WM 2022: Naldo über Brasilien-Kroatien, Frankreich und Deutschland
Sky exklusiv || Naldo: "Deutschland muss jetzt auf Brasilien schauen"
08.12.2022 | 19:03 Uhr
Als torgefährlicher Verteidiger spielte sich Naldo in der Bundesliga in die Herzen der Fans. Mit Brasilien gewann er 2007 die Copa America. Im Interview spricht er über die Leistung der Selecao in Katar, die Jubeltänze und seine WM-Favoriten. Und er sagt, was Deutschland von Brasilien lernen kann.
Skysport.de: Naldo, Brasilien hat bisher bei dieser WM einen sehr starken Eindruck hinterlassen und mit Zauberfußball die Fans begeistert. Kann die Selecao sich nur selbst schlagen?
Naldo: Klar, Brasilien spielt momentan sehr, sehr gut. Das war auch schon in der WM-Qualifikation so. Sie haben eine gute Balance zwischen Offensive und Defensive gefunden, der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft und die Mentalität der Spieler sind auch viel besser als bei der letzten WM in Russland. Aber in Katar sind auch noch andere Teams wie Frankreich, England oder Argentinien, die gezeigt haben, dass sie stark sind. Auch Kroatien kann Brasilien in Schwierigkeiten bringen.
Skysport.de: Sie haben die bessere Balance angesprochen. In der Offensive hatte Brasilien immer herausragende Spieler, so auch dieses Mal. Neymar, Richarlison, Vinicius Junior - um nur einige zu nennen. Aber auch defensiv war Brasilien bisher überragend. Könnte das der Schlüssel zum WM-Titel sein? Es heißt immer "Defence wins championships".
Naldo: Brasilien bringt Jahr für Jahr tolle Offensivspieler heraus, aber bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften war die Defensive nicht auf dem Niveau wie der Angriff. Jetzt sind sie mit Thiago Silva, Marquinhos in der Innenverteidigung und auch auf den Außenpositionen sehr gut besetzt. Dazu Casemiro im Mittelfeld. Brasilien hat sich in allen Mannschaftsteilen verbessert. Ja, das kann ein Schlüssel sein.
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Skysport.de: Thiago Silva ist mittlerweile 38 Jahre alt. Sind Sie überrascht, dass er immer noch auf einem so hohen Niveau spielt?
Naldo: Nein, ich habe mit ihm zuammengespielt, wir sind Freunde. Er hat immer sehr gut auf seinen Körper geachtet. Ich selbst war auch mit 37 noch auf Topniveau (lacht). Ich glaube, dass ihm sein Wechsel von PSG zum FC Chelsea, mit dem er die Champions League gewonnen hat, sehr gutgetan hat. Er zeigt in jedem Spiel seine Qualität und hat in Marquinhos einen sehr guten Mann an seiner Seite.
Skysport.de: Sie haben Casemiro angesprochen. Wie wichtig ist er für das Team?
Naldo: Sehr wichtig. Er spielt zentral, macht es defensiv und offensiv sehr gut. Er ist ein Schlüsselspieler für die Selecao. Durch seine Arbeit können Spieler wie Neymar glänzen, er bringt der Mannschaft die wichtige Balance.
Skysport.de: Casemiros Wechsel von Real Madrid zu Manchester United kam damals für viele etwas überraschend. War es im Nachhinein für ihn ein wichtiger Schritt, eine neue Liga und einen anderen Fußball kennenzulernen?
Naldo: Ich denke ja. Mit Madrid hatte er alles gewonnen und Real gibt Spielern ab einem gewissen Alter nur noch kurze Verträge. Der Wechsel war für beide Seiten gut, bei Real konnte Aurelien Tchouameni in seine Fußstapfen treten. Casemiro kann Manchester mit seiner Erfahrung helfen, irgendwann wieder an alte Erfolge anzuknüpfen.
Skysport.de: Viele Brasilianer spielen in der englischen Liga, auch Richarlison und Paqueta, die bei der WM für Furore gesorgt haben. Vinicius Junior und Eder Militao haben mit Real Madrid die Champions League gewonnen. Hat der Einfluss der stärksten Liga bzw. des erfolgreichsten Klubs der Welt die brasilianische Nationalmannschaft noch besser gemacht?
Naldo: Auf jeden Fall. Spieler wie Richarlison (von Everton zu Tottenham) oder Antony (von Ajax zu ManUnited) haben durch ihre Wechsel noch einmal einen Schritt nach vorn gemacht. Die Spieler nehmen die Kultur auf, das ist nicht nur in England so, sondern auch in Spanien. Die Mischung trägt zum Erfolg bei.
Skysport.de: Brasilien begeistert bei der WM mit Tricks, Toren und Tänzen. Richarlisons Volleyschuss gegen Serbien oder das 3:0 gegen Südkorea nach Kombination mit zwei Innenverteidigern waren Zauberfußball. Was sagen zu dem Niveau der Selecao?
