Matthäus-Kolumne: Kein Konzept beim BVB zu erkennen
26.01.2021 | 17:10 Uhr
Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt. Dieses Mal spricht der Rekord-Nationalspieler über den neuen Hertha-Trainer Pal Dardai und die Situation beim Hauptstadtklub sowie die Krise bei Borussia Dortmund.
Nur viel Geld auszugeben, bringt noch lange keinen Erfolg. Das beste Beispiel dafür ist gerade Hertha BSC. Die Trennungen von Bruno Labbadia und vor allem von Manager Michael Preetz waren richtig und verständlich.
Man sollte Preetz jetzt nun aber nicht die alleinige Schuld zuschieben. Er hatte in der Vergangenheit mit bescheidenen Mitteln auch Achtungserfolge vorzuweisen und es war nicht alles schlecht an seiner Arbeit. In der Kritik stand er allerdings recht häufig.
Er hat es aktuell nicht hinbekommen, mit den jetzt vorhandenen finanziellen Mitteln ein ausgewogenes und homogenes Team zusammenzustellen.
Bruno Labbadia wiederum hat Spieler wie Cunha oder Lukebakio mit seinen Maßnahmen verloren. Auch wenn einige Entscheidungen von ihm für mich absolut nachvollziehbar waren, haben die Spieler nicht mehr auf ihn gehört.
Cunha und Co. machen in Berlin, was sie wollen. Und gerade dann ist ein starker Sportdirektor wichtig, der den Trainer entlastet und für Ruhe sorgt. Dafür war Preetz von seiner Persönlichkeit her zu schwach. Ruhe, Stabilität und infolgedessen gute Ergebnisse hätten Hertha in dieser schwierigen Phase gut zu Gesicht gestanden. Das Verhältnis zwischen Team und sportlich Verantwortlichen war nicht intakt. Das war keine Einheit.
Mit den höheren Investitionen wurden zuletzt bessere Spieler geholt und Profis, die eher das Prädikat Star verdienen oder sich zumindest als solche verstehen.
Jetzt müssen die Bosse in Berlin gute Entscheidungen treffen und das ist nicht so einfach, wie viele denken. Ganz wichtig sind hierbei Menschenkenntnis, Fingerspitzengefühl und auch ein bisschen Glück. Carsten Schmidt ist der neue, starke Mann bei der Hertha und wird mit seinem Team alles versuchen, um einen guten Neustart hinzulegen und sportlich bessere Zeiten einzuläuten. Aber er kann und wird das nicht alleine stemmen. Ich kenne Carsten gut und lange und weiß, dass er besonnen und sehr ehrgeizig ist. Er hat Sachverstand und gute Kontakte.
Die ersten und wichtigsten Entscheidungen lauten: Pal Dardai wird Trainer und Arne Friedrich erst einmal Sportdirektor.
Der fußballverrückte Ur-Berliner aus Ungarn hat sehr erfolgreichen Zeiten der Hertha auf und neben dem Platz dirigiert und ist eine Top-Lösung. Vor allem finde ich es klasse, dass er bis Sommer 2022 arbeiten darf. Ich begrüße diese Entscheidung nicht nur, weil er der Rekordspieler ist und ich ein Befürworter der Philosophie bin, dass ehemalige Profis, die den Verein geprägt haben, später Verantwortung übernehmen sollen, sondern weil Pal ähnlich wie Pep in Barcelona Klub, Fans und Medien wie kein Zweiter kennt. Es wird jetzt bergauf gehen.
Die andere sinnvolle Entscheidung ist es, Arne Friedrich die Chance als Sportdirektor zu geben. Noch einer, der große Spuren bei der Hertha hinterlassen hat. Er genießt hohes Ansehen, hat eine sehr angenehme Art und an Ehrgeiz fehlt es ihm sicherlich auch nicht. Auch als Nationalspieler hat er sich einen Namen gemacht. Dardai und Friedrich. Hört sich nach einem guten Plan für diesen tollen Klub an.
Ich hoffe, dass es Dardai nun gelingt, nicht nur erfolgreichen, sondern auch attraktiven Fußball spielen zu lassen, der zu einem Hauptstadt-Klub passt. Im Vergleich zu seiner ersten Amtszeit hat er nun nämlich auch das Spielermaterial dafür.
Mit Sicherheit machen sich die Dortmund-Verantwortliche Gedanken darüber, was das Nichterreichen eines Champions-League-Platzes bedeuten würde. In meiner letzten Kolumne habe ich angemerkt, dass die Königsklassen-Qualifikation in Gefahr gerät, wenn sie in den wichtigen Spielen in Leverkusen und Gladbach nicht punkten.
Nun haben sie beide Partien verloren und sind nur noch Siebter. Uli Hoeneß würde sagen: "The Trend is aktuell überhaupt nicht your friend."
Wie bei einigen anderen Klubs auch, stört mich bei dieser Mannschaft und teilweise den Verantwortlichen, dass man sich vor allem in Interviews viel zu oft darauf beruft, was für eine tolle zweite Halbzeit, Schlussphase oder Anfangs-Viertelstunde man doch gezeigt habe.
Das ärgert mich auch deshalb, weil ich daran erinnert werde, dass wir mit dem FC Bayern im Champions-League-Finale 1999 ganze 91 Minuten richtig gut waren und trotzdem verloren haben. Wer im Fußball verliert, hat meistens im entscheidenden Moment vieles falsch gemacht. Wie kann man Fans, Medien und am Ende sich selbst permanent erzählen, dass man doch gar nicht so schlecht und teilweise ganz passabel gespielt habe? Das reicht nicht und das reicht vor allem nicht, wenn man so ein Riesen-Klub wie Borussia Dortmund ist. Die wollen Meister werden. Die wollen Zaubern, Siegen, Begeistern und nicht nach 18 Spieltagen schon wieder 13 Punkte hinter Bayern, drei hinter Wolfsburg und nur einen vor Union Berlin sein.
Ich kann auch in den letzten Wochen kein Konzept hinter den sportlichen Entscheidungen erkennen. Es gibt keine erste Elf und kein Gerüst, auf das man sich verlassen kann. Die Anführer Reus und Hummels bringen seit Wochen leider auch nicht die konstanten Leistungen, die man von ihnen erwartet. Der junge und sehr talentierte Reyna ersetzt in der 70. Minute in einem extrem wichtigen Spiel den Kapitän. So richtig stark mache ich meinen Anführer damit nicht. Unterm Strich holt dieses Team einfach viel zu selten alles aus sich heraus. Sie schießen Tore, die Weltklasse sind und verhalten sich dann regelmäßig bei Standardsituationen wie eine Amateurmannschaft. Sie überrollen RB und sind dann mit Mainz überfordert. Und so geht es seit Jahren.
Wenn sie die Champions League verpassen sollten, wäre das ein ganz herber Rückschlag. Finanziell aber vor allem auch für ihr Ansehen und die Außenwirkung. Ich will es nicht hoffen, denn Dortmund gehört unbedingt in diesen Wettbewerb. Aber geschenkt bekommen sie ihn nicht. Deshalb müssen sie schleunigst aufwachen und endlich über einen langen Zeitraum zeigen, was angeblich in ihnen steckt.