WM 2022: Ghana-Trainer Otto Addo im Sky Interview
Ghana-Coach Addo: "Niemand hat uns etwas zugetraut"
28.11.2022 | 10:11 Uhr
Otto Addo (47) ist ein Hamburger Jung, der von dort auszog, um über die Stationen Hannover, Dortmund, Mainz und HSV seine Bundesliga-Karriere zu entwickeln - und auch in der Nationalmannschaft Akzente zu setzen.
Der Sohn eines ghanaischen Arztes war für das Heimatland seines Vaters beim deutschen Sommermärchen 2006 als Spieler aktiv - als Trainer der Ghanaer trägt er bei der WM in Katar die Hoffnungen der Fans im Herzen und einige kritische Gedanken im Kopf!
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Sky: Otto, fühlen Sie als Nationaltrainer mehr Stolz oder mehr Erwartungsdruck?
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Otto Addo: Ich bin ja jetzt mitten im Prozess - da sind es "nur" Fußballspiele. Ich versuche, alles andere auszublenden, und gehe in jedes Spiel, um es zu gewinnen. Der Stolz wird dann hoffentlich präsenter, wenn man nach dem Turnier auf das Erreichte zurückschaut.
Sky: Der erste Auftritt war gut, endete aber mit einer Niederlage gegen Portugal und einem umstrittenen Strafstoß - Superstar-Bonus für Ronaldo?
Addo: Keine Ahnung - ich hoffe nicht. Die Entscheidung war mehr als strittig. Kann ja passieren, dass der Schiedsrichter daneben liegt, aber was uns alle wirklich aufregt, ist, dass der VAR nicht eingeschritten ist und dem Schiedsrichter die Chance gegeben hat, die Entscheidung zu revidieren.
Sky: Es gibt keine Zeit, um sich zu ärgern. Haben Sie und Ihre Mannschaft die Niederlage bereits aus den Klamotten geschüttelt?
Addo: Das ist natürlich unbedingt notwendig! Am Tag danach war es für alle schwierig, das hinzunehmen. Nach dem Training habe ich aber deutlich darauf hingewiesen, dass wir sofort nach vorne schauen müssen. Die Jungs sind sehr fokussiert. Sie wissen um ihre Chance, die sich für einige vielleicht nur einmal im Leben bietet. Wir sind taktisch voll in der Vorbereitung auf Südkorea.
Sky: Da wartet Tottenham-Star Heung-Min Son…
Addo: Eine sehr gute Mannschaft. Sehr fleißig. Schwer zu knacken! Und so einen wie Son darf man nicht zum Abschluss kommen lassen. Der ist mit links und rechts gefährlich. Wir bereiten uns gut vor und wollen gewinnen.
Sky: Sie sind in Hamburg geboren und aufgewachsen. Mussten Sie deshalb in Ghana um Akzeptanz und Respekt kämpfen?
Addo: Ghana war in einer Krisensituation. Dadurch war die Erwartungshaltung sehr niedrig. Nach dem enttäuschenden Afrika-Cup - für den ich vom BVB verständlicherweise keine Freigabe als Co-Trainer bekommen habe - hat dieser Mannschaft niemand mehr etwas zugetraut. Wir hatten viele Verletzte, haben uns dann aber gegen Nigeria qualifiziert. Das hat Viele überrascht. Der Druck war alles in allem nicht ganz so groß, weil wir praktisch von Null kamen.
Sky: Dennoch anspruchsvolle Voraussetzungen, um in so einer Situation Struktur reinzubringen. Wie haben Sie das angepackt?
Addo: Großes Kompliment an die Spieler, wie schnell sie sich an meine Vorstellungen angepasst haben. Sie haben meinen Plan schnell verstanden - das hat mich gefreut.
Sky: Die afrikanischen Teams sind gespickt mit Spielern, die in den europäischen Ligen beschäftigt sind. Wie wirkt sich das auf den Stil aus?
Addo: Die taktischen Grundvoraussetzungen sind mittlerweile universell. Und im Übrigen gibt es auch in Afrika sehr viele hervorragende Trainer. Die Jungs haben alle eine ausgezeichnete Grundausbildung. In der Offensive müssen wir unser Tempo und unsere Stärken im 1:1 nutzen. Gegen Portugal konnte man sehen, dass wir sehr diszipliniert verteidigen können und wenig zugelassen haben.
Sky: Afrika hat fünf der 32 Startplätze erhalten. Steckt da ein Fehler im System?
Addo. Ja! Das ist ein großes Problem. In Afrika gibt es 54 Länder - fünf Plätze sind viel zu wenig. Das führt dazu, dass Ägypten zum Beispiel nicht dabei ist - mit Weltstar Mo Salah. Viele afrikanische Teams haben ein fantastisches Niveau. Es gibt da meiner Ansicht nach Reformbedarf. Das Problem ist, dass es keinen Startpunkt gab, an dem alle unter denselben Voraussetzungen begonnen und die Kontinente nach der Anzahl ihrer Länder bewertet wurden. Die Europäer sammeln seither viele Punkte. Ich sehe da auch einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang. In Europa ist viel mehr Geld da, das in den Fußball investiert werden kann. Die FIFA muss da versuchen, für mehr Chancengleichheit zu sorgen.
