Özil bricht sein Schweigen: Alle Statements im Wortlaut
Nationalspieler äußert sich
26.07.2018 | 21:48 Uhr
Mesut Özil hat sich erstmals öffentlich zur Erdogan-Affäre geäußert und sich zu dem Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten bekannt. Kurz darauf ließ er ein zweites Statement folgen, in dem er gegen Sponsoren, Medien und DFB austeilt. Die Aussagen im Wortlaut:
Teil 1: Mesut Özil zum Erdogan-Bild:
"Die vergangenen Wochen haben mir die Zeit gegeben, zu reflektieren und über die letzten Monate nachzudenken. Daher möchte ich meine Gedanken und Gefühle darüber erklären, was passiert ist.
Wie bei vielen anderen Leuten geht meine Abstammung auf mehr als nur ein Land zurück. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, meine familiären Wurzeln liegen aber in der Türkei. Ich habe zwei Herzen, ein deutsches und ein türkisches. Während meiner Kindheit hat mich meine Mutter gelehrt, immer respektvoll zu sein und nie zu vergessen, wo ich herkomme. Und über diese Werte denke ich bis heute nach.
Im Mai habe ich Präsident Erdogan während eines Charity-Events in London getroffen. Das erste Mal hatten wir uns 2010 getroffen, nachdem er sich zusammen mit Angela Merkel in Berlin das Spiel zwischen Deutschland und der Türkei angeschaut hatte. Seitdem haben sich unsere Wege mehrfach gekreuzt.
Ich bin mir bewusst, dass unser Foto für eine große Resonanz in den deutschen Medien gesorgt hat. Einige haben mir vorgeworfen, ich würde lügen oder ich sei hinterlistig. Aber das Bild, das wir gemacht haben, hatte keinerlei politische Absichten. Wie ich bereits sagte, hat mich meine Mutter dazu gebracht, niemals meine Herkunft, mein Erbe und meine familiären Traditionen zu vergessen.
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Für mich ging es bei einem Foto mit Präsident Erdogan nicht um Politik oder um Wahlen, sondern darum, das höchste Amt des Landes meiner Familie zu respektieren. Mein Beruf ist Fußballer, nicht Politiker und unser Treffen war keine Befürwortung irgendeiner Politik. Tatsächlich haben wir über dasselbe Thema gesprochen wie jedes Mal, wenn wir uns treffen, nämlich Fußball, denn er war selbst Spieler in seiner Jugend.
Auch wenn die deutschen Medien etwas anderes dargestellt haben, ist die Wahrheit, dass die Ablehnung eines Treffens mit dem Präsidenten respektlos gegenüber den Wurzeln meiner Vorfahren gewesen wäre, die mit Sicherheit stolz darüber gewesen wären, wo ich heute bin.
Für mich hat es keine Rolle gespielt, wer der Präsident war, sondern dass es der Präsident war. Respekt vor einem politischen Amt zu haben, ist eine Auffassung, die sicher auch die Queen und Premierministerin Theresa May vertreten haben, als sie Erdogan in London ebenfalls getroffen haben. Ob es der türkische oder der deutsche Präsident gewesen wäre, meine Handlungen wären nicht anders gewesen.
Ich verstehe, dass es vielleicht schwer nachzuvollziehen ist, da in einigen Kulturen ein politischer Führer nicht getrennt von der Person betrachtet werden kann. Aber in diesem Fall ist es anders. Was auch immer das Ergebnis der letzten Wahlen gewesen wäre, oder der Wahlen davor, ich hätte das Bild trotzdem gemacht."
Teil 2: Mesut Özil zu Medien und Sponsoren:
"Ich weiß, dass ich ein Fußballer bin, der in den drei vermutlich härtesten Ligen der Welt gespielt hat. Ich kann mich glücklich schätzen, großartige Unterstützung von meinen Teamkollegen und Trainern erhalten zu haben, während ich in der Bundesliga, in La Liga und in der Premier League gespielt habe. Und zusätzlich habe ich während meiner gesamten Karriere gelernt, wie ich mit den Medien umgehen muss.
Viele Leute sprechen über meine Leistungen - einige applaudieren, einige kritisieren. Wenn eine Zeitung oder ein Experte Fehler finden, die ich im Spiel gemacht habe, kann ich das akzeptieren. Ich bin kein perfekter Fußballer und das motiviert mich oft, noch härter zu trainieren. Aber was ich nicht akzeptieren kann, ist, wenn deutsche Medien meine Herkunft und ein einfaches Bild als Erklärung für eine schlechte Weltmeisterschaft des gesamten Kaders hernehmen.
