Funkel über Tuchel & Flick: "Hansi der größere Menschenfänger"
22.08.2020 | 15:41 Uhr
Der FC Bayern München und Paris Saint-Germain treffen im Champions-Legue-Finale aufeinander. Sky Sport hat mit dem langjährigen Bundesliga-Trainer Friedhelm Funkel im exklusiven Interview über das Finale, die Trainertypen und die Chancen von Robert Lewandowski auf den Ballon d'Or gesprochen.
skysport.de: Herr Funkel, die Bayern stehen im Finale der Champions League. Wie beurteilen Sie die Leistung der Münchner beim Turnier in Lissabon?
Friedhelm Funkel: Da gibt es nur eine einzige Antwort: Herausragend. So wie die Bayern sich in Lissabon in Portugal darstellen, das ist einfach klasse. Sie sind vor allem in der Offensive wahnsinnig gefährlich und schießen Tor auf Tor. Von daher ist es herausragend, wie sie sich präsentieren.
skysport.de: Im Endspiel treffen die Bayern auf PSG. Auf was kommt es in diesem Spiel an, wo müssen die Bayern ansetzen?
Funkel: Die Bayern müssen das, was sie im letzten Spiel nicht so gut gemacht haben - denn bei allem Lob muss man kritisch anmerken, dass sie im Defensivverhalten Schwächen gezeigt haben - besser machen. Sie haben dort Chancen zugelassen haben, die Spieler wie Mbappe, Neymar oder di Maria wahrscheinlich nutzen werden. Sie müssen eine bessere Mischung finden, so wie sie das in den letzten Wochen gezeigt haben. Aber eben im Halbfinale haben sie vermissen lassen, dass sie defensiv besser geordnet stehen und dem Gegner nicht so viele Chancen geben.
skysport.de: Sie haben es angesprochen, die Defensive stand zuletzt nicht sattelfest. Benjamin Pavard ist wieder fit. Sollte Hansi Flick den Franzosen gegen PSG in die Startelf stellen, um die Defensive zu stärken?
Funkel: Das kann nur Hansi Flick und das Trainerteam beantworten, weil ich nicht weiß, wie die körperliche Voraussetzung nach der doch etwas längeren Pause bei Pavard ist. Daher ist diese Frage für mich schwer zu beantworten. Dass er in normaler Form, wenn er 100 Prozent fit ist, die Defensive stabilisiert, da gibt es überhaupt keine Frage. Aber ist er nach der langen Pause schon so weit, um über 90 Minuten auf Topniveau zu spielen? Das kann nur Hansi und sein Trainerteam beantworten.
skysport.de: Sollte Pavard in die Startaufstellung rücken, wäre wohl Thiago der Leidtragende, der auf die Bank muss. Zuletzt wirkte der Spanier wieder ein wenig lässig im Spielaufbau. Wie sehen Sie das?
Funkel: Wenn es denn so kommt, dass sich Hansi Flick für Pavard entscheidet, dann wird es wahrscheinlich Thiago treffen. Das wäre aber auch schade, da es sein allerletztes Spiel ist, denn er hatte sieben super Jahre beim FC Bayern gehabt. Er hat in der Tat im letzten Spiel gegen Lyon im Aufbauspiel ein, zwei Fehler gehabt, das ist vollkommen richtig.
Aber man darf auch nicht vergessen, wie viele Ballgewinne er gehabt hat und wie viele Bälle er durch geschicktes Zweikampfverhalten zurückgewonnen hat und darüber hinaus direkt Umschaltmomente für die Mannschaft geschaffen hat. Da beneide ich Hansi Flick um die Entscheidung, zwischen zwei Weltklasse-Spielern zu entscheiden, das kann nicht jeder Trainer.
skysport.de: Das Duell Bayern gegen Paris ist auch das Duell zweier deutscher Trainer: Hansi Flick gegen Thomas Tuchel. Wie würden Sie die beiden charakterisieren?
Funkel: Ich glaube, dass Thomas Tuchel der etwas erfahrenere Cheftrainer ist, der schon einige Mannschaften als Cheftrainer auf Topniveau trainiert hat, der vielleicht auch etwas der emotionalere ist, auch an der Seitenlinie. Im Moment kann er es durch seine Verletzung schlecht ausüben. Aber er ist schon etwas emotionaler an der Seitenlinie.
Hansi ist der etwas ruhigere, vom Alter her vielleicht ein bisschen erfahrener, aber er hat noch nicht diese Erfahrung als Cheftrainer. Aber so wie er das in den letzten Wochen und Monaten gehandhabt hat, kann man nur den Hut ziehen.
Fakt ist, das sind zwei außergewöhnliche Trainer, zwei außergewöhnlich gute Trainer, einer davon wird die Champions League gewinnen.
skysport.de: Gibt es Punkte, die Flick auszeichnen oder noch Stärken, die Ihnen zu Tuchel einfallen?