Sky: In Deutschland sind die Verhältnisse in Katar ein großes und sehr kontrovers diskutiertes Thema. Wie blicken die Menschen in Ghana auf die Umstände?
Addo: Das ist dort kein großes Thema - weil die Perspektive eine andere ist. Natürlich ist es extrem wichtig, sich für Menschenrechte einzusetzen, die Missstände klar anzusprechen. Diese Stimmen müssen gehört werden! Auf der anderen Seite finde ich schon, dass man nicht vergessen sollte, dass in Europa auch Dinge falsch laufen, Missstände verursacht wurden, die zum Beispiel auch Afrika betreffen.
Sky: Die One-Love-Binde war ein großes Thema. Wie haben sie das beobachtet?
Addo: Ich hätte es gut gefunden, wenn die Nationalmannschaft sie getragen hätte. Aber noch besser würde ich es finden, wenn die Menschen, die lautstark dafür plädiert haben, sich selbst deutlich aktiver einsetzen würden. Es ist nicht fair, das auf die Jungs abzuwälzen. Wir sollten außerdem nicht ausblenden, dass da viel Doppelmoral im Spiel war. Viele handeln anders, als sie es von den Fußballspielern fordern. Und ich finde es wichtig, auch immer das eigene Verhalten zu überprüfen.
Sky: Wie meinen Sie das?
Addo: Vor den Toren Europas sterben Menschen. Und die Gründe dafür, dass sie aus ihren Ländern flüchten, werden auch durch Eingriffe von außen verursacht. Wir schmeißen jeden Tag tonnenweise Essen weg. In Afrika verhungern Menschen. Wasserquellen werden dort gekauft und besetzt, und die Menschen haben nichts zu trinken. Der Sohn einer befreundeten Familie hat sich kürzlich nach Europa aufgemacht und ist verschwunden. Der Grund für seine Flucht war, dass seine Fischerfamilie ihrer Existenz beraubt wird, weil europäische Schiffe vor Ghanas Küsten alles wegfischen.
Sky: Bei allen Diskussionen geht es natürlich um sportlichen Erfolg auf größter Bühne. Wie halten Sie während des Turniers die Stimmung auf dem nötigen Niveau?
Addo: Die Trainingseinheiten sind immens wichtig - das ist ja klar. Aber wir sorgen auch für Momente, in denen die Jungs durchpusten und zum Beispiel ihre Familien treffen können. Wir hatten auch schon einige Abendveranstaltungen, um in lockerer Atmosphäre die Neuen zu integrieren.
Sky: Müssen die etwas vorführen?
Addo: Ja, die müssen tanzen.
Sky: Mussten Sie das auch?
Addo: Ja, natürlich - das habe ich direkt erledigt, als ich Co-Trainer geworden bin.
Sky: Zum Abschluss der Gruppenphase kommt es zum Treffen mit Uruguay. Wie präsent ist das Viertelfinale von 2010 in Ghana, als Luis Suarez in der 120. Minute mit einem absichtlichen Handspiel verhindert hat, dass erstmals eine afrikanische Mannschaft in ein WM-Halbfinale einzieht?
Addo: Daran erinnern sich natürlich viele. Aber für uns spielt das keine Rolle. Es muss völlig klar sein, dass wir uns auf das Spiel fokussieren und nicht überdrehen, weil wir eine Rechnung aus der Vergangenheit begleichen wollen. Das wird ganz sicher von außen reingetragen werden - davon dürfen wir uns aber nicht beeinflussen lassen.
Sky: Ghanas Staatspräsident Akufo-Addo war während der Vorbereitung im Camp. Was hat er Ihnen mit auf den Weg gegeben?
Addo: Er hat uns gesagt, wie begeistert er von der Mannschaft ist und wir auf dem richtigen Weg sind. Er hat darauf geachtet, uns keinen Druck zu machen, sondern uns ermutigt, unseren Stil zu bewahren und mit viel Leidenschaft das Land stolz zu machen.
Sky: Wie geht es nach dem Ende des Turniers bei Ihnen weiter?
Addo: Da halte ich es so, wie es sich für mich als Spieler schon ausgezahlt hat. Ich konzentriere mich auf die Gegenwart. Jetzt hat die WM Priorität, danach gehe ich zurück zum BVB - das ist der Plan. Der Verband wollte gern längerfristig mit mir arbeiten, aber durch die Doppelbelastung war sehr wenig Zeit für die Familie. Nach der WM ist defintiv Schluss als Nationaltrainer.