Peter Christiansen ist seit Juli 2024 Sport-Geschäftsführer des VfL Wolfsburg.
22.11.2024 | 15:47 Uhr
Im exklusiven Interview mit Sky spricht der Funktionär über Wintertransferpläne, die Atmosphäre in der Stadt, Trainer Ralph Hasenhüttl und die öffentlich gewordene homophobe Äußerung von Kevin Behrens.
Sky Sport: Sie haben bislang nicht viele Interviews gegeben. Was ist der Grund dafür?
Christiansen: Ich sitze doch hier (lacht). Nein, ich finde, die Leute müssen nicht ständig mir zuhören. Sebastian Schindzielorz und Ralph Hasenhüttl sprechen häufig in der Öffentlichkeit. Wir haben uns entschieden, das auf mehrere Personen zu verteilen.
Sky Sport: Empfinden Sie die öffentliche Betrachtung als Störfaktor?
Christiansen: Natürlich nicht. Das ist Teil des Berufs. Damit lebe ich seit vielen Jahren. Mir ist klar, dass das Interesse da ist, und dass wir von diesem Interesse leben. Manchmal ist es aber sinnvoll, einen Schritt zurückzutreten und anderen das Scheinwerferlicht zu überlassen. Das gilt übrigens für die guten, aber auch für die nicht so guten Momente.
Sky Sport: Welche Hindernisse sind Ihnen im Job begegnet, seit Sie nach Deutschland gewechselt sind?
Christiansen: Die größte Herausforderung war, dass wir einen sehr großen Kader unterhalten haben. Ich musste als Neuankömmling natürlich erstmal überblicken, welche Spieler wir haben, was wir noch brauchen und dabei einkalkulieren, dass einige Spieler spät von der EM zurückkommen würden. Daraus dann den Schluss zu ziehen, welche Spieler wir für die erste Saisonhälfte brauchen würden, war anspruchsvoll.
Sky Sport: Gibt es Abläufe, die Sie überrascht haben?
Christiansen: Die Fußballwelt funktioniert doch überall relativ ähnlich. Die Fußball-Kultur in Deutschland ist natürlich gewaltig und sehr präsent. Mir war von Beginn an klar, dass jedes einzelne Spiel eine Herausforderung sein wird - in beide Richtungen. Wir können mit Vereinen mithalten, die größere Budgets haben als wir - Klubs mit geringeren finanziellen Möglichkeiten sind allerdings auch jederzeit in der Lage uns Probleme zu bereiten. Ich habe meinen Job hier mit großem Respekt vor der Bundesliga angetreten, und die ersten fünf Monate haben mir bestätigt, dass das die angemessene Grundhaltung ist.
Sky Sport: Empfinden Sie die Ausgeglichenheit als Markenzeichen der Bundesliga?
Christiansen: Die Liga ist sehr eng. Einige Klubs haben Weltklassespieler, aber alle Klubs haben gute Ideen und dadurch ihre Möglichkeiten zum Erfolg zu kommen. Für mich ist es sehr wichtig, dass mit Sebastian Schindzielorz, den ich sehr schätze, ein erfahrener Sportdirektor beim VfL arbeitet. Und Ralph Hasenhüttl hat ebenfalls viel in seiner Karriere erlebt. Beide haben mir sehr geholfen, den Wettbewerb in Deutschland gut einschätzen zu können.
Sky Sport: Haben die beiden Sie darauf vorbereitet, dass unangenehmer Druck entstehen wird?
Christiansen: Auf diesem Posten hat man natürlich eine Menge Druck. Aber was wäre Profi-Fußball ohne Druck? Damit könnte ich nichts anfangen. Ich komme - wie Sie wissen - vom FC Kopenhagen. Wenn man da nicht jedes Wochenende gewinnt, dann hat man ein Problem! Das gehört auf diesem Niveau dazu - damit lebe ich ganz gut. Manchmal brauche ich dann aber auch Zeit für mich selbst, um die Gedanken zu sortieren, oder auch um andere Mannschaften spielen zu sehen und davon zu lernen, wie diese Vereine mit Schwierigkeiten umgehen.
Sky Sport: Sie leben Ihren Job mehr oder weniger im 24/7-Modus?
