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Marcelo Bielsa im Porträt: Der "Verrückte" mit dem Fairplay-Preis

Aufstiegstrainer Bielsa: Der "Verrückte" mit dem Fairplay-Preis

Marcelo Bielsa: Einer, der den Fußball auf seine ganz eigene Art und Weise interpretiert.
Image: Marcelo Bielsa: Einer, der den Fußball auf seine ganz eigene Art und Weise interpretiert.  © Imago

Leeds United ist nach 16 Jahren Abstinenz zurück in der Premier League. Baumeister des Erfolgs ist Marcelo Bielsa. Der Argentinier mit dem Spitznamen "El Loco" (der Verrückte) wird sogar von Star-Trainern wie Pep Guardiola und Mauricio Pochettino verehrt.

Der 29. April 2019. In der Partie Leeds United gegen Aston Villa sind 71 Minuten gespielt, Villas Jonatha Kodjia bleibt verletzt liegen, Leeds spielt trotzdem weiter und erzielt das 1:0. Was dann geschieht, ist bemerkenswert. Leeds-Coach Marcelo Bielsa wendet sich an seine Mannschaft und befielt: Lasst den Gegner ausgleichen!

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Genau das passiert. Albert Adomah umkurvt die reglosen Spieler von Leeds und trifft zum 1:1. Eine Fairplay-Geste, initiiert von Bielsa, die es in dieser Form zuvor nie im englischen Fußball gegeben hatte und die danach mit dem FIFA-Fairplay-Preis ausgezeichnet wurde. Wer den Trainer von Leeds kennt, der weiß: Das kommt nicht von ungefähr.

Mentor von Guardiola und Pochettino

Bielsa ist bekannt dafür, dass für ihn das Spiel und nicht das Ergebnis im Vordergrund steht. In Trainer-Kreisen wird der 64-Jährige verehrt. "El Loco" (der Verrückte), wie er auch genannt wird, ist ein Mann mit Prinzipien und in gewisser Weise ein Pionier der heutigen Taktik-Schule der Guardiolas oder Pochettinos dieser Fußballwelt - obwohl er in Europa keinen einzigen Titel holte.

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"Es ist egal, wie viele Titel er geholt hat. Für mich ist er der beste Trainer", sagt Pep Guardiola über Bielsa. "Wir sind eine Generation von Trainern, die seine Schüler waren", meint Mauricio Pochettino. Zu beiden hat Bielsa ein ganz spezielles Verhältnis.

Guardiola soll er 2006 in einem elfstündigen Gespräch für dessen weitere Trainerkarriere inspiriert haben, als dieser ihn nach Rat fragte. "Wer ein Trainer werden will, muss mit ihm geredet haben", schwärmt der heutige Coach von Manchester City.

Bielsa klopft nachts um 1 Uhr bei Pochettino

Zu Bielsas Begegnung mit Pochettino gibt es eine ganz spezielle Anekdote zu erzählen. Bielsa, damals bei den Newell's Old Boys in Argentinien angestellt, soll einst 1985 um 1 Uhr nachts bei den Pochettinos geklopft haben. "Er wollte meine Beine sehen", weiß der ehemalige Tottenham-Trainer zu berichten, der damals 13 Jahre alt war. "Diese Beine sehen aus wie die eines sehr guten Spielers", soll Bielsa Pochettinos Eltern gesagt haben.

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Und in der Tat: Bielsa sollte Recht behalten. Pochettino wurde Profi beim Klub aus Rosario - dort, wo auch Bielsa seine große Laufbahn begann. In den 1980ern und 90ern macht sich der heutige Leeds-Coach dort einen Namen, mit einem Fußball, der für die damalige Zeit als unkonventionell galt. Als Inspiration dafür dient ihm der Voetbal Totaal (der totale Fußball) der Niederlande aus den 70ern.

Bielsa-Teams wie Beethovens Neunte Sinfonie

Mit seiner Art und Weise, Fußball spielen zu lassen kommt er nicht nur bei Guardiola und Pochettino gut an. Dem Spiel eines Bielsa-Teams zuzuschauen sei wie Beethovens Neunte Sinfonie zu hören, sagt der niederländische Coach Jan van Winckel, der einst in Marseille mit Bielsa arbeitete.

"Mein Fußball ist sehr einfach. Ich bin besessen vom Angreifen. Wenn ich Videos sehe, geht es dabei ums Angreifen und nicht ums Verteidigen", so der Argentinier über seine Spielphilosophie. Bielsas Teams pressen und attackieren den Gegner überfallartig.

