison nur 41 hohe Ballgewinne erzielt (höchstens 40 Meter vom eigenen Tor entfernt), so wenige wie gegen keine andere Mannschaft.
Bemerkenswert ist auch, dass Spieler wie Vincenzo Grifo und Jonathan Schmid ihr Können in Freiburg wesentlich besser entfalten als bei ihren anderen Stationen.
Grifo (kehrte 2019 aus Hoffenheim zurück und ist mit Unterbrechungen seit 2015 in Freiburg) hat bereits sechs Tore auf seinem Konto - mehr Treffer innerhalb einer gesamten Bundesligasaison gelangen ihm nur 2018/19, als er einmal für Hoffenheim und sechsmal für Freiburg traf.
Grifos zehn Torbeteiligungen nach 13 Spieltagen sind eingestellter Vereinsrekord für einen Freiburger seit dem Beginn der detaillierten Datenerfassung in der Saison 2004/05 - zuvor war dies nur Papiss Demba Cisse (2010/11 und 2011/12) gelungen.
Bei Schmid (kehrte 2019 aus Augsburg zurück und spielt inklusive der U19 mit Unterbrechungen seit 2009 im Verein) sind die Leistungen in Bezug auf Torbeteiligungen, Dribblings und Flankengenauigkeit deutlich besser als während seiner Zeit in Hoffenheim und beim FCA.
Die verbesserten Daten sind auch ein Beleg dafür, dass Streich den richtigen Zugang zu den Spielern findet - und sie besser macht.
"Christian Streich schafft es immer wieder, die Spieler dahin zu bringen, dass sie für ihn und die Mannschaft um ihr Leben rennen", sagt Sky Reporter Alexander Bonengel, der Streich seit Beginn seiner Amtszeit als Profitrainer beobachtet.
Streich sei "das beste Beispiel dafür, was ein Trainer mit Ansprache, natürlicher Autorität und Charisma erreichen kann".
Streich ist der richtige Trainer am richtigen Platz, und der SC Freiburg war und ist der Ruhepol im häufig überhitzten und hektischen Geschäft Profifußball.
Wenn andere Vereine nicht mehr weiterwissen, ist oft der Trainer das schwächste Glied in der Kette. In Freiburg sitzt Streich nun schon seit neun Jahren auf der Bank. Schalke hatte mit Baum im gleichen Zeitraum neun Chefcoachs verschlissen.
Sky Reporter Bonengel vergleicht Freiburgs Chefcoach mit einem, den er sehr gut aus dessen Mainzer Zeit kennt: Mit seiner Art sei "Streich der Trainer, der Jürgen Klopp am Nächsten kommt."
Das gilt manchmal auch für seine Sprüche.
*Datenquelle: Opta