Sollte Flick weiter auf Müller bauen? Ein Pro und Contra
10.01.2023 | 11:06 Uhr
Thomas Müller will auch weiter für Deutschland spielen. Das gab der 121-malige Nationalspieler am Montag bekannt. Doch sollte Bundestrainer Hansi Flick den Bayern-Star auch in Zukunft berücksichtigen? Die Sky Redakteure Robert Gherda und Peer Kuni sind geteilter Meinung.
Nimmt man die Katar-WM als Maßstab, müsste man - bis auf Jamal Musiala und Niclas Füllkrug vielleicht - die komplette deutsche Nationalmannschaft erneuern. Aber das würde natürlich wenig Sinn machen. Vielmehr steht Flick nun vor der schwierigen Aufgabe, innerhalb von anderthalb Jahren einen Neustart mit der Mannschaft und den Fans vor der Heim-EM 2024 anzugehen. Müller darf dabei auf keinen Fall fehlen.
Denn der 33-Jährige performt immer noch auf dem allerhöchsten Niveau. In den vergangenen drei Bundesliga-Spielzeiten legte Müller jeweils sensationelle 21 Tore vor, erzielte dabei selbst auch immer mindestens acht Treffer. Unfassbare Zahlen, die die Konstanz und Qualität des Bayern-Stars ausdrücken.
Auch für die Nationalelf traf der Offensivakteur in der WM-Qualifikation bei vier Einsätzen dreimal und legte drei weitere Tore auf. Dass seine statistischen Werte - wie auch in der aktuellen Bundesliga-Hinrunde - nicht auf dem Niveau der Vorjahre sind, hat nichts mit nachlassender Qualität, sondern der Verletzungs-Pechsträhne Müllers zu tun.
Vor der WM verpasste Müller deswegen auch die letzten sieben Ligapartien sowie den einzigen Vor-WM-Test mit der Nationalelf gegen den Oman. Müller flog entsprechend komplett ohne Vorbereitung und Spielpraxis mit nach Katar. Dort musste er dann statt auf seiner Lieblingsposition im offensiven Mittelfeld überwiegend als Sturmspitze agieren. Doch auch diese Rolle nahm der flexible Mentalitätsspieler an.
In bislang 121 Länderspielen bringt es Müller auf 44 Tore und 40 Vorlagen. Damit ist er schon jetzt einer der besten offensiven Kräfte in der Geschichte des Deutschen Fußball Bundes. Dabei wird die Wichtigkeit des Routiniers für das Team auch nicht ansatzweise nur durch seine Werte ausgedrückt. Müller ist ein Teamplayer, der dem Team-Erfolg alles unterordnet. Seine mitreißende Spielweise basiert auf hoher Laufbereitschaft, einer großen Zweikampfintensität und viel Kommunikation.
Natürlich gehört die Zukunft auf der Spielmacher-Position Musiala und Wirtz. Müller ist daher auf seiner Lieblingsposition vielleicht schon jetzt nicht mehr die erste Wahl. Der Bayern-Star fungiert allerdings auch in München bereits als eine Art Mentor für Musiala, der sich auch dank Müller in den vergangenen Monaten von einem Supertalent zu einem Weltklasse-Spieler entwickelt hat.
Dieses Erfolgsgespann sollte Flick - unter dem Müller bereits zu gemeinsamen Bayern-Zeiten vor nicht allzu langer Zeit überragend performt hat - auf keinen Fall auseinanderreißen. Müller ist ein absoluter Siegertyp. Musiala und Wirtz können von dessen professioneller Einstellung und Erfahrung nur profitieren und sich weiterentwickeln.
Dazu ist der Weltmeister von 2014 als Teamplayer kein Stinkstiefel. Natürlich will ein Thomas Müller immer spielen, aber er würde auch eine Bankrolle akzeptieren und als Joker fungieren. Mit seiner unorthodoxen Spielweise kann er bei den gegnerischen Abwehrreihen jederzeit für Unruhe sorgen und dem eigenen Team von der Bank aus Impulse geben.
