Hansi Flick hat für die ersten beiden Länderspiele des Jahres gleich sechs Neulinge nominiert. Doch welche Qualitäten bringen diese Spieler mit in die DFB-Elf?
Nach dem WM-Debakel ist vor dem Neustart Richtung Heim-EM 2024. Bundestrainer Flick hat für die Testspiele gegen Peru am Samstag (20.45 Uhr) in Mainz und gegen Belgien am Dienstag (20.45 Uhr) in Köln mit seinem Personal überrascht. Zahlreiche langjährige Stammkräfte wie Thomas Müller, Ilkay Gündogan, Leroy Sane, Niklas Süle oder Antonio Rüdiger sind nicht mit dabei. Dafür aber ein frischer Sixpack.
Zunächst nominierte Flick mit Marius Wolf, Josha Vagnoman, Felix Nmecha, Mergim Berisha und Kevin Schade fünf Akteure ohne ein bisheriges A-Länderspiel. Nach der verletzungsbedingten Absage von Armel Bella-Kotchap holte Flick zudem Malick Thiaw mit dazu. Bewährungschancen für sechs Neulinge rund 15 Monate vor Beginn der Heim-EM.
"Wir erwarten von jedem Einzelnen, dass er mit Leidenschaft und Überzeugung auf dem Platz steht und die deutschen Farben bestmöglich präsentiert. Wir sind neugierig auf das, was wir von den Jungs sehen werden", machte Flick auf der Pressekonferenz rund um die Kader-Nominierung deutlich. Doch was genau kann der 58-Jährige von den neuen Jungs erwarten?
MARIUS WOLF
Der Rechtsverteidiger vom BVB ist mit 27 Jahren der Erfahrenste der sechs Frischlinge. Flick bezeichnete Wolf als "Stütze für Dortmund", der sich die Nominierung aufgrund seiner guten Entwicklung in den vergangenen Wochen verdient habe. Zudem attestierte Flick dem gebürtigen Coburger eine große Portion "Mentalität".
Wolf gilt nicht als der beste Techniker, sein Spiel zeichnet sich aber durch Einsatz, Laufbereitschaft und eine hohe Zweikampfintensität aus. Der Pokalsieger von 2018 mit Eintracht Frankfurt bringt zudem Tempo mit und geht auch da hin, wo es wehtut. Gerade im bevorzugten Flick-System mit offensivstarken Außenverteidigern kann Wolf seine Stärken auf der Außenbahn optimal einbringen.
Beim BVB hat sich Wolf, der auch im rechten Mittelfeld auflaufen kann, mittlerweile hinten rechts festgespielt. In 24 Pflichtspielen kommt der Defensivmann auf ein Tor und zwei Vorlagen in dieser Saison. "Es ist kein Geheimnis, dass sich beim DFB auf der Rechtsverteidiger-Position seit Jahren kein Spieler eingespielt hat. Marius kann die Chance nutzen, ich traue ihm das auf jeden Fall zu", meinte BVB-Teamkollege Emre Can.
JOSHA VAGNOMAN
Die Nominierung des 22-Jährigen ist wohl die größte Überraschung. Denn Vagnoman ist beim VfB Stuttgart kein Stammspieler unter Trainer Bruno Labbadia. "Einen Ergänzungsspieler vom Tabellenletzten verbindet man nicht sofort mit der Nationalmannschaft. Aber wer weiß: Vielleicht entdeckt und weckt Hansi bei dem einen oder anderen etwas, das bisher verborgen blieb, aus welchen Gründen auch immer", schrieb Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus in seiner Sky Kolumne.
Vagnoman, dessen Vater von der Elfenbeinküste stammt und der im vergangenen Sommer vom HSV nach Stuttgart wechselte, hat bislang in dieser Spielzeit erst 16 Pflichtspiele (1 Vorlage) absolviert, nur viermal davon über 90 Minuten. Zuletzt war der U21-Europameister von 2021 zumeist Joker, da Labbadia bevorzugt Innenverteidiger Waldemar Anton als Rechtsverteidiger spielen ließ.
Flick gefällt allerdings, wie Vagnoman seine Rolle als Außenverteidiger interpretiert, nämlich "sehr mutig". Der gebürtige Hamburger ist pfeilschnell, hat allerdings seine Schwächen bei der Qualität seiner Flanken sowie beim defensiven Stellungsspiel. Dennoch wird Vagnoman wie auch Wolf seine Chance auf der vakanten Rechtsverteidiger-Position, die in Katar mit der größte DFB-Schwachpunkt war, bekommen. Vagnomans Vorteil gegenüber Wolf: Er ist fünf Jahre jünger.
MALICK THIAW
Der 21-jährige Innenverteidiger wurde von Flick für Bella-Kotchap nachnominiert. Vor rund vier Monaten hätten wohl selbst die kühnsten Optimisten nicht damit gerechnet, dass Thiaw es in Windeseile zur deutschen Nationalmannschaft schafft. Denn der Sohn einer finnischen Mutter und eines senegalesischen Vaters sah nach seinem Wechsel vom FC Schalke 04 zum AC Mailand zu Saisonbeginn kaum Minuten.
