Hamann kritisiert Flick und Team: "Alles zu weich, zu nett, zu eintönig"
23.11.2022 | 19:24 Uhr
Sky Experte Didi Hamann übt nach der Auftaktniederlage gegen Japan in seiner Kolumne deutliche Kritik an der deutschen Mannschaft und an Bundestrainer Hansi Flick. Er vermisst einen Spieler wie Hummels, blickt auf das Spiel gegen Spanien und kommentiert den Wirbel um die "One Love"-Binde.
Die Niederlage war verdient, denn die Japaner hatten in der zweiten Hälfte einige riesige Chancen. Ich hatte das Gefühl, dass die Japaner über das ganze Spiel gesehen fitter waren als die Deutschen.
Du musst über 90 Minuten plus Nachspielzeit konzentriert sein und es professionell runterspielen, aber das hat die Nationalmannschaft nicht getan.
Bezeichnend war für mich die Szene, in der Rüdiger im Duell mit Asano den Ball ins Aus laufen lässt und dabei die Knie hochzieht. Das war symptomatisch für die Unprofessionalität und Überheblichkeit im deutschen Spiel und an Respektlosigkeit nicht zu überbieten, weil er damit den Gegner lächerlich gemacht hat. Rüdiger hat anschließend noch gelacht, aber ich glaube, heute Nacht lachen nur die Japaner.
Die ganzen Torchancen bringen nichts, wenn du sie nicht verwertest, wenn die letzte Konsequenz fehlt. Wenn du den unbedingten Zusammenhalt nicht hast, wirst du bei einem Turnier nicht erfolgreich sein. Ich hatte nie das Gefühl, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht. Man hat die Verantwortung hin und hergeschoben, du brauchst aber Leute, die vorangehen.
Bei einer WM musst du Führung übernehmen und Entscheidungen treffen, aber bis auf Musiala war niemand dabei, der mich überzeugt hat.
Das Ganze war für mich schon vor dem ersten Spiel absehbar. Man hatte sich dazu entscheiden, Harmonie über alles zu stellen. Das war wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Hummels nicht dabei ist. Aber mit einer ruhigen, harmonischen Truppe wirst du nichts gewinnen.
Wie die Mannschaft gegen Japan gespielt hat, kann ich mir vorstellen, dass in den letzten Tagen und Wochen auch nicht alles optimal gelaufen ist, was das Training oder den Zusammenhalt in der Mannschaft betrifft.
Ein Spieler wie Hummels hätte in die Mannschaft gehört, weil er Verantwortung übernimmt, weil er Missstände anspricht, weil er Tendenzen und Entwicklungen erkennt.
Mir ist das alles zu weich, zu nett und zu eintönig. Du brauchst Reibung! Dadurch werden Reize gesetzt. Ich habe das Gefühl, dass wir in Schönheit sterben.
Wenn Flick den einzigen Spieler, der öffentlich Kritik geübt hat, nicht mitnimmt, gehe ich nicht davon aus, dass der Trainer die Dinge mit der nötigen Vehemenz anspricht. Kimmich ist jemand für die deutlichen Worte, aber der kann auch nicht alles machen.
Als die Nationalmannschaft erfolgreich war, hatte sie eine Achse im Team, die Verantwortung übernommen hat, auf die Verlass war.
Wenn ich aber sehe, was Schlotterbeck, ein unheimlich talentierter Spieler, für Fehler macht und wie er sich beim zweiten Gegentor verhält - das ist einfach keine internationale Klasse. Solche Defizite kann man nur wettmachen durch Zusammenhalt und unbedingten Willen, aber den sehe ich bei unserer Mannschaft nicht. Man versucht, sich nicht weh zu tun, alle sind Freunde, alles ist wunderbar, aber so wirst du nichts gewinnen.
Zu sagen, man nimmt einen Bella-Kotchap mit, weil man an die Jugend denkt, geht nicht. Das ist eine WM! Es geht um den Erfolg im Hier und Jetzt! Nicht darum, was in zwei oder vier Jahren ist.
Ich gehe davon aus, dass Japan am Sonntag gegen Costa Rica gewinnt. Ein Unentschieden wird gegen Spanien wahrscheinlich nicht genug sein. Du musst wahrscheinlich gewinnen, aber das sehe ich nicht. Ich habe vor der WM einmal gesagt, es würde mich nicht wundern, wenn wir am 1. Advent wieder daheim sind, und ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es so kommen wird.
Abschließend noch ein Wort zum Wirbel um die "One Love"-Binde: Die Spieler können nicht etwas geraderücken, was die Verbände vorher nicht geschafft haben. Sie sind in Katar, um Fußball zu spielen, das mag keine Entschuldigung sein, aber natürlich lenkt so etwas ab. Es ging gefühlt in den letzten Tagen mehr um die Binde als um Japan. Das hat mit Sicherheit nicht geholfen.
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