Christiansen: Ja, das ist so. Und das ist auch das, was die Menschen hier von mir erwarten können. Ich bin nach Wolfsburg gekommen, um für Erfolg zu sorgen. Ich sehe es als meine Aufgabe, hier etwas Nachhaltiges aufzubauen. Es geht um ein kontinuierlich erfolgreiches Projekt. Dafür muss man natürlich zunächst das Fundament stabilisieren und klare Absprachen treffen, wie wir die Abläufe strukturieren wollen. Dann hofft man natürlich auf sofortigen Erfolg und die entsprechenden Ergebnisse. Das ist im Fußball aber nun mal nicht so einfach. Wir glauben an die Richtung, die wir eingeschlagen haben - aber natürlich brauchen wir Resultate, um das zu belegen.
Sky Sport: Ist es nicht aber auch mal notwendig, ohne Fußball durchzupusten?
Christiansen: Ich entspanne mich bei meiner Familie, bei langen Spaziergängen, einem guten Film oder Besuchen im Museum. Ich interessiere mich für Kunst - vor allem für skandinavische Künstler. Vielleicht kann ich meinen Horizont in der Hinsicht hier noch ein wenig erweitern.
Sky Sport: Manche Leute entspannen sich, indem sie ein Instrument lernen…
Christiansen: Damit bin ich durch. Meine Eltern wollten unbedingt, dass ich ein Instrument beherrsche. Klavier, Violine, Gitarre - ich habe vieles ausprobiert, habe die Übungsstunden aber eher als anstrengend empfunden.
Sky Sport: Warum hat der sportliche Erfolg sich bislang nicht wie erhofft eingestellt?
Christiansen: Um ein Projekt von einem Punkt zum anderen zu bewegen, sind hohe Ambitionen sehr wichtig. Hohe Ambitionen führen zu ebenso hohen Erwartungen. Wir wollen ein nachhaltiges Projekt auf den Weg bringen, das dauerhaft erfolgreich ist und nicht etwas, mit dem wir nur alle fünf, sechs Jahre mal erfolgreich sind. Dafür braucht es sicher auch ein wenig Geduld und die Bereitschaft, nicht sofort wieder in eine andere Richtung zu marschieren, wenn es schlechter läuft als erwartet. In unserer bisherigen Saison haben ein paar vermeidbare späte Gegentore dazu geführt, dass wir vier oder fünf Punkte weniger haben als möglich gewesen wären.
Sky Sport: Sehen Sie die Notwendigkeit, den Kader im Winter zu verbessern?
Christiansen: Mit Kaderbewegungen muss man immer rechnen. Wie intensiv die bei uns sein werden, ist noch nicht vorhersagbar. Wir haben noch sehr wichtige Spiele, aus denen wir sehr wichtige Informationen ziehen werden. Ich sage es mal so: Ein Transferfenster ohne Transfers - das passiert nicht allzu häufig (schmunzelt).
Sky Sport: Mit welcher Philosophie gehen Sie die Transferphase an?
Christiansen: Wir schauen uns den Kader natürlich permanent an, um zu bewerten, wo wir eventuell noch Bedarf haben. Die Spieler, die wir holen würden, müssten das Niveau haben, unsere Startelf zu verbessern. Im Winter ist es meiner Ansicht nach nicht sinnvoll, junge hochtalentierte Spieler zu holen. Bence Dardai hat sich ja zum Beispiel seinen Platz erarbeitet und bewiesen, dass wir ihm vertrauen können. Wir haben noch mehr Talente, die das Niveau mitbringen und hart für ihre Chance arbeiten.
Sky Sport: Wie wichtig war der Sieg in Heidenheim vor der Länderspielpause im Hinblick auf die immer mal wieder aufkommende Unzufriedenheit im Umfeld?
Christiansen: Siege sind immer wichtig. Dieses Spiel vor der Länderspielpause zu gewinnen, war sicher noch ein bisschen wichtiger. Unsere Nationalspieler kommen jetzt hoffentlich mit einer positiven Grundhaltung zurück nach Wolfsburg und nehmen die auch mit in die Partie gegen Union Berlin. Ich hoffe da auf einen guten Vibe. Den benötigen wir auch dringend. Wir hatten einige erfolgreiche Auswärtsauftritte, sind aber an einem Punkt, wo wir einen Heimsieg benötigen - möglichst natürlich eine Heimsieges-Serie. Sonst wird es schwierig, unsere Ziele zu erreichen. Und das ist ja bekanntermaßen die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb.
Sky Sport: Was ist Ihre Methode, um mit Unruhe und Unzufriedenheit umzugehen?