Diverse deutsche Zeitungen nutzen meinen Hintergrund und das Foto mit Präsident Erdogan als rechte Propaganda, um deren politische Haltung zu unterstützen. Warum sonst nutzen sie Bilder und Überschriften mit meinem Namen als direkte Erklärung für die Niederlagen in Russland?
Sie kritisieren nicht meine Leistung, sie kritisieren nicht die Leistung des Teams, sie kritisieren nur meine türkische Abstammung und meinen Respekt davor. Das überschreitet eine persönliche Linie, die niemals überschritten werden sollte, da die Zeitungen versuchen, die deutsche Nation gegen mich aufzubringen.
Was ich auch enttäuschend finde, sind die unterschiedlichen Maßstäbe, die die Medien anlegen. Lothar Matthäus (ein hoch dekorierter Kapitän der Nationalmannschaft) hat sich vor einigen Tagen mit einem anderen Weltführer (Russlands Präsident Wladimir Putin, Anm.d.Red.) getroffen und fast keine Kritik bekommen.
Trotz seiner Rolle im DFB haben sie nicht von ihm verlangt, seine Handlungen zu erklären. Er vertritt weiter die Spieler Deutschlands ohne irgendeine Verwarnung. Wenn die Medien gefordert haben, dass ich aus dem WM-Kader fliegen soll, sollte er dann nicht sein Ehrenspielführeramt abgeben? Macht meine türkische Abstammung mich zu einem wertvolleren Ziel?
Ich habe immer gedacht, dass eine Partnerschaft Unterstützung beinhaltet, sowohl in guten als auch in schlechteren Zeiten. Ich hatte geplant, meine frühere Schule Berger-Feld in Gelsenkirchen zu besuchen, zusammen mit meinen Charity-Partnern. Ich habe ein einjähriges Projekt gegründet, wo Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder aus ärmeren Familien und andere Kinder zusammen Fußball spielen können und soziale Regeln für das Leben lernen.
Aber einige Tage, bevor ich kommen wollte, wurde ich von meinen so genannten 'Partnern' verlassen, weil sie nicht länger mit mir zusammenarbeiten wollten. Zusätzlich hat die Schule meinem Management mitgeteilt, dass sie mich nicht länger sehen wollen, weil sie aufgrund meines Fotos mit Präsident Erdogan Angst vor den Medien und vor der rechten Partei in Gelsenkirchen hätten. Um ehrlich zu sein, schmerzt das. Obwohl ich einer ihrer Schüler war, habe ich mich unerwünscht und ihrer Zeit wertlos gefühlt.
Hinzu kommt, dass sich ein weiterer Partner von mir losgesagt hat. Dabei handelt es sich auch um einen Partner des DFB, vor der WM wurde ich gebeten, an Werbevideos teilzunehmen. Nach meinem Bild mit Präsident Erdogan haben sie mich aus der Kampagne genommen und alle weiteren geplanten Werbeaktivitäten gestrichen. Für sie war es nicht länger tragbar, zusammen mit mir gesehen zu werden und in einer Situation, die sich 'Krisenmanagement' nennt.
Das ist sehr ironisch, denn ein deutsches Ministerium hatte ihre Produkte für illegal erklärt, da sie unautorisierte Software beinhalte, die das Risiko für den Kunden erhöhe. Hunderttausende ihrer Produkte wurden zurückgerufen. Während ich kritisiert und vom DFB aufgefordert wurde, meine Handlungen zu erklären, gab es keine solche offizielle und öffentliche Aufforderung an den DFB-Sponsor. Warum? Habe ich nicht recht, dass das viel schlimmer ist als ein Foto mit dem Präsidenten des Landes meiner Familie? Was sagt der DFB zu alldem?
Wie ich zuvor sagte, 'Partner' sollten in jeder Situation an deiner Seite stehen. Adidas, Beats und BigShoe waren extrem loyal und es war unglaublich, mit ihnen in dieser Zeit zu arbeiten. Sie standen über dem Nonsens, der von den deutschen Medien kreiert wurde und wir setzen unsere professionelle Zusammenarbeit, die ich immer genossen habe, fort. Während der WM habe ich mit BigShoe zusammengearbeitet und geholfen, 23 Kindern in Russland lebensrettende Operationen zu ermöglichen, so wie ich es bereits in Brasilien und Afrika getan habe.
