Ex-Präsident Strutz: Nicht zusehen, wie Mainz zum Chaos-Verein verkommt
06.02.2021 | 15:28 Uhr
Zusätzlich zur sportlichen Krise hat der 1. FSV Mainz 05 auch noch großes Chaos in der Führungsebene zu bewältigen. Harald Strutz war von 1988 bis 2017 Präsident bei den 05ern und macht sich im Interview mit skysport.de große Sorgen um seinen Verein.
skysport.de: Herr Strutz, nicht nur sportlich steht Mainz 05 am Scheideweg. Zu allem Überfluss herrscht auf der Führungsebene Chaos. Jetzt musste aufgrund der jüngsten Vorkommnisse sogar die für den 9. Februar geplante Mitgliederversammlung abgesagt werden, weil sonst die Spaltung des Vereins gedroht hätte. Wie sehr sorgen sie sich um ihren Verein?
Harald Strutz: Um das ganz deutlich zu sagen: Eine Mitgliederversammlung am 9. Februar wäre falsch gewesen. Zu viele Dinge sind ungeklärt. Die Wahlkommission hat gezeigt, dass sie ungeeignet ist. Wie kann es denn sein, dass nur zwölf Plätze zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder freigegeben werden, obwohl laut Satzung sechzehn vorhanden wären? Warum werden vier Personen, die bereits gewählt worden sind und am ursprünglichen Termin im Oktober zugelassen gewesen wären, ohne Begründung einfach abgelehnt? Es passieren zur Zeit Dinge bei Mainz 05, die nicht akzeptabel sind. Christian Heidel nehme ich dabei explizit aus. Es geht hier vor allem um den Aufsichtsrats-Chef Detlev Höhne. Es entsteht der Eindruck, dass er über die Mitglieder der Wahlkommission Einfluss auf deren Entscheidungen genommen hat. Detlev Höhne tut diesem Verein einfach nicht gut.
skysport.de: Detlev Höhne steht nicht erst seit den jüngsten Ereignissen in der Kritik. Warum ist er ihrer Meinung nach nicht gut für Mainz 05?
Strutz: Ich kenne Detlev Höhne und ich habe auch sein Wirken kennengelernt. Ich hätte aber nie gedacht, dass er sich anmaßen würde, wie ein Präsident zu agieren. Das ist nicht Aufgabe eines Aufsichtsrats. Es hat den Anschein, dass er nur Kandidaten zulassen möchte, die ihm genehm sind. Die nächste Mitgliederversammlung wird eine wichtige Weichenstellung für unseren Verein. Wir brauchen eine neue Ära für Mainz 05, die sich durch Transparenz und Verlässlichkeit auszeichnet. Ich hoffe sehr, dass sie als Präsenz-Veranstaltung durchgeführt werden kann, damit Raum für Diskussionen und Meinungen da ist. Bei einer virtuellen Versammlung besteht die Gefahr, dass aufgrund von technischen Hürden viele Mitglieder außen vor bleiben, vor allem die älteren.
skysport.de: Muss Detlev Höhne zurücktreten?
Strutz: Alle Beteiligten sollten sich hinterfragen: Habe ich es geschafft, meiner Aufgabe gerecht zu werden? Kann ich die Mitglieder verbinden? Kann ich sie vereinen? Oder habe ich es wenigstens versucht, bin aber gescheitert? Auch Detlev Höhne sollte sich das fragen. Er hat zudem als Aufsichtsratschef massiv Einfluss auf das operative Geschäft genommen. Ich bekomme zur Zeit viele Anrufe von Mitgliedern, die mich bitten, mich als Ehrenpräsident zu äußern. Das tue ich, denn ich möchte nicht tatenlos dabei zusehen, wie Mainz 05 zum Chaos-Verein verkommt.
skysport.de: Was muss nun passieren?