Christiansen: Das Wichtigste ist: Nur wir wissen genau, was und warum etwas bei uns passiert. Fans, Medien, Sponsoren - natürlich haben alle ihre Meinung, und die respektiere ich vollumfänglich. Kritik ist willkommen - solange sie auf Fakten basiert und nicht persönliche Grenzen überschreitet. Wenn es doch mal so weit kommt, sollte man sich davon nicht provozieren lassen - das ist mir in meiner Karriere bislang ganz gut gelungen.
Sky Sport: Hätten Sie in der Nachbetrachtung alle Entscheidungen so gefällt, wie ihr Trainer Ralph Hasenhüttl es gemacht hat?
Christiansen: Natürlich diskutieren wir unterschiedliche Ansichten konstruktiv, und das ist auch wichtig. Wir haben einen guten Austausch. Wir sollten nicht vergessen, dass wir wegen verschiedener Verletzungen nur sehr selten, die Chance hatten, zweimal hintereinander mit derselben Startelf anzutreten. Das ist eine Feststellung - keine Ausrede. Diese Kontinuität brauchen wir aber, um uns von Woche zu Woche weiterzuentwickeln.
Sky Sport: Was kennzeichnet Ihr Verhältnis zum Trainer?
Christiansen: Transparenz und direkte Ansprache - anders geht es nicht.
Sky Sport: Hasenhüttl hat nach der Niederlage gegen die Bayern Kritik an den eigenen Fans geübt ("Friedhof"). Waren Sie einverstanden damit?
Christiansen: Nicht unbedingt. Aber ich weiß natürlich, wie hoch der Puls geht, wenn man an der Seitenlinie steht - da sieht man die Dinge im ersten Moment manchmal etwas anders. Ich finde, dass unsere Fans uns vor allem zu Hause sehr gut unterstützen. Ich glaube aber auch an das Recht, seine eigene Meinung zu äußern. Das war Ralphs Gefühl an dem Tag - und es muss in Ordnung sein, das auch auszudrücken.
Sky Sport: Die Atmosphäre in der Stadt ist derzeit geprägt von der VW-Krise. Welchen Einfluss hat das auf den VfL?
Christiansen: Natürlich ist das ein sehr großes Thema in der Stadt. Alle sprechen darüber - zum Teil aus unterschiedlichen Perspektiven. Wir versuchen natürlich, uns auf unsere Aufgaben zu fokussieren. Das ist eine sehr schwierige Situation. Wir müssen versuchen, den Menschen in der Stadt ein wenig Freude, viele Siege und ehrlichen Kampfgeist zu präsentieren. Wir haben Respekt davor, was in der Stadt passiert - und das müssen wir auch auf dem Platz zeigen.
Sky Sport: Ist das ein zusätzlicher Ansporn?
Christiansen: Jeder sollte immer sein Bestes geben. Wir erwarten sehr viel von den Spielern und hoffen insbesondere, dass wir schnell ein paar Heimsiege einfahren können. Nicht zuletzt auch, um den Menschen in Wolfsburg ein etwas besseres Gefühl zu geben.
Sky Sport: Was hat Union Berlin bislang besser gemacht als Wolfsburg? Der kommende Gegner steht dort, wo der VfL hinwill.
Christiansen: Das stimmt. Aber der Weg ist noch lang. Wir haben gerade mal zehn Spiele hinter uns. Hätten wir mehr Punkte holen müssen? Ja! Aber wir sehen das Spiel gegen Union als Gelegenheit, den Abstand zu dieser Tabellenregion zu verringern.
Sky Sport: Die öffentlich gewordene homophobe Äußerung von Kevin Behrens hat für sehr viel Aufsehen und Verständnislosigkeit gesorgt. Waren Sie enttäuscht von ihm?
Christiansen: Ja, ich war sehr enttäuscht darüber. Deshalb haben wir ihn entsprechend sanktioniert. Darüberhinaus wird er seither in jedem Stadion - auch in unserem - von den Fans abgestraft. Damit muss er leben - das schafft er auch. Er hat einen Fehler gemacht, um Entschuldigung gebeten und ist sanktioniert worden. Es würde mich freuen, wenn wir ab jetzt nach vorne schauen würden.
Sky Sport: Befürchten Sie durch die fortwährenden Proteste negative Auswirkungen auf die Performance der gesamten Mannschaft?
Christiansen: Nein.
Das Interview führte: Sven Töllner
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