Funkel: Thomas Tuchel ist sehr flexibel, was die Systeme seiner Mannschaften angeht. Er ist ein taktisch hochintelligenter Trainer. Das ist Hansi auf eine andere Art und Weise auch: Hansi ist - auch aufgrund seines Alters - der etwas größere Menschenfänger, der diese Mannschaft außergewöhnlich gut führt. Durch seine Empathie und sein Vertrauen, das er seinen Spielern gibt, und auch durch seine Art und Weise, wie er die einzelnen Spieler anspricht - da ist er vielleicht etwas erfahrener. Letztendlich sind beide super erfolgreich.
skysport.de: Die Offensivreihen beider Teams haben es in sich. Lewandowski, Gnabry, Müller auf der einen, Neymar, Mbappe, di Maria auf der anderen Seite. Rechnen Sie mit einem torreichen Finale?
Funkel: Es verspricht, sehr torreich zu werden. Beide Mannschaften sind in der Lage, Tore zu erzielen. Bei den Bayern kommen auch noch Coman, Goretzka oder Perisic, der wichtige Tore erzielt hat, hinzu. Bei den Parisern sind die drei, die Sie genannt haben, für die Tore verantwortlich. Wenn es ihnen da gelingt, das ein bisschen zu verhindern, glaube ich, dass die Bayern das gewinnen.
Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich glaube schon, dass vier, fünf Tore in diesem Spiel fallen werden.
skysport.de: Lewandowski trifft wie nie zuvor: Sehen Sie ihn bei der Wahl zum Weltfußballer, die jetzt wohl doch stattfinden soll, auch vorne?
Funkel: Ja, da gibt es gar keine zwei Meinungen. Was Lewandowski in dieser Saison in Bundesliga, Pokal und Champions League an Leistung abruft, das ist sensationell gut. Da gibt es in diesem Fußballjahr 19/20 keinen, der auch nur annähernd das erreicht hat, was Lewandowski gezeigt hat. Er hat viele, viele Tore gemacht, aber auch viele Tore vorbereitet. Zudem ist er ein absoluter Teamplayer geworden, was aber nicht darunter leidet, Tore zu erzielen. Lewandowski ist prädestiniert dafür, in diesem Jahr Weltfußballer zu werden.
Ronaldo ist früh ausgeschieden, Messi ist früh ausgeschieden, Messi ist auch kein Meister in Spanien geworden. Es gab keine Europa- oder Weltmeisterschaft, darum muss die Champions League in den Fokus rücken und da ist Lewandowski ein herausragender Spieler, der herausragende Spieler.
skysport.de: Und da kann ihm selbst Neymar nicht das Wasser reichen?
Funkel: Nein. Neymar ist auch ein Weltklasse-Spieler. Aber diese Beständigkeit, die Lewandowski über ein ganzes Jahr an den Tag gelegt hat, ist bei Neymar nicht zu sehen. Er ist auch ein außergewöhnlicher - ich würde fast sagen - Künstler.
Was mich jedoch bei Neymar stört, ist seine Fallsucht. Sobald er berührt wird, lässt er sich fallen, macht Theater auf dem Platz, um den Schiedsrichter zu beeindrucken, um Foulspiele zu pfeifen. Das ist nicht die feine englische Art, das macht kein anderer Spieler so wie er. Da ist Lewandowski völlig anders, der sich nicht so leicht umstoßen oder umtreten lässt oder selbst hinfällt, um irgendetwas zu provozieren. Das alles gehört nicht zu einem Weltfußballer, das eben nicht zu machen. Deswegen gibt es für mich in diesem Jahr wirklich nur Lewandowski und aus den geschilderten Gründen nicht Neymar.
skysport.de: Welche Faktoren werden über den Ausgang des Spiels entscheiden? Kommt es sogar mehr auf die Defensive als auf die Offensive an?
Funkel: Es kommt bei den Bayern darauf an, wieder die Mischung zwischen Offensive und Defensive zu finden. Die ist in den letzten beiden Spielen - auch gegen Barcelona - ein bisschen verloren gegangen. Sie haben es in beiden Spielen durch ihre überragende Offensive ausgleichen können. Beim Stand von 1:1 hatte Barcelona einige Möglichkeiten zum 2:1, die sie jedoch nicht genutzt haben. Und dann hat Bayern gnadenlos zugeschlagen.
Gegen Lyon war es ähnlich, die hätten 1:0 oder 2:0 in Führung gehen können, sie haben es nicht ausgenutzt und dann haben die Bayern wieder eiskalt zugeschlagen. Sie müssen defensiv kompakter stehen als in den letzten zwei Spielen. Denn sie sind immer in der Lage, offensiv Tore zu erzielen - und das ist sehr sehr wichtig. Und das gleiche gilt eigentlich auch für Paris, die in der Defensive das ein oder andere Mal Probleme hatten. Nach vorne mit den Dreien (Neymar, Mbappe, di Maria, Anm. d. Red.) schießen sie immer Tore. Wer besser verteidigt und defensiv besser steht, wird dieses Spiel gewinnen.
skysport.de: Wie lautet Ihr Tipp für das Finale?
Funkel: Natürlich habe ich einen Tipp und vor allem auch einen Wunsch, weil sie es verdient haben: Ich glaube, dass die Bayern 3:1 gewinnen.
Das Interview führte Elisabeth Lastovka
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