Krise in Dortmund
07.11.2017 | 11:21 Uhr
Es läuft nicht bei Borussia Dortmund. Von den letzten sieben Pflichtspielen gewann der BVB nur bei Drittligist Magdeburg im Pokal. In der Champions League ist das Vorrundenaus nach zwei blamablen Unentschieden gegen Nikosia im Grunde besiegelt. Auch in der Bundesliga verwandelten die Schwarz-Gelben einen Fünf-Punkte-Vorsprung auf den FC Bayern in Rekordzeit in sechs Zähler Rückstand. Doch woran liegt es? Sky Sport betreibt Ursachenforschung.
Peter Bosz kam mit großen Vorschusslorbeeren aus Amsterdam zum BVB. Sein offensives 4-3-3-System mit einer hoch verteidigenden Defensive scheint aber mittlerweile entschlüsselt. Gegner überspielen die Abwehr oft mit langen Bällen und kommen so immer wieder leicht zu Großchancen. Dennoch hält Bosz an seiner Spielidee fest und verweist bei kritischen Nachfragen gerne auf den erfolgreichen Saisonstart.
Ohnehin hält Bosz nichts von einer System-Diskussion: "Wenn wir Plan A sehr gut machen, brauchen wir keinen Plan B - deswegen arbeiten wir konsequent an Plan A."
Doch nicht nur eine falsche Taktik kann dem Übungsleiter vorgeworfen werden. Auch einige Personalentscheidungen sorgen für Stirnrunzeln. "Ich habe nicht verstanden, warum Raphael Guerreiro gegen Bayern nach starkem Debüt nicht gespielt hat und ein Maximilian Philipp nicht mal im Kader stand", wundert sich Sky BVB-Experte Stephan Schäuble.
Sky Experte Dietmar Hamann kritisiert zudem, dass Bosz im zentralen Mittelfeld zu oft auf einen spielstarken offensiv denkenden Spielertyp wie Nuri Sahin oder Shinji Kagawa setzt. "Auf dieser Position musst du Gefahr spüren und musst sehen, wo es gefährlich werden könnte. Für mich gehört da ein Weigl hin."
Unabhängig von Taktik und Personal sieht Schäuble noch ein weiteres Problem beim BVB: "Man hat gerade den Eindruck, dass die Spieler derzeit eher schlechter werden. Als Beispiel kann man hier Julian Weigl nennen", erklärt der BVB-Insider. "Thomas Tuchel hat ihn besser gemacht, Bosz macht ihn schlechter und diesen Eindruck habe ich noch bei ein paar anderen Akteuren."
Thomas Berthold spricht bei "Wontorra - der KIA Fußball Talk" nach dem Kracher gegen die Bayern Klartext: "Fußball hat mit Zweikampfverhalten zu tun. Das System spielt keine Rolle, du musst die Zweikämpfe gewinnen und musst mal dagegenhalten", so der Weltmeister bei Sky Sport. "Das vermisse ich beim BVB, die sterben ja fast in Schönheit. Da stimmen die Abstände nicht. Das 1:0 war symptomatisch. Da konnte ein Bayern-Spieler im Strafraum den Ball annehmen, flach weiterspielen und Robben war auch noch frei."
Auch gegen Nikosia ging Neuzugang Ömer Toprak vor dem Gegentor nur zaghaft in den Zweikampf. Die fehlende Aggressivität in der Defensive zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison der Dortmunder. Bosz bemängelte nach der 2:4-Niederlage in Hannover: "Man kann über Systeme reden, aber wenn man nicht aggressiv spielt, dann kann man kein System spielen."
Zu Saisonbeginn lief es wie geschmiert beim BVB. Die Gegner wurden reihenweise aus dem Stadion geschossen und die Offensiv-Abteilung fackelte ein Feuerwerk nach dem nächsten ab. Doch in den letzten Wochen tun sich die Dortmunder mit dem Tore schießen deutlich schwerer. Gegen Nikosia schoss die Bosz-Elf 30 (!) mal auf das gegnerische Tor, erzielte aber nur einen Treffer. Auch gegen die Bayern hatte der Pokalsieger zahlreiche Hochkaräter, ließ diese jedoch reihenweise aus.
