Ex-Nationalspieler Torsten Frings analysiert in seiner Gast-Kolumne für Sky Sport den Sieg des DFB-Teams gegen Portugal. Der ehemalige Mittelfeldspieler erklärt, was die Mannschaft besser gemacht hat und warum dieselbe Formation mit denselben Spielern besser funktioniert hat als gegen Frankreich.
Der eine oder andere Experte (auch ich) war ja nach dem Frankreich-Spiel etwas kritisch, aber jetzt bin ich erleichtert und froh, dass die deutsche Mannschaft jedem gezeigt hat, dass sie im Turnier angekommen ist.
Wir Experten können immer nur aus der Ferne urteilen. Wir sehen nicht das komplette Training und sprechen nicht mit den Spielern. Jogi Löw wird seine Schlüsse aus dem Frankreich-Spiel gezogen und erkannt haben, dass die Dreierkette gegen die Portugiesen die beste Variante ist.
"Jogi hat sein Ding durchgezogen und recht gehabt"
Der Bundestrainer hat sein Ding durchgezogen und denselben Spielern im selben System noch einmal die Chance gegeben. Gegen Frankreich war ja nicht alles schlecht, aber nach vorne war vieles nicht gut. Jogi hat aber nicht alles über den Haufen geworfen und damit im Nachhinein zu hundert Prozent recht gehabt. Wenn es nicht geklappt hätte, wäre die Diskussion riesengroß gewesen. Gottseidank für uns alle hat es geklappt, denn keiner von uns möchte, dass Deutschland vor dem Achtelfinale rausfliegt.
Gegen Portugal hat man, von der Körpersprache und vom Engagement her, von der ersten Sekunde an das Gefühl gehabt, dass die Mannschaft gewinnen wollte. Selbst nach dem 0:1-Rückstand haben sie sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und Portugal immer wieder über die Außen in Verlegenheit gebracht. Sie sind sehr früh drauf gegangen, auch wenn man sagen muss, dass die Portugiesen in der Abwehr nicht die Klasse der Franzosen haben und defensiv anfälliger sind.
Deutschland konnte auch in Ruhe aufbauen, weil die Portugiesen vorne (Cristiano Ronaldo, Diogo Jota, Bernardo Silva) nicht dafür bekannt sind, dass sie viel nach hinten arbeiten. So konnte sich die Mannschaft Spielvorteile erarbeiten und diese auch nutzen. Sie haben sehr viele Flanken geschlagen, sehr viele Spielverlagerungen gemacht und Gefahr nach vorne ausgestrahlt, was gegen Frankreich nicht der Fall war.
Die Noten der DFB-Stars gegen Portugal
Alle haben sich sehr gut bewegt, den Ball sehr gut laufen lassen, sodass die Portugiesen viel springen mussten und Probleme bei der Zuordnung hatten. Die deutschen Spieler haben sehr gut die Breite gehalten und die Portugiesen dadurch gezwungen, auch breit zu stehen.
Gosens als Dauerlösung auf links? Ja, wenn...
Serge Gnabry, Thomas Müller und Kai Havertz haben sich viel bewegt, Joshua Kimmich kam über rechts dazu und Robin Gosens hat unheimlich viel gearbeitet, enorme Offensivpower gebracht und seine Leistung mit dem Tor zum 4:1 gekrönt.
Ob Gosens die Dauerlösung für die linke Seite sein kann? Da muss man differenzieren: Es ist für einen linken Außenspieler etwas ganz Anderes, wenn er hinten mit einer Dreierkette spielt, weil er immer eine Absicherung hat. In einer Viererkette muss er die Seite ganz alleine beackern. Da muss man schauen, ob er es auch defensiv hinbekommt.
Das 3-4-3-System ist für Gosens optimal, weil er hinten eine Absicherung und vorne sehr gefährlich ist. Gegen Frankreich hatte er es auch schon ordentlich gemacht, aber das Spiel gegen Portugal war jetzt sein Durchbruch. Auch in Deutschland. Man kennt ihn nicht mehr nur in Italien, wo er als Verteidiger schon sehr viele Tore gemacht hat, sondern auch hier. Und mit seiner Leistung hat er sich auch interessant gemacht für die großen Vereine wie Bayern oder Dortmund.
Müller überzeugt mit "Bayern-Arroganz"
Auch Müller hat gegen Portugal gezeigt, wie wichtig er für die deutsche Mannschaft ist. Er kann in jeder Situation schnell schalten und für Torgefahr sorgen und hat sich mit seiner großen Erfahrung den Respekt der Gegner verdient.
Er hat diese "Bayern-Arroganz" mit der er den gegnerischen Teams zeigt, dass es sehr schwer ist, ihn zu schlagen. Er weiß ganz genau, worauf es ankommt und ist jemand, an dem sich die anderen hochziehen können, wenn es mal nicht läuft.
Im Lauf des Turniers wird jeder wichtig
Bei aller Freude gibt es sicher auch Spieler, die enttäuscht waren, dass wieder lange auf der Bank saßen, wie Leroy Sane. Als Trainer sage ich: So etwas müssen die Spieler untereinander regeln. Dafür haben wir erfahrene Leute im Team wie Müller, Toni Kroos oder Mats Hummels, die darauf achten, dass alle an einem Strang ziehen. Am Ende des Tages ist jeder wichtig. So wird es auch in diesem Turnier sein. Für Leon Goretzka war es wichtig, Minuten zu bekommen. Ich glaube, dass er Jogi dankbar ist, reinschnuppern zu können und zu sehen, dass seine Verletzung ausgeheilt ist..
So wird auch Ungarn machbar sein
Nach einem sehr guten Spiel wie gegen Portugal besteht zwar immer ein wenig die Gefahr, dass man den Fokus verliert, aber das kann ich mir bei der deutschen Mannschaft nicht vorstellen. Man darf Ungarn nicht unterschätzen und hat beim 1:1 gegen Frankreich gesehen, was sie leisten können, aber wir sollten in der Lage sein, diese Mannschaft zu schlagen. Wenn wir das nicht schaffen, sind wir selber schuld, wenn wir nicht weiterkommen. Deutschland kann aus eigener Kraft ins Achtelfinale einziehen, diese Chance darf sich die Mannschaft auf keinen Fall nehmen lassen. Mit dem gleichen Fokus und der gleichen Leidenschaft wie gegen Portugal wird das auch machbar sein.
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Torsten Frings absolvierte 79 Länderspiele. Mit dem DFB-Team wurde er 2002 Vize-Weltmeister, 2006 WM-Dritter und 2008 Vize-Europameister. In der Bundesliga spielte er für Werder Bremen, Borussia Dortmund und den FC Bayern. Als Trainer arbeitete der 44-Jährige bei Werder Bremen (Co-Trainer), Darmstadt 98 und zuletzte beim SV Meppen.