Frauen WM: Lässt sich Frauenfußball und Männerfußball vergleichen?
Frauenfußball: (K)ein Vergleich zu den Männern
06.07.2023 | 11:58 Uhr
Ende Mai feierten Lina Magull und Manuel Neuer noch gemeinsam die Doppel-Meisterschaft des FC Bayern. In den Nationalmannschaften könnten die Leistungen allerdings nicht weiter entfernt sein. Die Männer stecken in der Krise, die Frauen glänzten bei der EM und gehören zu den WM-Favoritinnen. Eines bleibt: die ständigen Vergleiche.
Es begeistern sich so viele Menschen wie noch nie für den Frauenfußball. Das EM-Finale gegen England im vergangenen Jahr sahen mehr Menschen als das entscheidende letzte Gruppenspiel der deutschen Männer bei der WM gegen Costa Rica. Es war das meistgesehene TV-Event des Jahres.
Die starken TV-Quoten während der EM 2022 seien "eine Wertschätzung und schön für uns, um zu sehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind", meint Nationalspielerin Lina Magull, die sich gerade im Kreis der Nationalmannschaft in Herzogenaurach auf die WM vorbereitet. Doch die Bayern-Spielerin betont: "Im Endeffekt wäre es schön, wenn es bei beiden immer gut laufen würde und gar nicht immer auf irgendjemanden eingeschossen wird."
Erfolgsdruck für die Frauen-Nationalmannschaft?
Auch wenn die Einschaltquoten bei der am 20. Juli beginnenden Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland aufgrund der großen Zeitverschiebung nicht mit den Zahlen von 2022 vergleichbar sein werden, steht die deutsche Auswahl im Fokus.
Lastet gerade jetzt, wo es für die deutsche Nationalmannschaft der Männer so bescheiden läuft, auf den Frauen, die am 24. Juli gegen Marokko ins Turnier starten, ein größerer Erfolgsdruck? "Das finde ich gar nicht", so Magull weiter. "Ich habe auch noch nicht darüber nachgedacht. Es geht nicht darum, dass wir irgendwie den Männern den Allerwertesten retten, sondern es geht darum, dass wir weiter unser Ding durchziehen."
DFB-Sportchef hält wenig von Quervergleichen
Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter Nationalmannschaften des Deutschen Fußball-Bunds, erhofft sich von einer erfolgreichen Frauen-WM inmitten der Männer-Krise Auftrieb für den gesamten DFB. "In meiner Aufgabe liegt es nahe, dass ich mir wünsche, dass alle unsere Mannschaften erfolgreich sind. Natürlich würde ich mich auch freuen, wenn unsere Frauen die deutschen Fußballfans in dem Sommer noch mal wachküssen können", sagte der 47-Jährige am Mittwoch im Rahmen der WM-Vorbereitung in Herzogenaurach.
Er sei "froh, dass wir als Verband die Möglichkeit haben, mit dem Turnier die Fußballfans für uns zu gewinnen." Chatzialexiou hält allerdings wenig von Quervergleichen zwischen den Nationalmannschaften, die den deutschen Fußball weltweit repräsentieren: "Das wäre einfach nicht richtig, zumal wir unterschiedliche Mannschaften haben mit unterschiedlichen Voraussetzungen."
Der ständige Drang nach Vergleichen
Immer noch wird der Frauenfußball in aller Regelmäßigkeit mit dem Männerfußball verglichen. So, als würde man fragen: Was ist die objektiv bessere Frucht, der Apfel oder die Birne? Äpfel haben durchschnittlich einen höheren Vitamin-C-Gehalt und weniger Kalorien, Birnen allerdings einen geringeren Säuregehalt und dafür mehr Mineralstoffe. Der Apfel ist häufiger Gegenstand in der Weltliteratur, die Birnenform dagegen im regelmäßiger im Innendesign vertreten. Ein Vergleich scheint also wenig sinnvoll.
Und trotzdem neigen wir Menschen dazu, unentwegt Vergleiche zu ziehen. Auch da, wo keine angebracht sind und sie keinen Sinn ergeben. Das ist im Fußball nicht anders. Immerzu werden Parallelen zwischen dem Frauen- und dem Männerfußball gezogen. Auf dem ersten Blick sicherlich einleuchtend, schließlich ist es ja dieselbe Sportart. Eine genauere Betrachtung zeigt aber, dass solche Vergleiche kaum ertragreich sind und dem Sport nicht gerecht werden. Weder dem Männer- noch dem Frauenfußball.
Es ist offenkundig, dass sich Frauenfußball vom Männerfußball unterscheidet. Zwar ist es dieselbe Sportart, die unterschiedlichen physischen Voraussetzungen führen aber zwangsläufig dazu, dass der Fußball auch etwas anders aussieht. Frauen haben im Schnitt weniger Kraft in den Beinen als Männer, können weniger schnell sprinten und nicht ganz so hoch springen. Das Spiel ist dadurch zwangsläufig langsamer, das heißt aber nicht, dass der Sport dadurch schlechter ist, sondern: anders. Ein sportlicher Vergleich führt dementsprechend ins Nichts.
"Man sollte dahin kommen, dass beides normal ist"
"Ich hoffe, dass wir nur noch von einem Fußball reden. Es gibt Unterschiede, aber man sollte dahin kommen, dass beides normal ist und nicht immer Männerfußball und Frauenfußball verglichen wird", befindet auch Nationalspielerin Jule Brand am Media Day in Herzogenaurach im Sky Interview.