Milan-Ikone Paolo Maldini nahm sich viel Zeit in Gesprächen für Thiaw und diese haben offenbar ihre Wirkung gefunden. In den vergangenen sechs Ligapartien sowie in beiden Duellen im Achtelfinale der Champions League gegen Tottenham Hotspur stand der U21-Europameister von 2021 über die vollen 90 Minuten auf dem Platz. Dabei nahm Thiaw Superstar Harry Kane jeweils komplett aus dem Spiel.
AC-Coach Stefano Pioli schwärmt mittlerweile in höchsten Tönen von Thiaw, auch die italienischen Gazetten halten sich nicht mit Lobeshymnen zurück. Insgesamt lief Thiaw bislang 13-mal für die Rossoneri auf. U21-Nationalcoach Antonio Di Salvo kennt die Stärken des 1,94-Meter-Mannes: "Er ist enorm zweikampf- und kopfballstark. Ich habe zuletzt oft mit seinem Trainer gesprochen, sie sind sehr zufrieden mit ihm und seiner Entwicklung."
FELIX NMECHA
Der jüngere Bruder von Lukas Nmecha hatte selbst nicht mit einem Flick-Anruf gerechnet. "Ich war gerade in meinem Zimmer beim Beten. Dann habe ich den Anruf gekriegt, für mich war das ein großer Moment. Ich kannte die Nummer noch nicht. Es war ein großer Schock", erklärte der 22-jährige Mittelfeldspieler vom VfL Wolfsburg gegenüber Sky.
Bei den Niedersachsen hat sich der Sohn eines nigerianischen Vaters mittlerweile zum Stammspieler und Leistungsträger unter Trainer Niko Kovac entwickelt. 23 Pflichtspieleinsätze, zwei Tore und vier Vorlagen stehen für Nmecha in dieser Saison bisher zu Buche. "Felix ist technisch sehr gut, hat einen starken rechten Fu0, ist groß, schnell und kopfballstark. Er ist ein guter Verbindungsspieler, offensiv wie defensiv", betonte Di Salvo.
Der gebürtige Hamburger wurde bei Manchester City ausgebildet. Von seiner Statur und Spielweise erinnert Nmecha ein wenig an Paul Pogba. Nmecha ist flexibel im Mittelfeld einsetzbar, fühlt sich aber besonders als Achter oder Zehner am wohlsten und behält auch unter Bedrängnis stets die Ruhe am Ball. Woran der Wolfsburger noch arbeiten muss, ist seine Torgefährlichkeit.
MERGIM BERISHA
Der 24-Jährige wurde als Sohn kosovo-albanischer Eltern in Berchtesgaden an der österreichischen Grenze geboren. Seinen Durchbruch als Fußballer feierte Berisha bei Red Bull Salzburg, mit dem er auch viermal den Meistertitel in Österreich gewann. Zudem erzielte er 2017 auf dem Weg zum Titel in der Youth League sieben Tore in sieben Spielen für die Roten Bullen.
Als Nachfolger des zum BVB abgewanderten Erling Haaland glänzte Berisha in der Saison 2020/21 mit 36 Scorerpunkten für Salzburg. Seine Klasse als Torjäger stellt der von Fenerbahce an den FC Augsburg ausgeliehene U21-Europameister von 2021 in dieser Saison auch in Deutschland unter Beweis. In 20 Pflichtspieleinsätzen traf Berisha bereits neunmal und legte weitere vier Treffer auf.
Seine Lieblingsgegner ist der FC Bayern, gegen den Berisha in vier Partien satte fünfmal knipste. "Er ist ein sehr guter Spieler. Er bringt seinen Körper gut ein und ist vor der Kiste sehr treffsicher", lobte selbst Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidzic den 1,88-Meter-Mann. Mit seinem kräftig gebauten Körper macht Berisha oftmals die Bälle vorne fest. Er ist zudem offensiv auch auf der Außenbahn einsetzbar und erzielt sowohl mit beiden Füßen als auch per Kopf seine Tore.
KEVIN SCHADE
Durchaus auch überraschend ist die Nominierung des gebürtigen Potsdamers, der im vergangenen Winter vom SC Freiburg in die Premier League zum FC Brentford wechselte. Das Leihgeschäft beinhaltet eine Kaufpflicht in Höhe von 25 Millionen Euro, damit wird Schade im Sommer zum Rekordtransfer der Freiburger. Doch in Brentford hat der 21-Jährige bislang noch nicht gezündet.
Bei den Bees stand der Sohn eines nigerianischen Vaters erst ein einziges Mal in der Startelf. Seine bisherige Bilanz bei acht Pflichtspieleinsätzen: null Tore, eine Vorlage. Auch unter SC-Trainer Christian Streich war Schade zuvor bis zur Katar-WM nur Rollenspieler, wenngleich er längere Zeit mit einer hartnäckigen Bauchmuskelverletzung zu kämpfen hatte.
Der offensiv flexibel einsetzbare und pfeilschnelle Schade wird allerdings ein großes Potenzial nachgesagt. "Kevin ist jemand, den wir früh gefördert haben. Er ist sehr schnell, kann auf den Flügeln und im Zentrum spielen", meinte U21-Nationaltrainer Di Salvo mit Blick auf Schades Qualitäten. Im Passspiel ist der Schade schon sehr weit, allerdings fehlt ihm noch der Killerinstinkt vor dem Tor. Mit seinen 21 Jahren hat der Angreifer aber noch Zeit, sich zu entwickeln.
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