Müller ist zudem neben seinen Fähigkeiten als Top-Motivator auch für seine Späße und gute Laune bekannt. Gerade mit Blick auf die Heim-EM ist dies für eine positive Atmosphäre innerhalb der Mannschaft wichtig. Müller als Identifikationsfigur, der bei vielen Fans beliebt ist, redet allerdings auch immer Klartext und scheut nicht, Verantwortung zu übernehmen. So ein Typ, ein Unikat, muss weiterhin im Aufgebot von Hansi Flick gesetzt sein.
Peer Kuni
Thomas Müller will also weiter für Deutschland spielen. Das ist sein gutes Recht, denn schließlich sollte es tatsächlich eine Ehre sein, für sein Land spielen zu dürfen. Aber bitte nur so lange man sportlich zu den Besten gehört. Ist das bei Müller noch der Fall? In der Nationalmannschaft lassen seine Leistungen jedenfalls deutlich zu wünschen übrig. Mit Müller in einer Hauptrolle erreichte Deutschland zuletzt bei gleich drei Großturnieren in Folge nicht das, was man sich vorstellte.
Erst das blamable Aus in der Vorrunde bei der WM in Russland 2018, dann war bei der Euro 2021 im Achtelfinale Schluss und vor wenigen Wochen die neueste Enttäuschung, als das DFB-Team die Gruppenphase erneut nicht überstehen konnte. Müller hat daran durchaus eine Mitschuld, denn bei besagten Turnieren bestritt Deutschland zehn Spiele und Müller stand dabei immer (!) auf dem Platz. Acht Mal war er sogar in der Startformation.
Seine Bilanz? Verheerend. Null Tore und null Vorlagen stehen bei Müller zu Buche. Das letzte Tor des Offensivspielers bei einem Großturnier datiert vom 8. Juni 2014. Damals deklassierte die DFB-Elf Brasilien mit 7:1. Müller erzielte das 1:0 und legte das 7:0 durch Andre Schürrle auf. Das ist fast ein Jahrzehnt her.
Es ist Zeit für einen radikalen Neuanfang in der Nationalmannschaft, wenn man die Fans vor der Heim-EM wieder auf seine Seite ziehen will. Alte Zöpfe sollten konsequent abgeschnitten werden und neue, unverbrauchte Gesichter müssen her. Müller kann keins davon sein - gerade auf seiner Zehner-Position sollten Teamkollege Jamal Musiala, aber auch der hochtalentierte Florian Wirtz die nötigen Einsätze bekommen, um 2024 bei der Euro im eigenen Land ein Zeichen setzen zu können. Auch auf den Außenpositionen sind mit Leroy Sane, Serge Gnabry, Kai Havertz andere Spieler dem Routinier vor allem in puncto Schnelligkeit einiges voraus.
Man wird auch sehen müssen, wie sich seine Leistungen beim FC Bayern ohne seinen kongenialen Partner Robert Lewandowski entwickeln. Jahrelang verstand es keiner besser als Müller, den Polen perfekt in Szene zu setzen. Ohne den zweifachen Weltfußballer litten auch Müllers Statistiken in der Hinrunde ein wenig. So kam er in Bayerns Offensiv-Tornado - auch aufgrund einiger Blessuren - in nur 15 Pflichtspielen lediglich auf drei Tore und sechs Vorlagen.
Zu wenig, um bei der Nationalmannschaft gesetzt zu sein. Und als Rollenspieler kann man Müller im Grunde auch nicht gebrauchen, denn ein Bankplatz des FCB-Stars würde immer für Unruhe sorgen. Hansi Flick weiß das - es war auch der Grund, warum er bei der WM auf Mats Hummels verzichtet hat. Nun muss er bei Müller ähnlich konsequent sein.
Robert Gherda