Juventus ist so etwas wie der FC Bayern Italiens. Mit 36 nationalen Meisterschaften ist die Alte Dame Rekordmeister der Serie A und dominierte die Liga in den 2010er-Jahren nach Belieben. In dieser Spielzeit läuft Juve den eigenen Ansprüchen aber hinterher. Ein Trend, der sich andeutete.
Am Ende der Saison 2019/20 das gewohnte Bild in Italien: Juventus feiert vorzeitig den Gewinn des Meistertitels. Es ist der neunte Scudetto in Folge.
Für diese beeindruckende Siegesserie, die 2012 und damit ein Jahr vor dem Erfolgslauf des FC Bayern in der Bundesliga ihren Anfang nahm, schien einfach kein Ende in Sicht zu sein. Zumal in diesem Zeitraum auch noch vier Pokalsiege und sowie zwei Einzüge in das Champions-League-Finale zu Buche standen. Juve war die Macht in Italien und ein Topverein in Europa.
Schwacher Saisonstart
Doch im Gegensatz zum FC Bayern, der seinen Erfolgslauf mittlerweile auf zehn Titel in Folge ausbauen konnte, war bei Juve nach neun Meisterschaften Schluss. Es folgten zwei zähe Jahre, in denen die Bianconeri bis zum Saisonende um die Qualifikation zur Champions League zittern musste und mit dem Titelkampf frühzeitig bereits nichts mehr zu tun hatte.
Stars wie Cristiano Ronaldo oder Gonzalo Higuain sowie Klublegende Gianluigi Buffon verließen den Verein nach und nach. Juve verpasste den Zeitpunkt für einen Radikalumbruch, hielt lange an verdienten Spielern auch im fortgeschrittenen Alter fest. Der Erfolgshunger im Kader schien gestillt zu sein.
Auch in der aktuellen Saison ist keine Hoffnung auf Besserung in Sicht. Im Gegenteil. Nach neun Spieltagen in der Serie A liegt Juve mit 13 Punkten nur auf Platz acht - bereits zehn Zähler hinter Spitzenreiter SSC Neapel. Schlechter (12 Punkte nach neun Spielen) ist der italienische Rekordmeister zuletzt in der Saison 2015/16 gestartet.
Turnaround schwer vorstellbar
Damals legte Juventus anschließend noch eine beeindruckende Aufholjagd hin und holte am Ende noch den Titel. Angesichts der derzeitigen bisherigen sportlichen Leistungen des Traditionsvereins ist von einem ähnlichen Turnaround in dieser Spielzeit allerdings nicht auszugehen. Juve wirkt häufig ideenlos, defensiv anfällig und zweikampfschwach.
Sowohl in der Liga als auch in der Champions League hat der einstiege italienische Abo-Meister durchschnittlich unter 50 Prozent Ballbesitz und kreiert offensiv selten Dominanz. Bestes Beispiel war die jüngste und peinliche Niederlage in der Königsklasse bei Maccabi Haifa, denn Juve wehrte sich kaum gegen die Schlappe. Nach wettbewerbsübergreifend sieben Auswärtsspielen wartet die Alte Dame immer noch auf einen Dreier in der Fremde.
Mit nur drei Punkten nach vier Partien droht den Bianconeri zudem nicht nur das Aus in der Gruppenphase - es wäre das erste seit acht Jahren - sondern im Fernduell mit Haifa sogar der letzte Platz und somit nicht einmal das Überwintern in der Europa League. Neben den fehlenden spielerischen Ansätzen finden auch nur 29 Prozent der Flanken ihr Ziel. Die Stürmer Dusan Vlahovic und Arkadiusz Milik haben es schwer.
Rückendeckung für Allegri
Doch trotz der langen Mängelliste und Gerüchten um Thomas Tuchel und Antonio Conte will Juve-Präsident Andrea Agnelli an Trainer Massimiliano Allegri festhalten. "Es gibt keine individuelle Verantwortung, es ist ein Gruppenproblem. Allegri bleibt Trainer von Juventus", sprach Agnelli nach dem Haifa-Debakel gegenüber Sky Sport Italia ein Machtwort zugunsten des Trainers.