Das ist für mich das Wichtigste, was ich als Fußballer mache. Aber die Zeitungen finden keinen Platz, diese Dinge zu würdigen. Für sie ist es wichtiger, wenn ich ausgebuht werde. Oder ein Bild mit einem Präsidenten ist für sie anscheinend bedeutender, als Kindern auf der ganzen Welt durch Operationen zu helfen. Sie hätten auch die Möglichkeit, die Wahrnehmung dafür zu erhöhen und Finanzmittel zu besorgen. Aber sie haben sich entschieden, das nicht zu machen."
Teil 3: Rücktritt und Abrechnung mit DFB-Boss Grindel
"Die Sache, die mich in den letzten Monaten am meisten frustriert hat, war die Fehlbehandlung durch den DFB, und im Speziellen durch DFB-Präsident Reinhard Grindel. Nach meinem Bild mit Präsident Erdogan wurde ich von Joachim Löw gebeten, meinen Urlaub zu verkürzen, nach Berlin zu fahren und ein gemeinsames Statement abzugeben, um die Diskussionen zu beenden und den Sachverhalt richtig zu stellen.
Als ich versucht habe, Grindel mein Erbe und meine Herkunft, also die Gründe für das Bild, zu erklären, war er viel mehr daran interessiert, über seine eigenen politischen Ansichten zu sprechen und meine Meinung zu verharmlosen. Während seine Handlungen herablassend waren, haben wir beschlossen, dass es das Beste wäre, sich auf den Fußball und die kommende Weltmeisterschaft zu konzentrieren.
Das ist der Grund, warum ich nicht am DFB-Medientag während der WM-Vorbereitung anwesend war. Ich wusste, dass Journalisten, die über Politik und nicht Fußball berichten würden, mich nur attackiert hätten, obwohl die ganze Sache nach dem TV-Interview von Oliver Bierhoff vor dem Spiel gegen Saudi-Arabien in Leverkusen beendet hätte sein sollen.
Während dieser Zeit habe ich auch den Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier, getroffen. Im Gegensatz zu Grindel war Präsident Steinmeier professionell und wirklich interessiert, was ich über meiner Familie, meiner Herkunft und meinen Entscheidungen zu sagen hatte. Ich erinnere mich, dass das Treffen nur zwischen mir, Ilkay und Präsident Steinmeier stattfand, Grindel war verärgert, dass er nicht dabei sein durfte, um seine eigene politische Karriere zu forcieren.
Ich hatte mit Präsident Steinmeier vereinbart, ein gemeinsames Statement zu diesem Thema zu veröffentlichen, ein weiterer Versuch, um voranzukommen und uns auf Fußball zu konzentrieren. Aber Grindel war verärgert, dass es nicht sein Team war, dass das erste Statement veröffentlicht hatte, er war verärgert, dass die Presseabteilung Steinmeiers in dieser Sache die Führung übernommen hat.
Seit dem Ende der Weltmeisterschaft ist Grindel bezüglich seiner Entscheidungen vor dem Turnier stark unter Druck geraten, und das zurecht. Vor kurzem sagte er öffentlich, dass ich ein weiteres Mal meine Handlungen erklären solle und gab mir die Schuld für die schlechten Leistungen der Mannschaft in Russland, obwohl er mir in Berlin gesagt hatte, dass das Thema erledigt sei. Ich äußere mich jetzt nicht wegen Grindel, sondern weil ich es will.
Ich werde nicht länger der Sündenbock sein für seine Inkompetenz und Unfähigkeit, seinen Job gut zu machen. Ich weiß, dass er mich nach dem Bild aus dem Team haben wollte, und er hat seine Meinung auf Twitter ohne Nachdenken oder Rücksprache veröffentlicht, aber Joachim Löw und Oliver Bierhoff haben mich unterstützt und mir den Rücken gestärkt. In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir verlieren. Obwohl ich Steuern in Deutschland bezahle, Einrichtungen für deutsche Schulen spende und die Weltmeisterschaft 2014 mit Deutschland gewonnen habe, bin ich noch immer nicht in der Gesellschaft akzeptiert. Ich werde behandelt, als wäre ich 'anders'.