Sinnbildlich für die derzeitige Situation steht Pierre-Emerick Aubameyang, der seit fünf Spielen auf einen Torerfolg wartet. Und ohne die Tore seines Knipsers kann Dortmund einfach nicht gewinnen. In der laufenden Saison siegte der BVB nur beim FC Augsburg, wenn Auba nicht traf. In der gesamten letzten Spielzeit waren es auch nur drei Spiele.
In den letzten Wochen sieht man beim BVB auf dem Platz vor allem eines: Hängende Köpfe. Einen Spieler, der ein Zeichen setzt, dazwischenhaut oder mit gutem Beispiel vorangeht, sucht man bei schwarzgelb meist vergeblich. Dies bemängelt auch Dieter Hoeneß bei Sky90 - die KIA Fußball Debatte. "Einen Krieger wie Vidal gibt es in Dortmund nicht. Sie haben auch nicht die Persönlichkeiten, sie sind da noch in der Entwicklung."
Über 80 Millionen investierten die Dortmunder Verantwortlichen vor der Saison in die Mannschaft. Mahmoud Dahoud und Ömer Toprak sollten für die nötige defensive Stabilität sorgen, aber bisher sind beide noch nicht wirklich beim BVB angekommen. Vor allem Toprak patzte in letzter Zeit wiederholt vor Gegentoren und gilt als Unsicherheitsfaktor.
Auch Jeremy Toljan kann an seine Leistungen bei 1899 Hoffenheim nicht anknüpfen und saß zuletzt nur auf der Bank, obwohl Lukasz Piszczek verletzt fehlt. Doch Bosz setzt auf der Rechtsverteidigerposition lieber auf den gelernten Innenverteidiger Marc Bartra. In der Offensive stellten Andriy Yarmolenko und Maximilian Philipp ihre Klasse bereits unter Beweis, laufen ihrer Form aktuell aber meilenweit hinterher.
Vor allem in der Defensive schlug die Verletzungshexe beim sechsfachen Deutschen Meister extrem zu. Dennoch muss man konstatieren, dass der aktuelle Kader Ausfälle oder Formschwankungen nur schwer auffangen kann. Rechts hinten klafft ein großes Loch und auch Weigl oder Aubameyang, die derzeit von der Rolle sind, kann Bosz nicht adäquat ersetzen.
Berthold redet Klartext: "Sie haben hinten ein Geschwindigkeitsproblem, das ist ganz klar", schimpft der Weltmeister. "Und wenn du im Mittelfeld mit Kagawa, Castro und Weigl nur drei Spieler hast, die den Raum verengen sollen, muss man sagen: Das schaffen die allein von ihrer Athletik gar nicht."
Seit Wochen greift beim Bosz-Team nicht mehr ein Rädchen ins nächste. Dennoch hielten sich die Verantwortlichen selbst nach miserablen Auftritten wie gegen Nikosia mit Kritik zurück. Im exklusiven Sky Interview vor dem Knaller gegen die Bayern sprach Hans-Joachim Watzke sogar von 'Wahnsinn', dass das Wort Krise in der derzeitigen Situation mit dem BVB in Verbindung gebracht wurde.
Auch die Entlassung von Thomas Tuchel, die bekanntlich keine sportlichen Gründe hatte, kritisiert Dietmar Hamann. "Da begibst du dich auf dünnes Eis, wenn du aus persönlichen Gründen einen Trainer entlässt", sagt der ehemalige Champions-League-Sieger.
"Lass die Dortmunder an Weihnachten Sechster sein. Dann kommen die Fragen nach dem Trainer. Da kann man dann auch nicht sagen, dass der hierbleibt, weil er ein netter Kerl ist. Das kann es ja nicht sein, denn das Leistungsprinzip sollte entscheidend sein."