Und doch liegt es schließlich in der Natur des Menschen, Vergleiche zu ziehen. Jeden Tag vergleicht man sich selbst mit anderen Menschen, in Job und Privatleben. Vergleiche dienen zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, zur Analyse und als Stilmittel. Daran ist erstmal nichts verkehrt. Im Kontext des Frauenfußballs dienten solche Vergleiche aber vor allem als Diskreditierung.
Frauenfußball wird noch häufig als qualitativ schlechter angesehen
Bierbäuchig und am Schwenkgrill stehend polterten regelmäßig Phrasen wie "Der Müller hätte den gemacht" oder "Der Neuer hätte den gehalten" durch die Nation. Der Frauenfußball sei dröge - weil zu langsam - und deswegen auch insgesamt weniger attraktiv. Das ist in etwa so, wie wenn man sich darüber beschwert, dass es beim American Football so viele Unterbrechungen gibt. Der Fußball in seiner Entstehung von Männern erdacht und für Männer gemacht und ist auch heute noch von Männern geprägt. Der Referenzwert ist dementsprechend ein männlicher. Die Diskreditierung von Frauenfußball verkennt schlicht die unterschiedlichen Voraussetzungen, mit denen dieser Sport bestritten wird.
Vergleiche sind aber dann angebracht, wenn es um die strukturellen Bedingungen geht, die dazu führen, dass solche Aussagen noch nicht der Vergangenheit angehören. Dabei geht es um einen weit verbreiteten Sexismus und einer immer noch patriarchalen Gesellschaftsordnung im Allgemeinen und einer auch daraus resultierenden Diskriminierung wie etwa durch ungleiche Bezahlung. So sorgten die Prämien für die Frauen-Nationalmannschaft bei der WM kürzlich für Schlagzeilen.
Die FIFA hatte erstmals Prämien direkt für die Spielerinnen eingeführt, der DFB zahlt - anders als bei den Männern - nichts obendrauf.
"Es geht um die gesamte Entwicklung des Mädchen- und Frauenfußballs"
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hält die Debatte in dieser Form nicht für förderlich: "Wir verstehen die Kritik an den Prämien nicht. Man muss immer sehen, wo wir herkommen", so Voss-Tecklenburg gegenüber Sky Sport.
"Die Prämien haben sich vor allem aufgrund der FIFA und der UEFA verändert. Die Verbände kriegen die Gelder, die bei dieser Weltmeisterschaft generiert werden, und geben sie weiter. Das ist beim DFB nicht anders." Vielmehr gehe es dabei um das große Ganze und um die Entwicklung des Mädchen- und Frauenfußballs im Allgemeinen. "Insgesamt gibt es noch einige Themen, in denen wir noch Potenzial und Ansprüche haben", so Voss-Tecklenburg. Dieses Potenzial scheint aktuell immer mehr ausgeschöpft zu werden.
Dafür sollten auch viel mehr die Vorzüge des Frauenfußballs betont werden, erklärt Nationalspielerin Laura Freigang. Auf die Frage, wie sich der Männerfußball denn vom Frauenfußball unterscheide, antwortet die 25-Jährige: "Das Geld steht oft im Vordergrund. Die Männer haben an die 60 Spiele im Jahr. Das ist faktisch nicht mehr gesund für den einzelnen Spieler. Da muss man eine Grenze finden. Ich hoffe, dass wir uns im Frauenfußball das noch ein bisschen erhalten können."
Freigang plädiert für Aufstockung der Bundesliga
Freigang sieht auch den Schwerpunkt der Entwicklungen woanders: "Ich würde mir wünschen, dass die Liga etwas größer wird. Dafür muss man aber auch noch mehr professionalisieren", erklärt die Stürmerin. Momentan besteht die Bundesliga aus zwölf Mannschaften. Während Top-Teams wie Meister München oder Pokalsieger Wolfsburg sich auf eine perfekte Infrastruktur verlassen können, mussten in der vergangenen Saison Spiele von Ansteiger Potsdam wegen abgesagt werden, weil der Rasen eingefroren war.
Nicht nur die ungleichen infrastrukturellen Voraussetzungen sind verbesserungswürdig. "Es wäre auch schön, wenn wir an der Spitze noch etwas breiter werden würden", meint Freigang: "Bayern und Wolfsburg spielen um den Titel. Wir mit Eintracht Frankfurt versuchen uns auch heranzukämpfen. Wenn man vier, fünf Teams hätte, in denen immer wieder Spiele auf Augenhöhe stattfinden würden, würde das der Liga helfen und dem Frauenfußball in Deutschland."
Man tut also letztlich gut daran, den Frauenfußball Frauenfußball sein zu lassen und nicht ständig zum männlichen Pendant herüberzuschielen. Wie man sich gleichzeitig für Tennis und Fußball begeistern kann, so lässt sich gleichzeitig der Frauenfußball und der Männerfußball - auch wenn sie sich unterscheiden. Aber wenn die Entwicklung so weiter geht, spricht man von Harry Kane zukünftig womöglichen von dem männlichen Pendant zu Alexandra Popp - und nicht umgekehrt.
Mehr zu den Autoren und Autorinnen auf skysport.de
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.