Eklat um DFB-Spieler: Dr. Thaya Vester über Rassismus im Sport, Maßnahmen & Ursachen
"Rassismus lässt sich allerorts finden - im Sport ist er sichtbarer"
25.06.2023 | 13:03 Uhr
Nach den Beleidigungen gegen Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam spricht Dr. Thaya Vester im Sky Interview über Ursachen des Rassismus sowie erforderliche Maßnahmen.
Dr. Thaya Vester ist unter anderem Mitglied der DFB-Expert*innengruppe "Fair Play - gegen Gewalt und Diskriminierung" und gilt als Expertin im Bereich Rassismus im Sport.
skysport.de: Frau Vester, ist gerade der Sport besonders von rassistischen Beleidigungen betroffen? Weil Beleidigungen beispielsweise im Stadion üblich sind, Fehler im Sport sehr häufig vorkommen?
Thaya Vester: Das lässt sich gar nicht so einfach zu beantworten. Rassismus lässt sich allerorts in der Gesellschaft finden, allerdings tritt dieser im Sport sichtbarer als in anderen Kontexten zu Tage. Zum einen findet Sport in der Regel im öffentlichen Raum statt, sodass Verfehlungen dort sichtbarer sind als anderswo. Auf der anderen Seite produziert der Sport durch die Emotionalität, die er bei vielen herruft, aber auch verbale Entgleisungen. Gerade dann, wenn es um vermeintlich viel geht, sind Menschen enthemmter und können sich selbst nicht mehr so beherrschen wie in anderen Situationen. Jemand, der eine latent ablehnende Grundhaltung gegenüber bestimmten Personengruppen hat, also zum Beispiel gegenüber Personen mit Migrationshintergrund oder auch gegenüber Homosexuellen, wird in solchen Momenten dann ausfällig.
skysport.de: Werden gerade dunkelhäutige Personen besonders scharf nach Fehlern kritisiert? Wenn ja, wieso?
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Vester: Wenn etwas schlecht läuft, wird schnell ein Schuldiger gesucht, bei dem die Wut abgeladen werden kann. Häufig wird dieser Unmut auch auf die Unparteiischen projiziert. Bei Misserfolgen der Mannschaft wird dann häufig derjenige herausgepickt, der einem selbst nicht so nahesteht und sei es nur, weil er eine andere Optik hat. Andernfalls müsste man sich ja ein Versagen der ganzen Mannschaft eingestehen. Da sich viele aber sehr stark mit ihrem Team identifizieren, würde dies am eigenen Selbstwertgefühl kratzen. Daher ist es einfacher, wenn man die Schuld auf Einzelpersonen schieben kann, die anders sind als man selbst.
skysport.de: Welche Rechtfertigung sehen die Täter darin, Sportler rassistisch beleidigen zu können?
Vester: Rassistischem Denken wohnt ja ein Überlegenheitsgefühl inne. Diejenigen, die eine solche Einstellung haben, sind der Auffassung, dass Personen mit Migrationshintergrund nicht zu unserer Gesellschaft gehören. Sondern dass sie allenfalls zu Gast hier sind. In diesem Fall sind Gäste nur geduldet, solange sie den Ansprüchen des „Gastgebers" genügen. Fehler oder schlechte Leistungen verwirken in dieser Vorstellung das Recht auf Teilhabe. Genau das wird ja auch immer wieder von Spielern aus der Nationalmannschaft geschildert, die einen Migrationshintergrund haben. Also dass sie selbstverständlich als Deutsche gesehen und akzeptiert werden, wenn sie das entscheidende Tor schießen. Aber wehe, es unterläuft ihnen mal ein Fehler - dann wird ihnen die Berechtigung für die Nationalmannschaft direkt abgesprochen.
skysport.de: Ist eine Entwicklung zu erkennen? Werden es immer mehr rassistische Beleidigungen oder fällt es uns durch zunehmende Sensibilisierung einfach nur deutlicher auf?