Strutz: Es muss Transparenz hergestellt werden, es muss eine neue Wahlkommission gewählt werden. Am besten paritätisch. Nicht nur, überspitzt formuliert, ältere Herren, die einfach den Daumen heben oder senken können. Es muss Vielfalt gewährleistet sein, möglichst viele Personengruppen sollen sich angesprochen fühlen. Ich verstehe momentan jedes Mitglied, das sagt: Das ist nicht mehr mein Verein.
skysport.de: Im Zentrum ihres Buches "Unfassbar" steht die Zeit ihres Wirkens als Präsident von 1988 bis 2017. Hatten sie zum Ende ihrer Präsidentschaft schon die Befürchtung, dass die Dinge sich so gravierend verändern könnten?
Strutz: Mir war klar, dass es der Beginn einer neuen Ära war. Die Änderung der Vereinsstruktur war dabei der erste Schritt, denn irgendwann wird die Ausgliederung kommen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dass es mit der großen Ruhe vorbei sein würde, habe ich geahnt, denn wenn es Vorstände und Aufsichtsräte gibt, sind immer auch Diskussionen an der Tagesordnung. Aber der aktuelle Vorsitzende des Aufsichtsrats schießt mit seinem Verständnis der Rolle völlig übers Ziel hinaus und hat damit große Unruhe im Verein verursacht. Ich hatte meine Befürchtungen, aber dass es so gravierend sein würde, habe ich nicht vorausgesehen.
skysport.de: Kann Mainz 05 wieder zu dem Verein werden, den sie in ihrem Buch beschreiben?
Strutz: Das ist möglich. Aber man muss gleichzeitig auch berücksichtigen, dass der Fußball sich verändert. Nun sind nicht zuletzt die Mitglieder in der Pflicht. Es steht und fällt alles mit echten Führungspersönlichkeiten innerhalb eines Vereins. So etwas geht nicht von heute auf morgen. Mit der Verpflichtung des Trios Heidel, Schmidt und Svensson hat der Verein einen wichtigen ersten Schritt gemacht. Das sind Gallionsfiguren, die wir brauchen. Nun hängt natürlich auch vieles davon ab, ob wir zukünftig in der 2. Liga spielen oder den Klassenerhalt noch schaffen. Aber wir brauchen mehr Identifikationsfiguren in der Führungsebene. Sie sind die Grundlage dafür, dass die Fans und Mitglieder wieder Vertrauen entwickeln können.
skysport.de: Könnte Mainz überhaupt einen Abstieg verkraften?
Strutz: Mainz ist kein Verein, der automatisch wieder aufsteigt, alleine aufgrund der wirtschaftlichen Begebenheiten. Und es ist heutzutage noch schwieriger als früher. Wir haben es damals geschafft, wieder aufzusteigen, getragen von den Fans und nicht zuletzt einer herausragenden Trainerpersönlichkeit. Bo Svensson ist einer von uns und er stellt sich einer großen Herausforderung.
skysport.de Sie waren lange Jahre Spitzenfunktionär, auch bei DFB und DFL. Aktuell häufen sich Grabenkämpfe und Alleingänge in den oberen Gremien des Fußballs, nicht nur bei Mainz 05, auch beim VfB Stuttgart und beim DFB. Haben sie eine Erklärung dafür?
Strutz: Ja, das fällt auf. Vielleicht ist es einfach der Zeitgeist. Reibereien in den Gremien hat es immer gegeben. Aber durch die sozialen Netzwerke ist es womöglich schwieriger geworden, geeignete Personen für die jeweiligen Ämter zu finden. Der kleinste Fehltritt verbreitet sich wie ein Lauffeuer, man wird regelrecht niedergeschrieben. Dabei sollte der Antrieb ja sein, dass man Spaß an diesem Amt hat, Spaß daran, einen Verein oder eine Organisation zu entwickeln und besser zu machen. Auf der anderen Seite ist die Verlockung, bekannt zu werden, sich in den Vordergrund zu spielen, ist der Platz für Eitelkeiten in der heutigen Zeit noch größer geworden. Eine Rückbesinnung auf die eigentliche Aufgabe, vor allem die Menschen zu verbinden statt zu spalten, würde manch einem sicher gut tun.
Das Interview führte Alexander Bonengel