Stranzl: "Bayern fehlen die Typen in der Abwehr"
17.02.2022 | 10:35 Uhr
Vor dem Achtelfinal-Hinspiel zwischen dem FC Salzburg und dem FC Bayern spricht der ehemalige Bundesligaprofi und heutige TV-Experte Martin Stranzl bei Skysport.de über Salzburgs Stärken, Bayerns Abwehrprobleme und die Zukunft von Karim Adeyemi.
Martin Stranzl spielte in der Bundesliga für den TSV 1860 München, den VfB Stuttgart und Borussia Mönchengladbach. Heute arbeitet der ehemalige Innenverteidiger als Experte für Sky Austria.
Skysport.de: Herr Stranzl, wie stehen die Chancen für den FC Salzburg gegen den FC Bayern?
Martin Stranzl: Wenn man die einzelnen Spieler betrachtet und vom Papier her ist der FC Bayern natürlich klarer Favorit. Aber Salzburg hat sich super entwickelt, speziell in der aktuellen Saison. Sie haben in wichtigen Spielen die defensive Stabilität gezeigt, die sie in den vergangenen Jahren noch nicht hatten. Das Team hat in diesem Bereich einen großen Schritt nach vorn gemacht und das ist ein Kriterium, das gegen die Bayern ausschlaggebend sein könnte.
Skysport.de: Salzburg hat in der Gruppenphase gegen Wolfsburg, Lille und den FC Sevilla, immerhin Zweiter der spanischen Liga, gewonnen. Was macht Salzburg so stark?
Stranzl: Salzburgs Spielweise ist für viele Gegner sehr unangenehm. Das intensive und permanente Anlaufen, Pressen und Gegenpressen nach Ballverlust. Sie stören sehr früh und bringen dadurch viel Unruhe in den gegnerischen Defensivverbund. Nach Ballgewinnen versucht man sofort, in die letzte Linie zu spielen. Damit haben viele Mannschaften, zumindest zu Beginn des Spiels, irrsinnige Probleme gehabt.
Skysport.de: Welche Aussagekraft haben diese drei Heimsiege und wie hat der deutsche Trainer Matthias Jaissle der Mannschaft seinen Stempel aufgedrückt?
Stranzl: Den Spielstil lernt man nicht von heute auf morgen. Das ist Red-Bull-like und hat sich über die Jahre entwickelt. Mit Jaissle ist ein neuer Faktor dazugekommen. Er hat in seiner aktiven Profikarriere im Defensivbereich gespielt und legt darauf als Trainer ein besonderes Augenmerk. In der österreichischen Liga hat Salzburg schon in der Vergangenheit relativ wenige Gegentore kassiert, aber in dieser Saison auch auf internationaler Ebene. Gegen Sevilla (1:0) hat Salzburg zum ersten Mal in einem so entscheidenden Spiel zu Null gespielt. Diese Entwicklung ist ganz klar dem Trainer geschuldet und hat schon Signalwirkung.
Skysport.de: Kann der 4:2-Sieg des VfL Bochum eine Art Vorlage oder Vorbild für Salzburg sein? Oder sehen Sie, wie Lothar Matthäus in seiner Kolumne, die Bayern-Niederlage eher als Nachteil, weil die Münchner nicht zweimal in Folge so nachlässig auftreten?
Stranzl: Dazu muss man eins sagen: Salzburg sucht sich keine Vorbilder. Sie schauen auf sich und versuchen, ihre Linie und ihr Spiel durchzuziehen. Auf der anderen Seite sind - wie es Lothar Matthäus beschrieben hat - durch das 2:4 die Sinne der Bayern geschärft, aber man hat in Bochum ihre Schwächen gesehen. Wenn sie einen etwas schwächeren Tag und Salzburg einen guten Tag hat, haben sie eine Chance.
Skysport.de: Uli Hoeneß hat am Montag gesagt, die Stimmung bei den Bayern sei ihm zu gut, es gebe zu wenig Reibung. Kann eine fehlende oder falsche Einstellung die Ursache dafür sein, dass der FCB in dieser Saison schon mehrmals gegen vermeintliche Außenseiter verloren hat?