Vester: Diesbezüglich ist wichtig zu wissen, dass seitens der Fußballverbände erst seit einigen Jahren versucht wird, ein Lagebild zu erstellen, um das Aufkommen solcher Vorfälle systematisch zu quantifizieren. Wir sind dementsprechend noch nicht in der Lage, verlässliche Aussagen über einen längeren Zeitraum zu treffen. Hinzu kommt, dass es trotz dieser Bemühungen ein riesiges Dunkelfeld gibt. Je genauer hingeschaut wird, desto mehr Fälle werden auch sichtbar. Eine Sensibilisierung führt dementsprechend zu einer Steigerung der Fallzahlen im Hellfeld.
skysport.de: Gibt es bereits Maßnahmen, die einen sichtbaren Erfolg gegen Rassismus im Sport oder im Netz verzeichnen? Wenn nicht, welche Maßnahmen wären möglicherweise erfolgreich?
Vester: Es gibt durch die Fußballverbände inzwischen sehr viele Maßnahmen: richtig gute Pilotprojekte, Aktionstage, Auszeichnungen von vorbildlichem Verhalten bis hin zu Bannern, die zur Akzeptanz von Vielfalt aufrufen. Das Problembewusstsein ist also durchaus vorhanden, die Appelle sind da. Das ist ein wichtiger Baustein in der Prävention, allerdings genügt es nicht nur zu sagen, dass solches Verhalten unerwünscht ist. Viel entscheidender ist der Punkt, welche Reaktionen im Falle eines Vorkommnisses dann tatsächlich erfolgen. Wie sensibel reagiert der Schiedsrichter in der konkreten Situation, welche Sanktionen spricht die Sportgerichtsbarkeit im Nachgang aus? Hier besteht teilweise noch Verbesserungsbedarf. Obwohl die Rechts- und Verfahrensordnungen für Diskriminierungen hohe Strafrahmen vorsehen, werden diese nur selten ausgeschöpft. Und ich plädiere sehr dafür, dass Geldstrafen aus Gewalt- und Diskriminierungsvorfällen unmittelbar in die Bekämpfung und Prävention ebensolcher Vorkommnisse fließen.
skysport.de: Ist eine Strafverfolgung möglich oder ist die Masse an rassistischen Beleidigungen einfach zu groß?
Vester: Theoretisch ist das möglich, aber in der Praxis gibt es diesbezüglich viele Schwierigkeiten. Gerade in Bezug auf die Zuschauer besteht häufig das Problem der Zuordnung und der Identifizierung, beziehungsweise ist der Aufwand hierfür sehr groß. Wenn viele Personen gemeinschaftlich negativ auffallen, wird häufig pauschal der Verein dafür bestraft. Auf der Individualebene gibt es dann aber keine Konsequenzen. Leider kommen noch viel zu viele Täter straflos davon.
skysport.de: Wie gut oder schlecht sind die sozialen Medien im Zusammenhang mit der Bekämpfung aufgestellt?
Vester: Ein großes Problem stellt der Umstand dar, dass soziale Netzwerke in erster Linie das marktwirtschaftliche Ziel verfolgen, hohe Engagement-Raten zu produzieren, also möglichst viel social traffic zu generieren. Welchen Inhalt dieser hat, ist den meisten Betreibern weitestgehend egal. Das Löschen von Nachrichten hingegen ist diesbezüglich nicht so förderlich. Soziale Plattformen haben daher von sich aus zunächst einmal nur wenig Interesse daran, gegen Hate Speech vorzugehen - auch wenn sie Gegenteiliges behaupten. Dies passiert vielmehr erst durch Druck von außen, sei es aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder durch Nutzerbeschwerden.
Es gibt also einen großen Handlungsbedarf. Derzeit gibt es aber durchaus spannende Projekte, die sich der Problematik annehmen. So hat beispielsweise die Organisation "Football Against Racism in Europe", ein gemeinnütziges Netzwerk von Fußballfangruppen aus 13 europäischen Ländern ein Projekt initiiert, um Hate Speech gegenüber Profifußballern zu bekämpfen. Mithilfe des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen werden Beleidigungen erfasst und analysiert. Durch ein solches Monitoring kann das Problem besser sichtbar gemacht werden, wodurch auch die Plattformbetreiber stärker zum Handeln bewegt werden können. Diese Systeme sind noch nicht perfekt, aber ein notwendiger Schritt, um der Vielzahl an Beleidigungen etwas entgegensetzen zu können.