Defensiv-Spezialist für die Tempo-Techniker: Passt Tedesco zu RB?
11.12.2021 | 17:43 Uhr
Domenico Tedesco ist neuer Trainer von RB Leipzig. Der ehemalige Schalke-Coach tritt die Nachfolge von Jesse Marsch an. Die beiden stehen für komplett unterschiedliche Spiel-Philosophien, weshalb sich die Frage aufdrängt: Passt Tedesco zu RB?
Noch im Sommer verkündete RB voller Stolz, dass der vorherige Salzburg-Erfolgscoach Marsch neuer Trainer in Leipzig wird. Der US-Amerikaner galt als absolute Wunschlösung der Vereinsführung, nachdem klar wurde, dass es Julian Nagelsmann zum Rekordmeister nach München verschlägt.
Lange hielt die Freude nicht. Nach einem schwachen Saisonstart stolperten die Roten Bullen immer wieder und brachten keine Konstanz in ihr Spiel. Die jüngsten drei Niederlagen in Serie gegen Hoffenheim, Leverkusen und Union Berlin sowie dem damit verbundenen Fall auf den elften Tabellenplatz bewogen die RB-Bosse letztlich dazu, die Reißleine zu ziehen.
Die Nachfolge gestaltete sich gar nicht so leicht. Wirklich viele Trainer, die dem gesuchten Profil entsprechen, sind aktuell nicht auf dem Markt. So wurde schnell klar, dass Roger Schmidt beispielsweise seinen Vertrag bei PSV Eindhoven erfüllen will. Auch Edin Terzic steht als Technischer Direktor von Borussia Dortmund nicht zur Verfügung. Der Name Tedesco wurde schnell prominenter.
Wie Sky bereits am Mittwochmorgen exklusiv berichtete, wird der ehemalige Schalke-Coach die Leipziger nun offiziell bis Sommer 2023 übernehmen. "Wir haben bei Gesprächen mit Domenico von Anfang an gespürt, dass er für die Sache brennt und er Bock hat mit dieser tollen Mannschaft zu arbeiten", freute sich RB-Vorstandschef Oliver Mintzlaff am Donnerstag bei der Vorstellung über die Neuverpflichtung.
"Was siehst du in dieser Mannschaft? Was glaubst du, braucht diese Mannschaft? Und wie schaffst du es, die gesamten Stärken der Mannschaft herauszustellen? Das hat uns Domenico eindrucksvoll aufgezeigt, so dass wir gesagt haben 'Das fühlt sich gut an und das muss unser neuer Trainer von RB Leipzig werden!'", führte der Leipzig-Boss die Gründe für die Verpflichtung weiter aus.
Wie von Mintzlaff angekündigt, eine schnelle und obendrein prominente Nachfolge-Lösung. Tedesco feierte seinen größten Karriereerfolg mit S04 in der Bundesliga, als er die Schalker 2018 überraschend zur Vizemeisterschaft führte. Ein Ziel, das auch der amtierende Vizemeister Leipzig durchaus zeitnah wieder ins Auge fassen will. Wie ist dabei allerdings die große Frage.
In der vergangenen Spielzeit überzeugten die Leipziger vor allem mit Tempo und Spielwitz. Der Kader besteht überwiegend aus hervorragenden Technikern mit einem starken Grundtempo. Der Spielstil unter Nagelsmann: Schnelles Umschalt- und Kombinationsspiel trotz hoher Spielkontrolle im Mittelfeld. Das Ganze aus einer soliden Defensive heraus.
Defensive. Darauf lag auf Schalke 2017/2018 der komplette Fokus. Tedesco stabilisierte das Team vor allem in der Abwehr und "ermauerte" sich die ersten Erfolge. Offensiv lahmte das Team oftmals, was der Punktausbeute der Gelsenkirchner keinen Abbruch tat. Doch die Serie hielt nicht ewig. In der darauffolgenden Saison schien der Mechanismus entschlüsselt, zudem verließen Defensiv-Anker wie Naldo, Thilo Kehrer, Max Meyer und auch Leon Goretzka den Klub.
Die Grundidee des Fußballs war eine konträre zu der, die Nagelsmann und darauffolgend auch Marsch bei RB auslebten. Passt der Tedesco-Fußball dann überhaupt zu den feinen Füßen von Leipzig? Eine klare Antwort kann es auf diese Frage noch nicht geben.
Im vergangenen Jahr bewies der 36-Jährige bei Spartak Moskau, dass er auch bei Teams mit höheren spielerischen Ansprüchen Erfolge vorweisen kann. Auch in Russland wurde der Coach Vizemeister, entwickelte den Klub spielerisch enorm weiter - ähnlich wie er es in den Jugendteams von Stuttgart und Hoffenheim tat, bevor er entdeckt wurde.
"Ein angewendeter Spielstil liegt immer auch am jeweiligen Kader. Daran muss man sich auch ein Stück weit anpassen", erklärte auch Tedesco auf die Frage nach seinen Visionen. Dem Bild des Defensiv-Gurus will der Italiener widersprechen: "In Moskau hatten wir ebenfalls viel Wert auf Ballbesitz gelegt, haben viele Torchancen kreiert und eine gute Pressinglinie installiert."
Tedesco liegt es, seinen Stil nach dem jeweiligen Verein und Kader zu gestalten und gilt als anpassungsfähiger Trainer. Gemeinsam mit Nagelsmann machte er seinen Fußball-Lehrerschein als Klassenbester - und tauschte sich mit Bayern Münchens heutigem Coach aus. "Wir kennen uns, haben über Fußball gesprochen. Da sind unsere Ansichten schon gleich. Trotzdem ist es so: Ich habe meinen Stil und er hat seinen."
Fest steht auch: Ein solches Aufgebot an hochklassigen Spielern stand Tedesco noch nie zur Verfügung. Kreativspieler wie Christopher Nkunku, Emil Forsberg oder Dani Olmo gehören zu den besten Spielmachern der Bundesliga. Auch Andre Silva, der seit seinem Wechsel zu RB noch nach seiner Top-Form sucht, könnte der Trainer mit seiner Ausrichtung auf einen festen Knipser wieder hinkriegen.
Trotz der ballsicheren Techniker im Team muss die Grundidee Tedescos nicht den Anlagen des Kaders widersprechen. Auch Leipzig baut seit dem Aufstieg in die Bundesliga auf eine sichere Defensive. Die Abwehr der Sachsen zählt zu den besten der Liga. Auch das Grundsystem der Fünferkette lässt sich mit den Leipzigern gut umsetzen, wie Nagelsmann zwei Jahre unter Beweis gestellt hat.
Tedesco ist trotz mehrjähriger Erfahrung als Cheftrainer für Profiklubs mit seinen 36 Jahren noch immer enorm jung und entwicklungsfähig. Leipzig ist für den Italiener eine große Chance - Tedesco könnte auch für Leipzig zur Chance werden, denn ein leicht veränderter Spielstil könnte den Leipzigern gut zu Gesicht stehen.
Reduziert man Tedesco auf Defensiv-Fußball, wird dies dem bisher sehr erfolgreichen Coach nicht gerecht. Und doch sollte man in den ersten Wochen kein Feuerwerk in Leipzig erwarten. Der neue Trainer braucht Zeit, seine Stammelf zu finden und den entsprechenden Spielern seine Spielidee zu vermitteln.
Das Team schnell stabilisieren und danach mit eben dieser Zeit an den Feinheiten arbeiten. Bekommt er diese, könnte die teils kritiisch beäugte Trainerwahl zur nächsten Erfolgsgeschichte in Leipzig werden.
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