Drama um Everton: The People's Club am Abgrund
17.02.2023 | 20:47 Uhr
Toni Tomic widmet sich in seiner Kolumne einem Traditionsklub der Premier League. Dem FC Everton droht der Abstieg. Der Sky Experte nennt die Gründe.
Everton Football Club. Welch klangvoller Name !
Auch wenn der letzte Titel mit dem FA Cup 1995 mittlerweile fast 28 Jahre her ist.
Dieser Klub ist eine Institution und gehört in die Premier League wie das Pint zum Spiel im Goodison Park. Der nur noch knapp 18 Monate das Heim der Toffees sein wird.
Nicht vorstellbar, dass Everton in einem neuen, anderen Stadion spielen wird. Einem Stadion für knapp 53.000 Zuschauer unten an den Docks am Mersey River.
Bei meiner letzten Taxifahrt in Liverpool hat mir der Fahrer, ein alter Everton-Fan, gesagt, er wisse nicht, was er machen wird an diesem letzten Tag. Es würde einer seiner traurigsten Tage im Leben werden. Das letzte Heimspiel im altehrwürdigen Goodison Park im Mai 2024.
The People's Club - wie sie sich nennen. Der Schritt in die Moderne als Zweitligist?
Durch das neue Stadion sieht die Zukunft vielversprechend aus, aber die Gegenwart ist ein Scherbenhaufen. Ein selbstgemachtes Chaos.
Englische Fußballgeschichte haben sie geschrieben in den 80er-Jahren mit zwei Meistertiteln und dem Europapokalsieg der Pokalsieger 1985.
Auf dem Weg dahin im Halbfinale die Bayern filetiert mit einer goldenen Generation. Southall, Ratcliffe, Gray, Steven, Reid, Sharp, später Lineker. Was waren das für Typen! Unter Trainer Howard Kendall.
Und heute? Blanke Abstiegsangst. Die zweite Saison in Folge. Frank Lampard hat auf den letzten Drücker in der vergangenen Saison mit dem 3:2 gegen Crystal Palace den Abstieg verhindert. Und wurde vor zwei Wochen entlassen. Auf einem Abstiegsplatz. Die Lage ist weiterhin dramatisch.
Lampard, der achte Trainer in den letzten sieben Jahren neben drei Sportdirektoren, die ihren Hut nehmen mussten, hat es nicht geschafft, die Mannschaft spielerisch weiterzuentwickeln.
Zugegebenermaßen hatte Everton mit Richarlison einen Leistungsträger als Abgang im Sommer 2022, den man nie auffangen konnte. Im Winter verließ mit Anthony Gordon ein Eigengewächs das sinkende Schiff. Zugänge, die das Qualitätsloch stopfen sollten, sucht man vergebens.
Wie auch die Millionen, die regelrecht unter Eigentümer Farhad Moshiri seit 2016 "verbrannt" wurden. Everton ist der Klub mit den sechsthöchsten Ausgaben seit 2016. Platz 18 im Gegenzug ist ein Armutszeugnis.
Acht Trainer, die jeder für sich ihre Mannschaft zusammenstellen durften, und jeder musste die "Altlasten" des Vorgängers entsorgen.
Der Klub wurde systematisch heruntergewirtschaftet und sportlich enteiert. Im Dezember 2020 stand man noch auf Platz zwei. Seither ist der Klub regelrecht kollabiert. Kein Plan, keine Kommunikation, keine Vision.
Dabei muss man sagen, dass viele der Ex-Trainer nach ihrer Everton-Station Erfolge feierten: Roberto Martinez als belgischer Nationaltrainer, Marco Silva stieg mit Fulham auf und ist jetzt Siebter, Carlo Ancelotti wurde Champions League Sieger etc.
Mit Blick auf den Kader kommt man zu dem Schluss: gut, aber nicht gut genug für mehr als Mittelmaß. Aber gut genug, um die Klasse zu halten?
Und jetzt Sean Dyche. Neuer Trainer - neues Glück. Der Mann, der die Inkarnation des englischen Kick and Rush ist und der diesen Stil bei Burnley "salonfähig" gemacht hat in Zeiten des Pressings, des Tiki-Taka und des Jogo Bonito.
Es wird für Everton nur über den Kampf und den Zweikampf gehen. Typen haben sie dazu, aber ein spielerischer Leckerbissen ist nicht zu erwarten. Denn spielerisch ist aus diesem Team nicht viel herauszuholen.
Beim 1:0 Sieg gegen Arsenal haben sie gezeigt, dass sie nur aus einer defensiven Position erfolgreich sein können, auch über Standardsituation. Das 0:2 im Liverpooler Derby beim LFC war ein Rückfall in alte Zeiten. Fußball ist Arbeit geworden im Goodison Park.
Nachdem er über lange Zeit ein Ort war, an den kein Gegner gerne hinkam. Hoffnung gibt einzig der Restspielplan. Es geht größtenteils gegen Gegner aus dem Mittelfeld oder aus dem Keller.
Zum Zeitpunkt des Vorjahres war das noch ganz anders. Da spielten sie größtenteils gegen die Großen der Liga. Und blieben drin. Im letzten Heimspiel.
Heimspiele von Everton werden wieder für die heißblütigen und treuen Everton-Fans ein Gang nach Canossa. Sie sollten zusehen, dass sie es auch für die Gegner werden.