"Er hat eine neue Denkweise entworfen"

"Seine Mannschaften müssen angreifen, angreifen, angreifen. Verlieren sie den Ball, müssen sie ihn so schnell wie möglich zurückgewinnen. Das hört sich in der heutigen Zeit nach einer gängigen Taktik an, doch er war einer der Pioniere, die so dachten. Deshalb ist er so ein bisschen ein Guru. Er hat eine neue Denkweise über das Spiel entworfen", sagte der spanische Fußball-Experte Guillem Balague bei Sky UK über Bielsa.

Mit dieser Philosophie feiert Bielsa schon bald Erfolge. 1991 und 1992 wird er Meister mit den Newell's Old Boys. 1998 heuert er für ein Intermezzo bei Espanyol erstmals in Europa an, ehe er die argentinische Nationalmannschaft übernimmt. Seine erste große Bewährungsprobe setzt Bielsa in den Sand. Bei der WM 2002 scheidet Argentinien bereits in der Vorrunde aus, trotzdem darf er bleiben. Das Vertrauen zahlt sich aus. "El Loco" wird 2004 mit Argentinien Olympiasieger und führt das Team ins Finale der Copa America.

Kündigung bei Lazio nach zwei Tagen im Amt

Es folgt ab 2007 ein Engagement als Nationaltrainer Chiles, wo er das Team mit sehr ansehnlichem Fußball ins WM-Achtelfinale 2010 bringt und den Grundstein für die Siege bei der Copa America 2015 und 2016 legt.

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Auf Vereinsebene läuft es für Bielsa nicht so recht, denn wo er anfängt, stellt er alles auf den Kopf und revolutioniert die Art des Fußballspielens. Schnelle Erfolge bleiben da oft auf der Strecke. Zudem hat der Argentinier seine Prinzipien. Bei Lazio Rom kündigt er den gerade erst angetretenen Job nach zwei Tagen wieder, weil er nicht die Spieler bekommt, die er haben will. In Marseille verschleißt er vier Übersetzer und packt seine Koffer nach nur einer Saison wieder, in Lille ist nach 14 Spielen Schluss.

Bielsa vs. Simeone: Duell der Gegensätze

Athletic Bilbao führt er 2012 ins Europa-League-Finale, wo sein Team Atletico Madrid mit Coach Diego Simeone unterliegt. Eben jener Simeone, der das Verteidigen liebt und damit das genaue Gegenteil von Bielsas Fußballphilosophie verkörpert. Und doch mögen sich beide. Simeone sagt über Bielsa, dass er ihn wie kein anderer Trainer beeinflusst habe - beide arbeiteten in der argentinischen Nationalmannschaft einst miteinander.

Seit 2018 ist Bielsa Trainer bei Leeds United, nun hat er den englischen Traditionsverein zurück in die Premier League geführt. Die Spiele seines Teams verfolgt er auf einem blauen Eimer an der Seitenlinie. "El Loco" scheint eine Vorliebe für ausgefallenes Sitz-Interieur zu haben. In Marseille machte er es sich einst auf einer Kühlbox am Spielfeldrand bequem.

Bielsa hält PowerPoint-Präsentation auf PK

International für Aufsehen sorgt Bielsa beim Zweitligisten erstmals 2019 mit einer "Spionage"-Affäre. Ein Scout von Leeds war aufgeflogen, als er das Training vom Rivalen Derby County auskundschaftete.

Doch anstatt sich zu entschuldigen rechtfertigt sich Bielsa. Der Coach hält auf einer Pressekonferenz einen 70-minütigen PowerPoint-Vortrag und erklärt, wie er seine Teams auf Spiele vorbereitet. Die fällige Geldstrafe von rund 235.000 Euro bezahlt er selbst, nicht der Klub. Seine Begründung: "Es ist eine Geldstrafe für den Klub, nicht für mich, aber ich bin dafür verantwortlich."

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Nachdem ein Trainings-Spion von Leeds United aufgeflogen ist, hielt Trainer Marcelo Bielsa eine 70-minütige Pressekonferenz, um sich zu rechtfertigen.

Einen noch größeren Geldbetrag lässt Bielsa den Newell's Old Boys zukommen. 2018 spendet er 2,5 Millionen Dollar, damit sein Herzensklub ein neues Trainingszentrum bauen kann. Eine Geste, die einmal mehr zeigt: Bielsa geht es nicht ums Ergebnis, sondern um das Spiel. Nicht umsonst haben sie mittlerweile das Stadion in Rosario in Estadio Marcelo Bielsa umbenannt.

(Hinweis: Dieser Text erschien erstmals am 4. Mai 2020)

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