Agnelli erklärte zudem, dass sich die Einstellung der Spieler schnell ändern müsse, diese aufgrund des Negativstrudels mit psychologischen Problemen zu kämpfen haben und nun "tiefgreifende Überlegungen anstehen", um die Wende herbeizuführen. Hier steht natürlich Trainer Allegri in der Hauptverantwortung, der in seiner ersten Amtszeit bei Juve zwischen 2014 und 2019 im Schnitt noch 2,27 Punkte pro Spiel und elf Titel holte.
Und der 55-Jährige griff nach dem Haifa-Spiel direkt zu einer knallharten Maßnahme und ordnete ein Straftrainingslager bis zum Turiner Derby am Samstag (18 Uhr) im Stadio Olimpico beim FC an. Bis dann darf kein Juve-Profi mehr das Trainingsgelände Continassa verlassen. "Dies ist eine Pflicht gegenüber dem Verein, den Fans und uns selbst. Wir müssen uns gegenseitig in die Augen schauen, in der Klausur werden wir mehr Zeit zum Arbeiten und zum Ausruhen haben", so Allegri.
Abgänge werden vermisst
Nicht zur Verfügung stehen wird dann allerdings Leistungsträger Angel Di Maria. Der Argentinier, der in dieser Saison bereits mit Adduktorenproblemen einige Partien verpasste, verletzte sich in Israel am Oberschenkel und wird nun länger fehlen. Auch die beiden langzeitverletzen Paul Pogba (Knie-OP) und Federico Chiesa (Kreuzbandriss) fehlen der Alten Dame aktuell schmerzlich.
Neben dem Verletzungspech hat Juventus zudem bislang nicht die Sommerabgänge ersetzen können. Nach den Abschieden von Matthijs de Ligt (FC Bayern) und Giorgio Chiellini (Los Angeles FC) ist ein großes Loch in der normalerweise sattelfesten Juve-Abwehr entstanden. Zudem verließen zuverlässige Stützen wie Paulo Dybala (AS Rom), Federico Bernardeschi (FC Toronto), Denis Zakaria (Leihe zum FC Chelsea) und Alvaro Morata (nach Leihe zurück zu Atletico Madrid) den Verein.
Bis auf Di Maria und mit Abstrichen Milik (kam per Leihe von Olympique Marseille) konnte auf der anderen Seite bislang noch kein Neuzugang vollends überzeugen. Das gilt für Bremer (FC Turin), Leandro Paredes (Leihe von PSG) genauso wie für Filip Kostic (Eintracht Frankfurt). Bei Juve fehlt die Abstimmung, die Bianconeri präsentiert sich bisher nicht als Mannschaft.
Finanzielle Probleme
Trotzdem ist die sportliche Situation nicht das größte Problem, was rund um den Verein herrscht. "Die finanzielle Situation ist bedrohlicher als der Tabellenstand", erklärte Juve-Geschäftsführer Maurizio Arrivabene bereits Ende September. Für die vergangene Saison bilanzierte die Alte Dame einen Verlust von 254 Millionen Euro, schon im Jahr zuvor stand ein Minus von 210 Millionen Euro.
Als Hauptgründe für die hohen roten Zahlen nannte der italienische Rekordmeister die Corona-Pandemie, horrende Spielergehälter, weniger Einnahmen durch Ticket- und Fanartikelverkäufe sowie gesunkene TV-Einnahmen, die das frühe Aus im Champions-League-Achtelfinale nach sich gezogen haben.
Viele Baustellen bei Juve
Wegen Verstößen gegen das Financial Fairplay bekam Juve zuletzt auch von der UEFA außerdem eine Geldstrafe in Höhe von 3,5 Millionen Euro aufgebrummt. Auch ein Ausschluss aus der Champions League in der kommenden Spielzeit droht, sollten die Nordwestitaliener aus Piemont ihr Defizit nicht ausgleichen.
Viele Baustellen für Allegri, Agnelli und Co. An das gewohnte Bild des titelfeiernden langjährigen Abo-Meisters Juventus müssen wir uns wohl zunächst für einige Zeit verabschieden.
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