Krönt sich Tuchel gegen City? Mit Salzstreuer-Taktik ins CL-Finale
29.05.2021 | 09:42 Uhr
Erst gefeuert, dann der Heilsbringer: Thomas Tuchel hat eine verrückte Saison hinter sich. Und im Finale der Königsklasse könnte sie gegen seinen fußballerischen Seelenverwandten Pep Guardiola noch ihr perfektes Ende finden.
Für Thomas Tuchel war es eine verrückte Reise vom Tisch der Münchner Schumann's Bar unter die besten Fußball-Lehrer Europas. Seine Klasse ließ sich damals schon erahnen, als der heutige Coach des FC Chelsea beim nächtlichen Salzstreuer-Schach mit Pep Guardiola brillierte. Und doch blieb dem goldenen Trainer-Versprechen bei den bisherigen Anläufen in der Champions League mit Dortmund und Paris der ganz große Triumph verwehrt. Umso schicksalhafter wird das Finale der Königsklasse gegen seinen Mentor Guardiola werden.
Mit dem Druck kommt Tuchel vor dem Endspiel in Porto am Samstag (21.00 Uhr live bei Sky) gegen Manchester City zurecht, schließlich griff er im letzten Jahr schon nach dem Henkelpott. "Je mehr Erfahrung ich als Trainer habe, desto besser kann ich werden", sagte ein fokussierter Tuchel in dieser Woche: "Ich gehe also schlauer und erfahrener in mein zweites Finale." Mit eingegipstem Fuß hatte er 2020 mit Paris St. Germain gegen Bayern München (0:1) verloren.
Diese bittere Niederlage befeuerte Tuchels Ehrgeiz zusätzlich. Von Natur aus ist er ohnehin mit einer Obsession für den Fußball gesegnet, die ihn mit Guardiola eint. Sinnbildlich dafür steht dieser eine Abend in München. Michael Reschke, damals Technischer Direktor beim FC Bayern, hatte das Treffen des damaligen Münchner Coaches Guardiola und Tuchel 2015 eingefädelt. Letzterer befand sich nach seiner Zeit bei Mainz 05 gerade in einem Sabbatical, bevor er zu Borussia Dortmund ging. In der Schumann's Bar ging es dann bis spät in die Nacht hoch her.
"Thomas und ich tranken Weinschorle, Pep Champagner. Dadurch hatten wir etwas mehr Platz, weil sein Glas schmaler war", sagte Reschke der Sport Bild: "Dann wurden Salz- und Pfefferstreuer hinzugeholt." Tuchel löcherte Guardiola zu Spielen von dessen Ex-Verein FC Barcelona, die Jahre zurücklagen. Jeder Winkelzug, jede Umstellung: Beide Trainer hatte alles genau vor Augen. "Das waren inhaltserschlagende Abende. Oder, auf philosophischer Ebene: Cicero und Sokrates haben sich ausgetauscht", berichtete Reschke: "Es haben sich zwei Fußball-Philosophen getroffen." Fortsetzung folgt in Porto.
Für Tuchel wäre der Sieg über City und Guardiola der Höhepunkt einer Erfolgsstory, die vor gut einem halben Jahr begann: mit seinem Rausschmiss bei PSG an Weihnachten. Einen guten Monat später legte er nach der Demission des glücklosen Frank Lampard unverhofft schnell das Chelsea-Blau an. Es sollte die richtige Entscheidung gewesen sein. "Jetzt fühlt es sich so an, als hätten wir das beste Geschenk an Weihnachten eine ganze Weile vergessen auszupacken", sagte Tuchel vor einiger Zeit bei Sky.
Chelsea führte er von Platz zehn in der Premier League auf Königsklassen-Rang vier, das war jedoch von Klubeigner Roman Abramowitsch erwartet worden. Auch die englischen Medien feierten ihn für Sieg um Sieg gegen Jürgen Klopp, Jose Mourinho und gar zweimal gegen Guardiola. Entscheidend ist aber, und auch das ist Teil der Wahrheit, was am Ende der Saison in der Vitrine steht. Das FA-Cup-Finale hat er bereits gegen Leicester City verloren, am Samstag in Porto zählt es.
Für den Olymp der Fußball-Denker braucht es den Cup mit den großen Ohren. "Wir haben kein anderes Ziel, als den Pokal zu holen. Das ist das Mindset, mit dem wir nach Porto reisen", sagte Tuchel am Montag. Etwas anders wird man von ihm niemals hören. Nicht nur in dieser Hinsicht gleicht er Guardiola, der im Estadio do Dragao nur einige Meter von ihm entfernt in der anderen Coaching Zone stehen wird. Nur diesmal schieben sie keine Salzstreuer - und nur einer trinkt am Ende Champagner.