VfB Stuttgart: Ein Kommentar zum Klassenerhalt und der Zukunft
Der VfB muss nun die drei M-Fragen beantworten
15.05.2022 | 21:22 Uhr
Die Freude beim VfB Stuttgart über den Klassenerhalt ist zurecht groß. Und dennoch müssen sich die Blicke schon nach vorne richten. Es gilt die drei M-Fragen zu beantworten: Mannschaft, Mislintat, Matarazzo. Ein Kommentar.
Am Samstagabend herrschte pure Ektase in Stuttgart. Fans lagen sich in den Armen, Spieler und Verantwortliche wurden von Fans gefeiert und geherzt. Der Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle musste seine Emotionen bei Sky Reporter Patrick Wasserziehr abladen. Diese Freude haben sich die VfB-Verantwortlichen und das Umfeld auch verdient. Der Mut, Ruhe zu bewahren und am Trainer festzuhalten, hat sich bewährt.
Wichtig wird jetzt aber, diese Emotionen schnell wieder auszublenden. Trotz aller Freude: Der VfB musste bis zur allerletzten Sekunde zittern und hatte es auch der Unfähigkeit von Hertha BSC zu verdanken, nicht in die Relegation zu müssen. Wehrle hat eine schonungslose Analyse angekündigt. Die muss jetzt auch in aller Konsequenz stattfinden. Drei wichtige Fragen stehen im Vordergrund.
Erstens: Ist der radikale Stuttgarter Jugendweg alternativlos?
Orel Mangala, Borna Sosa, Sasa Kalajdzic, Konstantinos Mavropanos, Hiroki Ito… Die Liste an Spielern, die als Talente gekommen sind und sich beim VfB hervorragend entwickelt haben, ist lang. Mindestens genauso lang ist aber die Liste der Spieler, die den nächsten Schritt nicht geschafft haben. Mateo Klimowicz, Tanguy Coulibaly, Roberto Massimo (um nur einige zu nennen) haben gezeigt, dass sie (noch) keine Bundesligaqualität haben. Natürlich kann dieser Entwicklungsschritt noch kommen. Sich darauf zu verlassen wäre aber ein großer Fehler. Wenn die Entwicklung der jungen Talente stockt und sich wichtige Leistungsträger verletzen, wie es in dieser Saison der Fall war, hat der VfB Probleme, eine bundesligataugliche Mannschaft aufzustellen.
Der Leistungsunterschied zwischen Startelf und Bank muss für die nächste Saison verkleinert werden. Dafür würden gestandene Bundesligaspieler dem VfB guttun. Damit sind keine alternden Haudegen gemeint, deren Karriereende in Sicht ist. Vielmehr geht es um Spieler, die ihre Leistung auf Bundesliganiveau konstant abrufen können, auch wenn ihr weiteres Entwicklungspotential begrenzt ist.
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Zweitens: Braucht es einen Sportverantwortlichen neben Sven Mislintat?
Sven Mislintat ist keine One-Man-Show. Was die Kaderplanung angeht, bespricht sich der Sportdirektor des VfB mit der Scoutingabteilung, verschiedenen Direktoren im Verein und Trainer Pellegrino Matarazzo. Unbestritten ist aber, dass das "Diamantenauge" ganz klar der starke Mann beim VfB ist. Mit allen Vor- und Nachteilen. Mislintat ist einer der besten seines Fachs, wenn es darum geht, Talente zu entdecken. Außerdem hat er einen klaren Plan, was die strategische Ausrichtung des Vereins angeht. Und genau da wird es haarig. In der aktuellen Hierarchie gibt es kein Korrektiv, keine zweite Meinung auf Augenhöhe. Das kann man so machen, muss es dann aber bewusst tun.
Der VfB muss für sich entscheiden, ob Mislintat gleichzeitig die operative Kaderplanung (Welchen Spieler verpflichten wir für die kommende Saison?) und die strategische Ausrichtung (Nach welcher Art von Spielern suchen wir überhaupt?) verantworten und stemmen kann. Andererseits muss ein zusätzlicher Sportvorstand installiert werden. Ich denke, ein solcher Mann würde dem VfB guttun. Unter zwei Voraussetzungen: Es muss sich um einen Teamplayer handeln, der MIT Mislintat arbeitet und nicht gegen ihn. Außerdem muss es ein Mann sein, dessen grundsätzliche Auffassung von Fußball zum mutigen Stuttgarter Offensivfußball passt.
Drittens: Wie geht es mit Pellegrino Matarazzoweiter?
Die gesamte Saison standen die Verantwortlichen des VfB Stuttgart hinter Pellegrino Matarazzo - bis zur letzten Woche. Der neue Vorstandsboss Wehrle vermied ein unumstößliches Bekenntnis zum Trainer. Und das ist auch gut so. Matarazzo muss hinterfragt werden. Nicht um ihn anzuzählen, ganz im Gegenteil. Alle Errungenschaften, vor allem aber auch alle Fehler des VfB-Trainers müssen auf den Tisch gelegt und ergebnisoffen diskutiert werden. Nur wenn ernsthaft die Option besteht, Matarazzo zu entlassen, kann man sich auch bewusst und nachvollziehbar dazu entscheiden, mit ihm weiterzumachen.
Für den Italo-Amerikaner spricht dabei einiges: Er hat bisher jedes seiner Saisonziele erreicht und der offensive VfB-Fußball begeistert die Fans. Außerdem haben die letzten Wochen gezeigt, dass er die Spieler nach wie vor erreicht und emotionalisieren kann. Allerdings gehört es auch zu Matarazzos Aufgaben (und eigentlich auch zu seinen Stärken), die vielen jungen Spieler im Kader des VfB weiterzuentwickeln. Darin war er in der vergangenen Saison nicht gut genug. Meiner Meinung nach ist Pellegrino Matarazzo auch weiterhin der richtige Mann für den VfB. Der Mut, am Trainer festzuhalten und für Kontinuität im Verein zu sorgen, war im Abstiegskampf die richtige Entscheidung. Dieser Mut sollte den VfB auch nach der Saison nicht verlassen.
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