Fußball nach Corona: Zeit zur Selbstreflexion
Fußball nach Corona: Zeit zur Selbstreflexion
25.03.2020 | 23:58 Uhr
Die Corona-Pandemie legt derzeit den gesamten Fußball lahm. Viele merken erst jetzt, was sie am geliebten Sport mit dem runden Leder hatten. Höchste Zeit also für die verschiedenen Parteien in sich zu gehen und das zu schätzen, was vor der Pandemie war und Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Nicht für die Spieler, die wohl auch nach der Pandemie zunächst vor einer Geisterkulisse ihrem Beruf nachgehen werden und auch nicht für die Fans im Stadion oder vor dem Fernseher. Durch die Corona-Krise scheinen Teams und Anhänger wieder deutlich enger zusammenzurücken. Die einzelnen Parteien merken, was man aneinander hat.
Fußball geht nicht ohne Fans
Einige Fans und Schlachtenbummler sind mitunter streitbar, fallen auf durch Raufereien, zündeln vereinzelt mit Bengalos in der Kurve, sind schwer unter Kontrolle zu bekommen. Sie flitzen aufs Spielfeld, wollen auffallen - nicht immer positiv.
Es ist noch gar nicht lange her, da ist ein Teil von ihnen durch harte Beleidigungen und verachtende Plakate gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp ins Visier der Polizei geraten. Von sich häufenden rassistischen Äußerungen mal ganz abzusehen. Darauf können wir alle verzichten.
Zum Durchklicken: Mit diesen Bannern protestierten die Fans
Und doch wird der Großteil von ihnen schmerzlich vermisst, wenn die Ränge leer bleiben müssen. Ohne sie geht es auch nicht. Und für sie geht es nicht ohne den Fußball. Die Corona-Pandemie bietet die Chance wieder mehr zu schätzen, was man aneinander hat. Die Fans am Fußball. Vereine und Spieler an den Fans.
Die Unruhestifter unter ihnen besinnen sich vielleicht zurück auf die Dinge, die wirklich zählen. Realisieren, warum sie jede Woche in der Kurve stehen - ursprünglich, um ihr Team zu supporten. Merken, dass Hass, Rassismus und Gewalt keinen Platz im Fußball haben. Erst recht nicht in den Zeiten von Corona - und auch nicht danach.
Leere Ränge bringen innere Leere
Die meisten von ihnen aber sind das Rückgrat eines jeden Spiels. Eindrucksvoll haben die ersten Geisterspiele belegt, was den Fußball ausmacht. Leere Ränge bringen innere Leere. Borussia Mönchengladbach und der 1. FC Köln mussten in der Bundesliga diese Erfahrung machen. Und auch der BVB bekam das in der Champions League in Paris zu spüren. Die Hymnen laufen, doch keiner singt mit. Der Stadionsprecher verliest die Spielernamen. Das klingt wie die Durchsage der Lottozahlen.
Mit wem bejubel' ich das Tor? Mit wem teile ich den Schmerz der Niederlage? Kein Raunen bei vergebener Torchance, keine Ekstase, wenn der Ball ins Netz hüpft. Die Fans sind das Echo des Fußballspiels. Sie können es lenken. Ihre Emotionen landen beim Spieler auf dem Platz.
Normalerweise kocht das Stadion in einem Derby wie bei Mönchengladbach gegen Köln. Es brodelt, ohrenbetäubender Lärm, die Arena ist gefüllt mit Emotionen. Nach dem Führungstreffer der Borussia gegen den FC bejubelte Stürmer Breel Embolo sein Tor, indem er die Hände an die Ohren hielt. Er hörte nichts. Von wem auch?
Selbst Schiedsrichter Deniz Aytekin war nach dem Abpfiff berührt, fand die Situation "schwer in Worte zu fassen", ohne Fans sei das nicht mal halb so viel wert. Gladbachs Trainer Marco Rose versicherte: "Wir wissen jetzt alle noch mehr, wie wichtig die Fans für diesen Sport sind." Auch für Kölns Stürmer Mark Uth eine schwere Situation: "Normalerweise empfangen dich die Fans und du bekommst noch einmal das Kribbeln, dass dich auf die 100 Prozent hievt."
Keine Emotionen im Wohnzimmer
Nicht zu vergessen: Der Fan auf der Couch. Für ihn wirkt das Match kaum anders als ein lauer Sommerkick. Keine Atmosphäre, die das Wohnzimmer mit Emotionen füllt. Paris Saint-Germain hatte das Stadion im Champions-League-Achtelfinale gegen Dortmund noch mit Fangesängen über Lautsprecher beschallen wollen, musste die aber umgehend ausschalten. So kam beim Zuschauer zu Hause meist nur der dumpfe Tritt gegen den Ball an. Ein sachlicher Blick auf die Partie stellt sich ein - und kann sicher auch gewinnbringend sein.
Das Gute: Wir werden die Restsaison wohl weiter vor dem Fernseher auf Sky verfolgen können - einen Saisonabbruch will die DFL vermeiden. Das Fußballspiel bleibt uns voraussichtlich erhalten. Aber es wird wohl still in den Arenen. Dem Sport fehlt das Herz - das nicht pumpt und die Gemüter nicht bewegt.
Doch der größte gemeinsame Feind ist zurzeit das Coronavirus - kein Spieler, kein Verein. Wenn der Spuk vorbei ist, kann das Erkenntnisse liefern und Hoffnung geben. Vielleicht wissen Vereine und Fans ein Fußballevent und sich gegenseitig einmal mehr zu schätzen.