Sky Moderator und Kult-Podcastler Maik Nöcker spricht nach der 50+1-Entscheidung Klartext zur Lage der Liga. Das Gesicht von "Meine 11" und dem "Fußball MML - der Sky Podcast" haut nicht nur drauf, er hat auch konstruktive Vorschläge, wie es für den Fußball in Deutschland weitergehen kann.
Die Bundesliga hat in der vergangenen Woche nach vier Stunden Beratung bestimmt, dass 50+1 weiterhin unantastbar bleibt. Das ist sehr bedauerlich und damit meine ich weniger die Entscheidung an sich. Vielmehr finde ich die Tatsache bedenklich, dass darüber nur vier Stunden diskutiert wurde.
Fußball in den letzten Jahren schwer überdreht
Aus meiner Sicht geht es aber aktuell um nichts Geringeres als die Zukunft der Bundesliga. Spielstärke und Attraktivität wurden in den letzten Wochen von Vielen kritisiert. Zuletzt von Jogi Löw. Die Stadien sind nicht mehr bedingungslos ausverkauft, was erkennen lässt, dass der Fußball insgesamt in den letzten Jahren schwer überdreht wurde.
Auch wächst gerade die "Generation FIFA" heran. Kinder und Jugendliche, die durch Spielkonsolen problemlos den Kader von City, PSG oder Juve auswendig kennen, sich aber nicht im Geringsten mehr für beispielsweise Mainz gegen Freiburg interessieren. Der Fußball in Deutschland muss sich neu erfinden. Seine Entscheider verschließen aber offensichtlich nach nur vier Stunden genau davor leichtfertig die Augen.
Bayern und BVB spätestens in 10 Jahren in anderer Liga
Unser Fußball-System ist auf Wachstum ausgerichtet. Das kann man kritisieren, aber in einem Geschäft mit Aktionären und Anteilseignern nicht wirklich ändern. Ich behaupte, wenn sich die Bundesliga nicht weiter entwickelt, spielen der FC Bayern und wohl auch Borussia Dortmund in spätestens 10 Jahren in einer Europa- oder gar einer Weltliga. Alleine deshalb, weil man auf der Suche nach Wachstum immer nur auf die eine Idee kommt, die Premier League zu kopieren. Auf ganz unterschiedlichen Ebenen ist das der falsche Weg!
Ich finde, die Diskussion um die Zukunft von 50+1 wird viel zu dogmatisch geführt. Entweder gehört man zu den Guten, die die Tradition ehren oder man ist Anhänger des kapitalistischen Bösen. Dabei wäre ein kreativer, vorurteilsfreier Austausch der verschiedenen Positionen gerade jetzt ausgesprochen wichtig.
Für internationalen Erfolg muss 50+1 zwingend fallen
Bundesliga und Fans müssen sich eine ganz banale Frage stellen: wollen wir, dass deutsche Mannschaften auch in Zukunft mal wieder internationale Erfolge feiern? Wenn das mit JA beantwortet werden soll, MUSS in der jetzigen Ausrichtung 50+1 zwingend fallen. Modifiziert oder mit Auflagen, aber so, wie sich die Bundesliga aktuell präsentiert und vermarktet, kommen wir daran nicht vorbei.
ODER man erfindet sich neu und konzentriert sich auf seine Stärken. Tolle Stadien, gute Stimmung, (in der Regel) schuldenfreie Vereine, eine aktive und politische Fan-Szene. Das alles sind herausragende, vielleicht sogar einzigartige Merkmale der Bundesliga. (Ich versuche Werbesprech wie USP, Markenkern, DNA und Gedöns zu vermeiden) Ernsthaft: Marken außerhalb des Fußballs suchen gerade nach Bestimmung und Nachhaltigkeit, nach sozialer Sinnhaftigkeit. Warum nicht auch die Bundesliga?
