Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt. Dieses Mal geht es um das "Klassentreffen" der Weltmeister von 1990 und die aktuelle Situation der deutschen Nationalmannschaft.
Als Spieler haben wir uns wochenlang auf die großen Turniere mit der Nationalmannschaft vorbereitet und wurden am Ende manchmal mit einem wunderschönen Pokal belohnt. In den letzten Wochen haben wir alle Vorbereitungen getroffen, die nötig waren, um ein wundervolles Treffen in der Toskana zu organisieren. Wurden wir damals mit Trophäen belohnt, so waren die Preise dieses Mal: Dankbarkeit, Freude und unvergessliche Erinnerungen. Erinnerungen an ein Wochenende in Italien - das Land, in dem wir 1990 Weltmeister wurden.
Fast alle aus dem damaligen Team sind gekommen. Außerdem viele Sportler und Funktionäre aller Generationen aus ganz Deutschland. Dank einer großartigen Organisation, bei der wir auf alle heutzutage notwendigen Sicherheitsvorkehrungen geachtet haben, wurde es ein einmaliges Fest.
Begegnungen, die immer in Erinnerung bleiben
Der Star war das Programm. Bereits auf dem Hinflug schwelgten wir in Erinnerungen und das setzte sich über das ganze Wochenende fort. Das Wetter hat mitgespielt und Franz Beckenbauer hat für uns gesungen. Die Gesangseinlage war so nicht geplant, aber der Franz darf das natürlich. Auch das hat uns alle sehr bewegt.
Ich habe mich über jeden gefreut, den ich dort sehen durfte und mit dem ich eine schöne Zeit verbracht habe. Es war großartig, dass Uli Hoeneß gekommen ist. Einer, wenn nicht DER Macher der Bundesliga. Carsten Schmidt war da und es war toll, einen Philipp Lahm mit seiner bezaubernden Frau anzutreffen. Philipp ist normalerweise jemand, der sich um solche Events nicht reißt. Umso schöner war es, ihn gesehen zu haben. Es waren die unerwarteten, die so nicht eingeplanten Begegnungen, die mir neben all den anderen immer in Erinnerung bleiben werden.
Eberhard Vogel, der Rekordspieler der DDR, ist trotz gesundheitlicher Probleme angereist. Das waren Dinge, die mich emotional sehr berührt haben und mir die eine oder andere Träne abverlangt haben. Jürgen Klinsmann, der die weiteste Anreise hatte, hat mir nach seiner Rückkehr noch spät in der Nacht geschrieben, wie schön es war. Es sind solche Kleinigkeiten, die bleiben. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Mal.
Erfolg gegen Ukraine darf nicht überbewertet werden
Auch Jogi Löw durfte in einem Länderspiel nach längerer Zeit etwas Positives erleben, nämlich einen Sieg seiner Mannschaft. Die Ukraine ist sicher nicht der Maßstab für uns und der Erfolg darf nicht überbewertet werden. Die Performance war auch dieses Mal nicht komplett überzeugend, aber immerhin war es mal wieder ein erfreuliches Ergebnis.
Ich habe den Bundestrainer, seine letzten Entscheidungen und das Spiel der DFB-Elf in der jüngsten Vergangenheit deutlich kritisiert. Das hätte ich übrigens auch aus der Toskana machen können, wenn ich es für nötig gehalten hätte, aber es war erstmal alles zu dieser Thematik gesagt.
Wieder dorthin bringen, wo wir hingehören
Eines sollte klar sein: Meine Kritik hat nie persönlich mit Löw zu tun. Es geht dabei nie um den Menschen, sondern nur um fußballerische Inhalte. Ich habe vor 30 Jahren mit Jogi in der U21-Nationalmannschaft gespielt und wir haben ein gutes Verhältnis zueinander. Wenn wir uns das nächste Mal über den Weg laufen, trinken wir auch wieder einen Kaffee miteinander und wechseln mit Sicherheit nicht die Straßenseite.
Ich habe Löw in den letzten zehn Jahren auch über alle Maßen gelobt, selbst als er noch keinen Titel gewonnen hatte. Gelobt für die Art, junge Spieler heranzuführen, zu formen, weiterzuentwickeln, einen Fußball spielen zu lassen, für den uns die ganze Welt beneidet hat. Und ich wünsche mir, dass uns Jogi wieder dorthin bringt, wo wir hingehören. Nämlich an die Weltspitze.
Spieler wie Kimmich, Neuer und Co. sind Identifikationsfiguren
Am liebsten wäre es mir sogar, wenn es überhaupt nichts Negatives gäbe, was ich ansprechen müsste. Ich kann mich in Löw hineinversetzen. Der Terminkalender ist eng, die Spiele gezählt, die Bayern-Stars müssen sich nach unzähligen Spielen ausruhen und er muss auch mal den einen oder anderen Profi testen. Aber ich und viele andere können und wollen nicht verstehen, wieso plötzlich Spieler für den DFB auflaufen, die nicht mal in ihren Vereinen erste Wahl sind. Das kann nicht unser Anspruch sein.
Die Mannschaft und der Verband wollen wieder näher an den Fans sein, eine Einheit bilden, Identifizierung leben. Das geht aber hauptsächlich mit den Stars, von denen die Kinder sich ein Trikot wünschen. Von Kimmich, Neuer, Werner, Gnabry. Wenn ich regelmäßig Jungs aus der zweiten und dritten Reihe aufstelle, keine Spiele gewinne und deshalb immer weniger den Fernseher anschalten, wenn Deutschland spielt, dann muss man das deutlich ansprechen.
Haben die Spieler für dem EM-Titel
Fehler machen nur diejenigen, die Verantwortung übernehmen. Jogi hat eine große Verantwortung und das seit vielen Jahren. Er betreut der Deutschen liebstes Kind. Die Nationalmannschaft gehört uns allen und deshalb steht sie auch so im Fokus. In den letzten zwei Jahren hat Löw nicht immer das glückliche Händchen gehabt, das ihn in den zehn Jahren zuvor begleitet hat. Aber das ist nach so einem langen Zeitraum auch normal.
Es geht jetzt darum, so oft wie möglich die beste Elf auf den Platz zu schicken, Punkte einzufahren und damit wieder Herzen zu erobern. Löw und sein Team müssen wieder für einen neuen positiven Trend sorgen, indem man attraktiven, erfolgreichen und tollen Fußball spielen lässt. Das Ziel muss der maximale Erfolg bei der EM 2021 sein und das wäre der Titel. Die Spieler dafür haben wir.
