Formel 1: Debatte um Mythos Eau Rouge - Kritik von Alonso, Hamilton, Stroll & Co.
Mythos Eau Rouge: Zwischen Faszination und Gefahr
27.07.2023 | 18:14 Uhr
Am kommenden Wochenende steigt der Große Preis von Belgien in Spa. Die historische Strecke sorgte in der Vergangenheit für einige spektakuläre Rennen, doch über der legendärsten Kurve in der Formel 1 schwebt eine große Sicherheitsdebatte.
Sie ist wohl die legendärste, atemberaubendste und zugleich gefährlichste Kurve aller Rennstrecken im Formel-1-Kalender: Die Eau Rouge. Die Kurve, die nach dem rötlich gefärbten nahegelegenen Fluss benannt ist, bringt seit Jahrzehnten die Piloten an ihre Grenzen.
Faszination Eau Rouge: Vollgas in den Blindflug
Mit über 300 Kilometer in der Stunde schießen die Formel-1-Fahrer Vollgas durch die Links-Rechts-Kurvenkombination, werden bei einer Steigung zwischen 15 und 18 Prozent mit Kräften bis zu 5G in den Sitz gepresst und fliegen nahezu blind auf die anschließende Gerade.
1991 gab Michael Schumacher in Spa sein Formel-1-Debüt, ein Jahr später feierte er genau dort seinen ersten Karrieresieg in der Königsklasse. Mit sechs Siegen ist er bis heute Rekordsieger auf der traditionellen Strecke, "die Faszination liegt in der Architektur der Kurve", schwärmte einst "Schumi" über die Eau Rouge. "Erst rein in die Kuhle, danach den Berg hoch und das in Kombination mit der Geschwindigkeit."
Hubert stirbt 2019 nach Horror-Crash
Eben genau diese Geschwindigkeit auf dem gesamten Kurs, aber auch in der Eau Rouge sorgt nicht nur für den Mythos, sondern auch für die Gefahr. 2019 starb Formel-2-Fahrer Antoine Hubert, als er in der Eau Rouge die Kontrolle über sein Auto verlor, nach seinem Aufprall in der Auslaufzone zurück auf die Strecke geschleudert und von einem dahinterfahrenden Fahrzeug frontal getroffen wurde.
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Auch Juan Manuel Correa, der mit rund 270 Stundenkilometern mit Hubert kollidierte, überlebte mit 20 Frakturen an Beinen und Füßen, zwei Wirbelbrüchen, Schäden an der Lunge nach zwei Wochen im künstlichen Koma nur knapp wie glücklich, brauchte anschließend mehr als ein Jahr Rehabilitation, um das Laufen neu zu lernen - 2021 gab er in der Formel 3 sein Comeback und fuhr ein Jahr später in Spa auf den zweiten Platz.
Eau Rouge schon immer mit Sicherheitsproblem
Der damals tragische Tod Huberts befeuerte die Diskussionen um die Sicherheit sowohl im Motorsport, als auch auf der Strecke in Belgien. "Wenn ein Einziger von euch, der diesen Sport beobachtet und genießt auch nur eine Sekunde lang denkt, dass das, was wir tun sicher ist, dann irrt er sich gewaltig", wurde Lewis Hamilton nach dem Horror-Unfall von Hubert deutlich. Faszination und Tragik lagen in der Eau Rouge dabei schon immer nah beisammen.
Im Jahr 1985 verunglückte der deutsche Rennfahrer Stefan Bellof nach einer Kollision in der Eau Rouge tödlich, anschließend wurde die Auslaufzone erweitert und besser abgesichert. Es folgten zahlreiche spektakuläre Momente, in denen Fahrer alles riskierten. 2011 schossen Mark Webber und Fernando Alonso nebeneinander durch die Kurvenkombination, die große Begeisterung über dieses von vielen als mutig gelobte Manöver konnte Gerhard Berger damals nicht teilen. "Wenn du da abfliegst, bist du tot", warnte der ehemalige Rennfahrer schon damals.
Stroll fordert Streckenumbau
Genau dieses Schicksal traf jüngst den erst 18-jährigen Nachwuchsfahrer Dilano van't Hoff, der in der Formula Regional bei nasser Strecke in einer Massenkarambolage nach der Eau Rouge ums Leben kam. "Was passiert ist, ist nicht fair", forderte Lance Stroll einen Umbau der Streckenpassage. "Man muss sich die Kurve anschauen und ändern, weil wir in fünf Jahren zwei junge Talente verloren haben."
Auch Pierre Gasly, der mit dem nur vier Jahre zuvor verunglückten Hubert eng befreundet war, forderte nach dem erneuten Unglück ein Umdenken. "Es muss sichergestellt werden, dass solche Szenarien in Zukunft nicht mehr vorkommen", so der Alpine-Pilot. Ferrari-Fahrer Charles Leclerc pflichtet seinen beiden Kollegen bei und plädiert ebenfalls einen Umbau.
Tragödien überwiegen der Faszination
Auf der einzigartigen Strecke voller besonderer Kurven, die aufgrund ihres Höhenunterschieds von rund 100 Metern auch "Ardennen-Achterbahn" genannt wird, überwogen zuletzt Tragödien der Faszination.
"Die Frage ist, was man machen kann, um mehr Sicherheit zu generieren", meinte Timo Glock bei Sky - eine einfache Lösung gibt es nicht. Gerade das Wetter mit etlichen Regenschauern ist immer wieder ein Thema in Spa, beim Unglück von van't Hoff spielte die mangelnde Sicht eine große Rolle.
"Ich denke, der größte Faktor ist die Sicht", meinte auch Fernando Alonso über das jüngste Unglück. Das könne zwar auf jeder Rennstrecke passieren, dennoch müsse es "das letzte Mal sein, dass das passiert".
Schikane vor Eau Rouge als Lösung?
Sky Experte Ralf Schumacher brachte als mögliche Lösung eine Streckenänderung vor der Eau Rouge ins Gespräch: "Man muss eine Bremsschikane vor Eau Rouge einbauen. Das reduziert die Geschwindigkeit drastisch und so auch die Gefahr eines Frantalcrashs bei Highspeed", erklärte Schumacher in der Autobild.
Gerade der "Blindflug" aus der Kurve mit Vollgas ist problematisch, "wenn dann einer in der Fahrlinie steht, kannst du nicht mehr reagieren", so Schumacher.
Regnerische Wetterprognose: Debatte um Eau Rouge geht weiter
"Du siehst den Berg vor dir, wie eine undurchdringliche Wand. Dann den Himmel, grau oder blau", beschrieb Gerhard Berger den Adrenalin-Kick der Eau Rouge. Mit dem Tod von van't Hoff ist die Gefahr der Kurve einmal mehr deutlich und nahbar geworden.
Auch am kommenden Wochenende ist eine hohe Regenwahrscheinlichkeit in Spa vorhergesagt, es erinnert an 2021, als Lando Norris schon im Qualifying aufgrund von Aqua Planing in der Eau Rouge ohne Chance auf Kontrolle abflog und das Rennen am Folgetag mit nur zwei Runden unter dem Safety Car beendet wurde.
Nach dem jüngsten Unglück bleibt die Frage nach der Sicherheit in Spa Thema. Der Mythos Eau Rouge, der Zwiespalt zwischen Spektakel und Unheil - die Debatte um die legendärste Kurve in der Formel 1 wird auch am kommenden Wochenende weitergehen.