Stranzl: Was Hoeneß vielleicht gemeint hat ist, dass du Spieler brauchst, die viel mit ihren Teamkollegen reden, sie von hinten heraus dirigieren. Ich finde, das fehlt bei den Bayern gerade ein wenig. Wenn es läuft, ist das nicht so gravierend. Aber wenn es nicht so läuft, ist es wichtig, dass du einen Kommunikator hast, der in gewissen Situationen auf dem Platz coacht. Sie haben zwar einen Joshua Kimmich im defensiven Mittelfeld, aber speziell in der letzten Linie fehlen die Typen, die die anderen dirigieren. Das sehe ich etwas als Manko in der Entwicklung der Bayern in den vergangenen Jahren. Sie hatten hinten immer Spieler, die auf dem Platz aggressiv vorangegangen sind und ihre Mitspieler in die Pflicht genommen haben. Aktuell haben Sie nicht die Typen dazu.
Skysport.de: Die Defensivprobleme der Bayern sind aktuell ein zentrales Thema. Niklas Süles Wechsel nach Dortmund hat hohe Wellen geschlagen. Lucas Hernandez und Dayot Upamecano haben die Erwartungen (noch) nicht erfüllt. Wie beurteilen Sie die Situation in der Abwehr?
Stranzl: Süle ist auch nicht so lautstark auf dem Platz, sondern eher der ruhige Typ. Das Coachen und Dirigieren lernt man nicht von heute auf morgen, sondern es entwickelt sich mit der Zeit und der Erfahrung. Wenn du wie Süle nach einer schweren Verletzung zurückkommst, musst du dich aber zunächst einmal mehr auf dich selbst konzentrieren, bevor du anderen helfen und sie unterstützen kannst.
Hernandez wäre eigentlich so ein Typ. Er bringt Aggressivität mit und lebt sie vor, aber auch er kam nach einer langen Verletzung zurück. Ich weiß nicht, wie gut er mittlerweile die deutsche Sprache beherrscht. Wenn du die Leaderrolle einnehmen und Kommandos auf dem Platz geben willst, wäre es wichtig, die Sprache zu beherrschen. Wichtig ist für so eine Rolle auch, dass du den nötigen Rückhalt bekommst. Du musst alle Spiele machen, am besten immer auf derselben Position und nicht einmal Innen- und dann wieder Außenverteidiger.
Upamecano ist nicht stabil genug. Er muss momentan noch mehr auf sich schauen und lernen, mit der - im Vergleich zu Leipzig - größeren Drucksituation umzugehen. Er hat gute Anlagen, macht aber noch zu viele Fehler. Dann hast du noch Benjamin Pavard, der viel auf Außen spielt, aber für mich ein sehr guter Innenverteidiger ist.
Skysport.de: Karim Adeyemi ist der Salzburger Spieler, der bei deutschen Fans am meisten im Fokus steht. Wen muss man neben Adeyemi noch im Blick haben?
Stranzl: Die Mannschaft ist sehr homogen und verfügt über einige spannende Spieler. Brenden Aarosen geht immer wieder in die Schnittstellen zwischen den Stürmern, er ist schnell und dribbelstark. Herausheben möchte ich aber Rasmus Kristensen, er ist einer der torgefährlichsten Außenverteidiger in ganz Europa, wenn nicht sogar weltweit. Ich kenne niemanden, der so viele Tore und Vorlagen auf seinem Konto hat wie er. (Anm. d. Redaktion: In dieser Saison war der Däne in 30 Einsätzen an 16 Toren (9 Tore, 7 Assists) direkt beteiligt und führt zudem den Sky Sport Player Index an.)
Skysport.de: Adeyemi ist in Salzburg zum deutschen Nationalspieler geworden, viele Topklubs waren oder sind an ihm interessiert, aber Dortmund ist nach Sky Infos der klare Favorit auf einen Wechsel. Wie schätzen Sie Adeyemis Entwicklung ein und wo sehen Sie ihn in Zukunft?
Stranzl: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Er hat in seinem ersten Jahr sehr gute Leistungen gebracht und viele Tor erzielt. Es ist aber oft schwieriger, die Leistungen im zweiten Jahr zu bestätigen. Er hat in Österreich auch schwierige Phasen erlebt und wurde von seinem Verein unterstützt. Es wäre ein sehr großer Schritt, zu einem Verein wie Dortmund zu wechseln. Es könnte passen, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Das Interview führte Thorsten Mesch
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