Pointen in der Crunchtime
31.03.2023 | 18:28 Uhr
Der Hamburger SV gastiert am 26. Spieltag bei Verfolger Fortuna Düsseldorf. Die Hamburger kämpfen dabei gegen den leicht abwärts zeigenden Trend - dürfen aber gleichzeitig auf lautstarke Unterstützung der eigenen Fans hoffen.
Nicht wenige Beobachter haben ihr Urteil bereits gefällt. Für sie ist der Wiederaufstieg des HSV im fünften Anlauf ungefähr so wahrscheinlich, als würde sich Punk-Ikone Campino in einen Frack pressen und vor seiner königlichen Hoheit den Bückling machen. Moment mal… Vieles ist möglich - vor allem im Fußball. Und um bei den unumstößlichen Fakten zu bleiben: Vor dem äußerst wichtigen Spiel bei Fortuna Düsseldorf stehen die Hamburger mit sieben Punkten Vorsprung auf den nächsten Gegner auf Platz drei der Tabelle. Und selbst bei einer Niederlage wäre das große Ziel weiterhin in Greifweite.
Der Trend der letzten Spiele spricht natürlich nicht für den HSV. Dass Kapitän Sebastian Schonlau gelbgesperrt fehlen wird, ist eine erhebliche Schwächung. Die dauerhafte Abwesenheit des kroatischen Abwehr-Überfliegers Mario Vuskovic ist ja bereits seit November eine permanente Bürde - nicht nur in sportlicher Hinsicht.
Probleme gibt es also wieder mal mehr als genug im Volkspark. Auch auf der Führungsebene. Die - bislang unwidersprochenen - heftigen Beleidigungen gegen Präsident Marcell Jansen während einer Gesellschafter-Sitzung sind ein weiterer Beleg für die bisweilen schmierige Debatten-Kultur innerhalb des stolzen Hamburger Traditions-Klubs. Die große Stärke in der aktuellen Konstellation: Tim Walter und sein Team haben sich in den Disziplinen "Rückschläge wegstecken" und "Nebengeräusche ausblenden" als äußerst versiert erwiesen. Es erscheint also keineswegs übertrieben, den Faktor Widerstandsfähigkeit auf der Haben-Seite der Hamburger Aufstiegsrechnung zu notieren.
Die gern genutzte These, der HSV sei entschlüsselt, Tim Walters Trainer-Repertoire zu eindimensional, kommt bei genauerer Betrachtung ebenfalls kaum über Kartenhaus-Niveau hinaus. Ja, der Coach setzt auf Ballbesitz und Dominanz - und zwar seit er zu Beginn der vergangenen Saison die Verantwortung übernommen hat. Dabei ist bekanntermaßen der Relegationsplatz herausgesprungen. In der laufenden Spielzeit hat die alternativlose Spielanlage bislang zu 15 Siegen geführt. Zusätzlich zur Punkteausbeute ist - sozusagen als attraktives Beiprodukt - eine Menge Begeisterung entstanden. Die Heimspiele bis zum Saisonende werden mit einiger Wahrscheinlichkeit allesamt ausverkauft sein, 20.000 Hamburger machen sich heute auf den Weg nach Düsseldorf. Die Unterstützung der Anhänger ist imposant und bleibt ein Riesenpfund in der Crunchtime dieser Spielzeit.
Eben diese Spielzeit könnte - wie es ausschaut - noch eine spektakuläre Pointe in petto haben. Denn der dösende Stadtrivale hat sich rechtzeitig vor dem Derby den Schlaf aus den Augen gerieben und brennt beflügelt von Fabian Hürzelers Feenstaub seit acht Spielen ein beachtliches Dauer-Dreier-Feuerwerk ab. Die aktuellen Hochrechnungen legen den Schluss nahe, dass der Kampf um die sportliche Vorherrschaft in Hamburg zu einem Duell um die Aufstiegsplätze werden wird.
Übrigens auch eine günstige Gelegenheit für die beiden Hamburger Trainer, mal wieder in gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen. Hürzeler und Walter, die einander schätzen, haben im August 2017 einen denkwürdigen emotionalen Schlagabtausch in die Geschichtsbücher der bayerischen Regionalliga gestanzt. Hürzeler erzielte als Spielertrainer des FC Pipinsried erst das Siegtor beim hohen Favoriten Bayern München ll und kassierte später die Rote Karte. Die anschließende Schreierei zwischen Platzhirsch Walter und seinem damals 24-jährigen Herausforderer soll laut Zeugenaussagen epische Ausmaße angenommen haben.
Ein bisschen Extra-Dampf auf dem Derby-Kessel ist also garantiert. Der entscheidende Unterschied bei den Ausgangspositionen: Von St. Pauli fordert niemand irgendwas, vom HSV hingegen ALLE den Aufstieg. Letzteres gilt vor allem auch für die Verantwortlichen im Volkspark, die sich selbst sehr bewusst die größtmögliche Erwartungshaltung auf die eigenen Schultern gepackt haben. Quälende Personaldebatten nach Saisonende können Klub-Boss Jonas Boldt, Tim Walter & Co. nur vermeiden, wenn sie die eigenen Erwartungen vollumfänglich erfüllen können.
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