Für den Arsenal-Profi wird's eng
06.07.2018 | 15:48 Uhr
Die sture Haltung in der Erdogan-Affäre dürfte für Weltmeister Mesut Özil jetzt doch noch weitreichende Folgen haben. Erstmals hat Oliver Bierhoff Fehler im Umgang mit dem brisanten Thema eingeräumt.
Nach einer fragwürdigen Rolle rückwärts von Oliver Bierhoff beim Dauerthema "Erdogate" steht Mesut Özil offenbar vor dem Aus in der Nationalmannschaft. Knapp zwei Monate nach Beginn der Affäre und neun Tage nach dem peinlichen WM-K.o. ging Bierhoff mit drei bemerkenswerten Sätzen weit auf Distanz zum 92-maligen Nationalspieler - Özil dürfte sein beharrliches Schweigen nun doch seinen Platz im Team des entthronten Weltmeisters kosten.
"Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet", sagte Nationalmannschaftsdirektor Bierhoff in dem Welt-Interview.
Eine späte Einsicht des 50-Jährigen, der in den vergangenen Wochen stets bemüht war, das heikle Thema herunterzuspielen. Im Umkehrschluss kann das jetzt aber nur bedeuten: Sollte Özil weiterhin so stur und beratungsresistent bleiben, ist eine Zukunft im DFB-Trikot nicht mehr vorstellbar. Bierhoff meinte dazu nur: "Gehen sie davon aus, dass die Mannschaft ein neues Gesicht bekommen und zeigen wird."
Özil selbst schließt einen Rücktritt angeblich aus. Bis zum ersten Länderspiel am 6. September in München gegen Frankreich muss Bundestrainer Joachim Löw nun aber auch im Fall von Özil, den er in den vergangenen Jahren immer gegen alle Widerstände protegiert hatte, eine weitreichende Entscheidung treffen. Bisher hat der 58-Jährige nur ganz allgemein von "tiefgehenden Maßnahmen" gesprochen, ins Detail will Löw erst nach einer "sauberen Analyse" gehen.
Offensichtlich unterschätzte der DFB die Wucht der Mitte Mai in London entstandenen Bilder von Özil und Ilkay Gündogan mit dem umstrittenen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er glaube zwar, "die Tatsache, dass Mesut und Ilkay die Fotos gemacht haben, hat die Mannschaft nicht so sehr beschäftigt. Aber die Debatte war nachhaltig. Im Rückblick würde ich versuchen, dieses Thema noch klarer zu regeln", sagte Bierhoff.
Özil, der sich nach der WM-Blamage harter Kritik ausgesetzt sah, hat sich zum heiklen Thema in der Öffentlichkeit im Gegensatz zu Gündogan bisher nicht geäußert. Auf Erlaubnis des Verbandes war er auch dem Medientag im Trainingslager in Südtirol als einziger Spieler des 23-köpfigen Kaders ferngeblieben.
Es ist aber nicht nur die leidige Geschichte mit Özil, die Bierhoff nachhaltig beschäftigt. Es tue ihm "besonders weh, dass wir uns nicht als Mannschaft präsentiert haben. Die Energie, die uns immer stark gemacht hat, war nicht da", betonte der Europameister von 1996 und sprach sogar von einem "kollektiven Versagen" in Russland.
Wie Löw, zu dem er allen Unkenrufen zum Trotz nach wie vor ein "ausgezeichnetes Verhältnis" pflege, kündigte Bierhoff "tiefgreifende Veränderungen" an. "Was zu einer 14 Jahre währenden Erfolgsgeschichte beigetragen hat, darf nicht einfach ignoriert werden. Klar ist aber, dass wir alles auf den Prüfstand stellen müssen, personell und strukturell", kündigte der Manager an.
Dazu würde die Zusammenstellung des Kaders "genauso gehören wie die internen Abläufe. Es muss Einschnitte auf allen Ebenen geben". Er wisse, "dass wir Kredit verspielt haben. Wir werden uns stellen und Veränderungen angehen", versprach Bierhoff. Auch die immer öfter thematisierte Entfremdung zwischen den Fans und der "Mannschaft" habe er "registriert". Man nehme "diese Wahrnehmung sehr ernst".
Auch Löw werde nach einer Ruhephase "alles einordnen und neu sortieren. Ich weiß, er wird alles hinterfragen, auch unseren Spielstil", sagte Bierhoff: "Und dann stellt sich die Frage, welche Spieler wir brauchen." Weiterhin einen Mesut Özil? Kaum vorstellbar! (sid)