Ich wurde mit dem 'Bambi' 2010 als Beispiel für erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft ausgezeichnet, 2014 erhielt ich das 'Silberne Lorbeerblatt' von der Bundesrepublik Deutschland und ich war der 'Deutsche Fußball Botschafter' 2015. Aber ganz klar, ich bin kein Deutscher...? Gibt es Kriterien, um ein ganzer Deutscher zu sein, denen ich nicht gerecht werde? Meine Freunde Lukas Podolski und Miroslav Klose werden nie als Deutsch-Polen bezeichnet, also warum bin ich Deutsch-Türke? Ist es so, weil es um die Türkei geht? Ist es, weil ich ein Moslem bin? Ich glaube, dass hier ein wichtiger Grund liegt.
Durch die Bezeichnung Deutsch-Türke werden Menschen gekennzeichnet, die Familien in mehr als einem Land haben. Ich wurde in Deutschland geboren und erzogen, also warum akzeptieren die Menschen nicht, dass ich Deutscher bin?
Grindels Meinungen können auch am anderen Stellen gefunden werden. Ich wurde von Bernd Holzhauer (ein deutscher Politiker) als 'Ziegenficker' wegen meines Bildes mit Präsident Erdogan und meines türkischen Hintergrundes bezeichnet.
Außerdem sagte mir Werner Steer (Chef des Deutschen Theaters), dass ich mich 'nach Anatolien verpissen soll', ein Gebiet in der Türkei, aus dem viele Migranten stammen. Wie ich schon gesagt habe, mich wegen meiner Familien-Abstammung zu kritisieren und zu beschimpfen ist eine erbärmliche Linie, die überschritten wurde, und Diskriminierung als Mittel für politische Propaganda zu nutzen ist etwas, dass sofort im Rücktritt dieser respektlosen Individuen resultieren sollte.
Diese Menschen haben mein Bild mit President Erdogan als Möglichkeit genutzt, um ihre zuvor versteckten rassistischen Tendenzen nun auszudrücken, und das ist gefährlich für die Gesellschaft. Sie sind um nichts besser als der Deutschland-Fan, der mir nach dem Spiel gegen Schweden gesagt hat 'Özil, verpiss dich du scheiß Türkensau. Türkenschwein hau ab'. Ich möchte Hassmails, Drohanrufe am Telefon und Kommentare in sozialen Medien gegen mich und meine Familie gar nicht diskutieren.
Dies alles steht für das Deutschland aus der Vergangenheit, ein Deutschland, das nicht offen für neue Kulturen war, und ein Deutschland, auf das ich nicht stolz bin. Ich bin mir sicher, dass viele stolze Deutsche, die eine offene Gesellschaft begrüßen, meiner Meinung wären.
Reinhard Grindel, ich bin sehr enttäuscht, aber nicht überrascht von Ihrem Handeln. In 2004, als Sie Mitglied des Bundestages waren, haben Sie behauptet, dass 'Multikulturalität ein Mythos und eine lebenslange Lüge' sei. Sie haben gegen Gesetze für Doppel-Nationalitäten und Strafen für Bestechung gestimmt, und Sie haben gesagt, dass die islamische Kultur in vielen deutschen Städten zu tief verwurzelt sei. Das ist nicht zu vergessen und nicht zu verzeihen.
Wegen der Behandlung durch den DFB und viele andere möchte ich das deutsche Trikot nicht länger tragen. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht gewollt bin und vergessen wurde, was ich seit meinem Debüt 2009 geleistet habe. Leute mit rassendiskrimierendem Hintergrund sollten nicht im größten Fußball-Verband der Welt arbeiten dürfen, der viele Spieler mit zwei Heimatländern hat. Solche Einstellungen spiegeln einfach nicht die Spieler wider, die sie vorgeben zu vertreten.
Schweren Herzens und nach gründlicher Überlegung werde ich wegen der zurückliegenden Vorkommnisse nicht länger für die deutsche Nationalmannschaft spielen, da ich Rassismus und fehlenden Respekt spüre. Ich habe früher das deutsche Trikot mit so viel stolz und Begeisterung getragen, heute nicht mehr. Es war sehr schwierig, diese Entscheidung zu treffen, da ich immer alles für meine Teamkollegen, das Trainerteam und die guten Menschen in Deutschland gegeben habe.
Aber wenn hochrangige DFB-Offizielle mich so behandeln, wie sie es getan haben, meine türkischen Wurzeln nicht respektieren und mich aus selbstsüchtigen Gründen für politische Propaganda benutzen, dann ist genug genug. Dafür spiele ich nicht Fußball, und ich werde mich nicht zurücklehnen und in dieser Sache nichts tun. Rassismus darf niemals akzeptiert werden." (sid)