Es ist das bittere Ende einer Ära: Die deutsche Nationalmannschaft scheidet bei einem großen Turnier zum zweiten Mal in Folge früh aus. Daran hat auch der scheidende Bundestrainer Joachim Löw seinen Anteil.
Das DFB-Team hatte für die EM-Endrunde klare Absichten: Wiedergutmachung für die verkorkste WM 2018 betreiben und Bundestrainer Joachim Löw einen sportlich erfolgreichen und angemessenen Abschied bereiten. Beide Ziele wurden mit dem enttäuschenden Achtelfinal-Aus im Klassiker gegen England (0:2) verfehlt.
Einzig beim 4:2-Sieg im zweiten Gruppenspiel gegen Portugal wusste die deutsche Mannschaft zu überzeugen, in den restlichen Partien blieb sie dagegen unter ihren Möglichkeiten und verkaufte sich unter Wert. Dabei war der Kader um die hungrige Generation der Mittzwanziger (Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry) gut zusammengestellt mit jungen talentierten Spielern wie Kai Havertz, erfahrenen Kräften wie Toni Kroos und Manuel Neuer sowie den beiden Rückkehrern Mats Hummels und Thomas Müller.
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Löws Sturheit wird Deutschland zum Verhängnis
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die beiden Außenverteidiger-Positionen sind seit Jahren neuralgische Problemzonen, dazu kommt das Mittelstürmer-Vakuum. Defizite, die sich auch in der Zukunft nicht so schnell beheben lassen, die man Löw aber nicht ankreiden kann. Vielmehr stehen hier die Bundesliga-Vereine in der Verantwortung.
Dennoch muss sich der Weltmeister-Trainer die Frage gefallen lassen: Warum hat diese Mannschaft ihr definitiv vorhandenes Potenzial bei dem Turnier nur so spärlich ausgeschöpft? Genau da kommt Löws Sturheit ins Spiel. Um der Abwehr mehr Kompaktheit zu verleihen (was auch nicht gelang), setzte er auf eine Dreierkette. Hartnäckig hielt er an seinem System fest, obwohl der Spielaufbau darunter litt. Die DFB-Elf agierte oftmals zu langsam, zu behäbig und zu wenig inspirierend.
Die Idee mit der Dreierkette schlug auch deshalb fehl, "weil er Spieler auf Positionen einsetzte, die sich dort nicht wohlfühlen", analysiert Sky Experte Lothar Matthäus. Löw hat die Spieler in ein System gepresst, aber nicht nach ihren Stärken aufgestellt.
"Ich glaube nicht, dass die Mannschaft das spielen wollte, was Löw vorgegeben hat", glaubt der 60-Jährige, "sie musste es aber spielen. Und wenn ich als Spieler etwas spielen muss, was ich eigentlich nicht will, dann kann ich nicht mein ganzes Potenzial abrufen."
Kimmich und Müller als Paradebeispiele
Beispiel Joshua Kimmich: Nach der WM 2018 zog Löw den Bayern-Star ins Zentrum. Ein cleverer Schachzug, denn dort kann der 26-Jährige am besten seine Persönlichkeit einbringen. Kimmich entwickelte sich zur lautstarken Kommandozentrale und agierte als Ballverteiler im Mittelfeld, nur um dann kurz vor dem Turnier wieder auf die ungeliebte rechte Seite rücken zu müssen. Dabei hätte in einer Viererkette auch ein Matthias Ginter diesen Part - wenn auch deutlich defensiver - einnehmen können.
Beispiel Thomas Müller: Der Rückkehrer fungierte zwar auch im DFB-Dress als spielender Co-Trainer, hatte aber sichtbar Probleme, seine ideale Rolle auf dem Platz finden, die ihn im Verein in den vergangenen beiden Jahren so stark gemacht hat. Mal agierte er in vorderster Front als Stürmer, mal auf dem Flügel, mal als hängende Spitze. Die Automatismen haben schlichtweg gefehlt. Ein früheres Comeback bei den Länderspielen im Frühjahr hätte beim Einspielen womöglich geholfen - oder eine andere Zusammensetzung des Mittelfelds.
In diesem Bereich hätte Matthäus auf das Bayern-Dreieck bestehend aus Kimmich, Goretzka und Müller gesetzt - auch auf Kosten eines Toni Kroos. "Die kennen die Wege und Abläufe in- und auswendig, aber da wir vorne mit einem Spieler weniger gespielt haben, waren das nicht die Abläufe, die die Bayern-Spieler seit Jahren gewohnt sind", führt der deutsche Rekordnationalspieler aus.
Diese Fehler muss sich Löw ankreiden lassen
Einen Vorwurf richtet Matthäus in diesem Zusammenhang aber auch an die Mannschaft: "Sie sind erfahren und erfolgreich genug, um auf den Trainer zuzugehen und das Gespräch mit ihm zu suchen." Dieser Vorgang blieb offensichtlich aus, doch das enttäuschende Abschneiden ist nicht nur an Löws Sturheit festzumachen. Die Ursachen dafür sind multifaktoriell bedingt.
Der 61-Jährige hat es in seiner Ägide nicht geschafft, ideale Positionen für Leroy Sane und llkay Gündogan zu finden. Das Duo konnte im Nationalmannschafts-Trikot nur ganz selten seine Stärken entfalten. Bei den - vor allem in Turnieren - so wichtigen Standards strahlt das DFB-Team seit Jahren so viel Gefahr aus wie ein zahnloser Tiger. Und auch beim In-Game-Coaching hat der Weltmeister-Trainer Fehler gemacht.
Frühes EM-Aus als Spiegelbild
Sei es im Spiel gegen Ungarn, als er direkt nach dem Treffer zum 1:1 mit einem Doppelwechsel für reichlich Unordnung sorgte und das Weiterkommen riskierte oder gegen England, als er nach dem Rückstand mit der Einwechslung von Emre Can irritierte und den gegen Ungarn so belebenden Jamal Musiala erst in der Nachspielzeit beim Stand von 0:2 brachte.
Keine Frage: Joachim Löw hat Fußball-Deutschland in seiner Amtszeit viele begeisternde Momente beschert und zählt zu den größten sowie erfolgreichsten Trainer. Allerdings ist das Abschneiden bei der EM ein Spiegelbild der vergangenen drei Jahre, in denen viele Fehler begangen wurden.
Der Weltmeister von 2014 hat sich nach dem Desaster von Russland zu wenig weiterentwickelt und befindet sich derzeit im Mittelmaß. Und daran hat Löw einen erheblichen Anteil.
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