Wenn wir so sehr an 50+1 und Tradition hängen, warum unterstreicht die Bundesliga diese Eigenschaften, die sie seit jeher auszeichnet, dann nicht fett? In England die Scheichs, in Spanien die Schulden, in Italien die Rechten, aber in Deutschland wird ehrlicher, fairer Fußball gespielt. Natürlich ist das überspitzt, aber es ist zumindest eine Idee, ein konstruktiver Vorschlag. Gemeckert wurde schließlich genug.
Was für eine Liga wollen wir sein?
Statt jetzt wieder alles so weiterlaufen zu lassen, wäre es aus meiner Sicht zwingend gewesen, sich endlich mal intensiv und frei von Vorurteilen oder dogmatischen Positionen über die Zukunft Gedanken zu machen. Was für eine Liga wollen wir sein? Wollen wir der Premier League weiter hinterherhecheln oder wollen wir den eigenen, unverwechselbaren Markenkern auf den alle stolz sein können, deutlich machen? Der vielleicht sogar Spieler und Stars bewusst anzieht, weil sie sich mit unseren Werten identifizieren. Vor allem aber ein Kern, der ein Alleinstellungsmerkmal ist, welches, wenn man es konsequent umsetzt, erhebliches Vermarktungspotenzial besitzt.
Hier also mein Vorschlag für eine Bundesliga mit einzigartigem Markenkern UND 50+1. Weil wir den Fussball in Deutschland aus seiner Tradition heraus ehrlich und nachhaltig leben wollen. Dazu gehören Kernpunkte, die jeder Profiverein in Deutschland unterzeichnen muss, wenn er zum Kreis der 36 Profi-Vereine gehören will:
- Fairness ist das höchste Gut der Bundesliga und ich finde, das wird viel zu selten gelebt und gesagt. Das gilt für Spieler, Medien, Funktionäre und Fans. Keine Schwalben, keine Beschimpfungen von Schiedsrichtern, keine Beleidigungen. Dass beispielsweise Sergio Ramos in seiner Karriere ohne nachhaltige Sanktionen mittlerweile über 20 Rote Karten in der spanischen Liga kassiert hat, sollte in der Bundesliga unmöglich sein.
- Stadien müssen nachhaltige Konzepte zu Verkehr, Müll, Baumaterialien und Strom haben.
- Das Sponsoring hat klare Regeln, wer in der Bundesliga werben darf. Marken oder Länder, die den Terror mutmaßlich unterstützen, die Bürgerrechte beschneiden, Frauen unterdrücken, Kinder ausbeuten oder sexistisch werben, sollten nicht dazugehören. Ich finde es ehrlich gesagt höchst scheinheilig, dass Vereine Geschäftsbeziehungen mit Ländern wie Katar pflegen, während das Land von der halben arabischen Welt wegen Terrorunterstützung boykottiert wird.
- Förderung der aktiven und politischen Fan-Szene: In Zeiten von Politikverdrossenheit und Rechtsruck sollten wir stolz darauf sein, dass sich vornehmlich junge Menschen gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie engagieren. Dieser Bewegung muss die Bundesliga auch schützend zur Seite springen, wenn sich beispielsweise in Aachen die Ultra-Bewegung aus Angst auflöst, weil sie von Rechten und Neonazis im Stadion bedroht werden.
- Die Jugendarbeit muss nachhaltig sein. Mit einer selbstauferlegten Quote, dass pro Saison mindestens ein Nachwuchsspieler in den Profikader integriert wird.
Vielleicht macht nicht alles Sinn und sicher lässt sich die Liste noch um viele weitere Punkte ergänzen. Aber dafür braucht es eben mehr als nur vier Stunden. Investiert man diesen Mehraufwand nicht, wird 50+1 irgendwann vom Gesetz des Marktes geschluckt. Spätestens, wenn die Verantwortlichen vor der Wahl stehen, ob die Top-Vereine wie Bayern oder Dortmund weiter in der Bundesliga spielen sollen.