Matthäus: Bekenntnis der BVB-Bosse zu Favre nur halbherzig
30.06.2020 | 17:32 Uhr
Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt auf skysport.de. Diesmal geht es um das Bundesliga-Finale der Saison 2019/20 und die Geschehnisse im Unterhaus.
Die reguläre Bundesliga-Saison ist zu Ende und ganz oben ist alles beim alten. Die Bayern dominieren nach Belieben. Qualität, Ruhe, der richtige Trainer und Bosse mit klasse und Erfahrung führen zum maximalen Erfolg. Und wenn obendrauf noch die niemals endende Gier nach Erfolg kommt, ist man kaum aufzuhalten.
Wer trotz der sicheren Meisterschaft noch unbedingt den Torrekord brechen will, beweist was wahre Sieger-Mentalität ist. Und wer als Nachfolger an der Spitze einen Oliver Kahn hat, muss sich keine Sorgen machen, dass sich dies so bald ändert. Niemand verkörpert Mia-san-mia besser. Dieser Wille und diese Besessenheit nach Erfolg hatte keiner stärker als Oli auf dem Platz und das wird er als Bayern-Boss genauso weitergeben. Auch wenn das nur selten nötig sein wird.
Hätten Borussia Dortmund und der 1. FC Köln nur ein kleines bisschen davon am Wochenende gehabt, hätten sie sich von Werder oder Hoffenheim nicht so lustlos abschlachten lassen. Sogar der sichere Aufsteiger aus Bielefeld diente hier am Wochenende als besseres Beispiel in Sachen Einsatz und Fair Play.
Der charakterlose Auftritt gegen die Hoffenheimer liegt schon auch ein wenig daran, wie ein Trainer und sein Team harmonieren und was er von ihnen verlangt. Also stellt sich für mich die Frage, inwiefern Favre die Spieler auch in scheinbar unwichtigen Spielen wie gegen Mainz erreicht und wie sehr sie das umsetzen, was der Trainer von ihnen verlangt.
Jetzt bekommt er also noch ein drittes Jahr, um zu beweisen, dass er mit dieser Ansammlung von Top-Spielern nicht nur Punkte, sondern auch Titel holen kann. Das sogenannte Bekenntnis der BVB-Bosse ist momentan nur halbherzig. Ich kann mich noch daran erinnern, wie es dort hieß, dass man mit einem Coach nicht in eine Saison geht, wenn am Ende der Spielzeit der Vertrag ausläuft. Die logische Konsequenz wäre für mich, dass Watzke und Co. das Arbeitspapier verlängern. Nur dann wird aus dem Bekenntnis ein wirklicher Vertrauensbeweis. Ansonsten ist die nächste Trainer-Diskussion vorprogrammiert.
Im Pokal ist Dortmund enttäuschend gegen Bremen ausgeschieden. In der Champions League war trotz Heimsieg gegen Paris die Reise zu Ende und aufgrund der mangelnden Top-Einstellung liegt man am Ende auch noch 13 Punkte hinter Bayern. Die letzte Favre-Meisterschaft liegt 13 Jahre zurück, obwohl sie in der letzten Saison zeitweise 9 Punkte vor den Münchnern lagen und auch in dieser Hinrunde manchmal die Nase vorn hatten. Ich bin sehr gespannt, ob es im 14. Jahr wieder für klappt mit dem wichtigsten nationalen Titel für Lucien Favre.
Zugegeben, solche Sorgen hätte der Nachbar aus Gelsenkirchen gerne. Die Königsblauen stehen in allen Bereichen so schlecht da, wie selten in ihrer Geschichte. Tönnies wird zur Belastung, weil er mittlerweile für sehr viele negative Schlagzeilen sorgt, und das färbt natürlich total auf die Stimmung und damit auch auf die Leistung ab.
Vielleicht tut er seinem Klub einen gefallen, wenn er den Stab nun weitergibt. Das alleine kann natürlich nicht allein an der beispiellosen sportlichen Misere schuld sein. Ich wüsste nicht, welcher Trainer eine Serie von 16 spielen ohne Sieg überlebt hätte. Es würde mich sehr wundern, wenn David Wagner auch nächste Saison dort Trainer sein darf.
Wer den HSV trainiert, scheint hingegen überhaupt keine Rolle zu spielen. Denn egal wer dort an der Seitenlinie steht. Diejenigen, die momentan und in den letzten Jahren die Raute auf der Brust tragen durften, haben es einfach nicht verdient. Ein Bild des Jammers. Wie kann man sich im alles entscheidenden Spiel gegen den SV Sandhausen so präsentieren? Ohne Worte. Ich erspare mir und den HSV-Fans eine gnadenlose Abrechnung. Es ist alles schon Strafe genug.
Wenn wir vorhin über mangelnde Einstellung und Mentalität gesprochen haben, dann weiß ich nicht, welche Wortwahl für diese Truppe angemessen wäre. Und auch die Mannschaft neben dem Platz darf von Kritik nicht ausgenommen werden. Trainer, Sportdirektor, Präsident. Alle haben ihren Teil zur erneuten Blamage beigetragen.
Ich mache mir als Fußball-Romantiker große Sorgen um die traditionsreichen Klubs wie eben Hamburg, Schalke, Bremen oder Nürnberg.
Wer ist beim Club aus Franken in wichtiger Funktion, den man kennt? Wo sind die Menschen die Erfahrung, Wissen und Liebe zu so einem Verein mitbringen?
Wer zerreißt sich auf und neben dem Platz für diese strahlenden deutschen Klubs, wie die immer noch unvergleichlichen Fans auf den Rängen oder vor dem Fernseher? Wenn Spieler und auch einige Verantwortliche von Hamburg, Schalke, Nürnberg, die Vereins-Farben nur annähernd so fühlen würden wie die vielen, treuen Anhänger, wären die Sorgen höchstens halb so groß. Der FC und der BVB hätten dann am letzten Spieltag übrigens auch anders agiert.
Nicht alle können und müssen so viel Weitsicht wie Max Eberl haben oder so professionell wie die Bayern sein. Aber wer mit Positionen auf der Trainerbank und im Präsidium jahrelang schachert und keinen wirklichen Plan verfolgt, der ist selbst schuld, dass die Tradition flöten geht.
Man sollte sich bei vielen ehemals erfolgreichen Groß-Klubs auch mal an der tollen Arbeit in Freiburg, Augsburg, Bielefeld oder Heidenheim orientieren. Wie kann es sein, dass die Spieler aus Sandhausen um ihr Leben rennen und die Hamburger Jungs aussehen wie Schulbuben, obwohl sie das zehnfache verdienen? Das hat was mit Charakter und Zusammenhalt zu tun.
Ich kann es keinem verdenken, dass er für Hamburg spielt und in einer Villa mit Blick auf die Elbe wohnt. Aber dann muss er auch in jedem Spiel bis zur 95. Minute laufen.
Nun steht noch die Relegation zwischen Bremen und Heidenheim an, dann wissen wir, auf wen wir uns in der nächsten Saison freuen können. Vielleicht bejubeln die Bayern in ein paar Wochen auch noch das Triple. Wundern würde es mich nicht. Ich persönlich bin dankbar und glücklich zugleich, dass wir diese Spielzeit doch noch gut und gesund zu Ende spielen konnten. Das haben alle Verantwortlichen fantastisch gemacht.