Naldo: Gegen Serbien und die Schweiz hatte Brasilien auch Probleme, aber Südkorea hat versucht mitzuspielen, und das war gegen ein so starkes brasilianisches Team der große Fehler. Nach 20 Minuten war das Spiel entschieden, das gab viel Selbstvertrauen und fast alles hat geklappt. Aber gegen Kroatien wird es nicht so einfach sein. Da müssen sich alle über 90 Minuten zu 100 Prozent konzentrieren. Sonst wird in einem WM-Viertelfinale jeder Fehler bestraft.
Skysport.de: Gegen Südkorea haben die Spieler jedes der vier Tore mit einem speziellen Tanz gefeiert. Manche, darunter ManUnited-Legende Roy Keane, fanden das zu viel und respektlos gegenüber dem Gegner. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Naldo: Ich finde das zu hart von Roy Keane. Nach einem Tor darfst du alles machen. Tanzen gehört zu unserer Kultur. Die Afrikaner tanzen auch vor dem Spiel oder nach einem Tor. Respektlos würde man es in Brasilien finden, wenn ein Spieler direkt vor den Gegnern jubeln und tanzen würde. Sie haben es aber in der Ecke und an der Seitenlinie getan. Ich finde, man soll jeden Treffer feiern, wie man will, denn es ist immer schwer, Tore zu schießen.
Skysport.de: Sie leben in Monaco und kennen den französischen Fußball sehr gut. Wie schätzen Sie Frankreichs Chancen ein?
Naldo: Die Franzosen hatten vor der WM schon viele Verletzte, dann kam Lucas Hernandez dazu, aber sie haben trotzdem eine sehr gute Mannschaft. Man kann sie ein bisschen mit Brasilien vergleichen. Sie haben überragende Stürmer wie Mbappe, Giroud, Dembele oder Griezmann, aber sie haben auch ein starkes Mittelfeld mit Tchouameni und eine sehr gute Abwehr. Man muss sehen, was sie gegen England machen, aber sie sind neben Brasilien mein Favorit.
Skysport.de: Wie beurteilen Sie die Leistung von Dayot Upamecano, der zu Beginn seiner Zeit beim FC Bayern noch häufig kritisiert wurde?
Naldo: Nach seinem Wechsel aus Leipzig war es für ihn zu Beginn in München nicht leicht. Er brauchte ein bisschen Zeit, aber er hat bewiesen, dass er ein sehr guter Innenverteidiger ist. In der Nationalmannschaft ist es durch die Sprache vielleicht ein bisschen einfacher für ihn. Ich finde, er hat bisher eine sehr gute WM gespielt.
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Skysport.de: Frankreich gegen Brasilien könnte ein mögliches Endspiel sein. Sollte Brasilien sich gegen Kroatien durchsetzen und Argentinien die Niederlande schlagen, käme es im Halbfinale zum südamerikanischen Klassiker.
Naldo: Argentinien ist unser großer Rivale. Durch die Niederlage gegen Saudi-Arabien haben sie gelernt, dass sie nur gewinnen können, wenn sie immer 100 Prozent geben. Ihre Mentalität macht sie für alle zu einem sehr gefährlichen Gegner. Alle fiebern diesem Spiel entgegen, aber zuerst muss Brasilien gegen Kroatien gewinnen und Argentinien die Niederlande schlagen.
Skysport.de: Deutschland ist zum zweiten Mal in Folge in der Vorrunde ausgeschieden. Was waren aus Ihrer Sicht die größten Schwächen?
Naldo: Die Defensive war überfordert. Für mich war es sehr überraschend und ein Fehler, dass Mats Hummels nicht dabei war. Er hätte mit seiner Erfahrung den jungen Spielern helfen können. Deutschland war immer als Mannschaft stark, aber ich habe keinen Zusammenhalt auf dem Platz gesehen. Die Spieler waren nicht zu 100 Prozent konzentriert, die Mentalität, der Wille und die Überzeugung, jeden schlagen zu können, haben gefehlt. Deutschland hat so viele gute Spieler, aber Zusammenhalt und Leidenschaft haben gefehlt. Jamal Musiala war der beste deutsche Spieler bei der WM. Er hat alles versucht, aber allein geht es nicht, es müssen alle mitmachen.
Skysport.de: Was kann Deutschland von Brasilien lernen?
Naldo: Deutschland war über Jahre ein Vorbild in Sachen Leidenschaft und Mentalität. Die Situation hat sich geändert. Deutschland muss jetzt auf Brasilien schauen und wieder Willen und Leidenschaft zeigen. Jetzt ist der Zeitpunkt, sich wieder auf diese Stärken zu besinnen, wenn man in zwei Jahren bei der Heim-EM und in vier Jahren bei der nächsten WM Erfolg haben will.
Das Interview führte Thorsten Mesch
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