Krzikalla über Coming Out: "War immer eine innere Zerreißprobe"
03.10.2022 | 21:59 Uhr
Handballer Lucas Krzikalla vom SC DHfK Leipzig hat sich vor wenigen Tagen als erster Spieler der vier größten Sportligen in Deutschland als schwul geoutet. Im exklusiven Interview mit Sky spricht der Rechtsaußen über seinen Schritt an die Öffentlichkeit, seine Ängste und seine Rolle als Vorbild.
... seinen Weg zum Coming Out: "Der Weg war sehr steinig. Das war auch für mich selbst immer eine innere Zerreißprobe. Gehe ich den Schritt nun selbst oder nicht? Es war wirklich ein langer Prozess, der auch für mich gedauert hat, aber im Endeffekt stand ich mir vielleicht auch selbst im Weg und bin da nicht wirklich mit der Sprache rausgerückt. Ich habe mich da auch ein bisschen sehr verstellt und ein bisschen viel gelogen, was manche Themen anging. Ich bin jetzt aber froh, dass es nicht mehr so ist und die Zeit gekommen ist, darüber öffentlich zu reden."
… die Erleichterung nach dem Coming Out: "Die Erleichterung war wirklich sehr, sehr groß. Das ging aber auch schon los, als der Geschäftsführer Karsten Günther damals zu mir kam und den ersten Schritt gemacht hat. Auch die Mannschaft hat das so positiv aufgenommen und wir mussten nicht noch mal drüber sprechen, das war dann einfach mit integriert. Und jetzt, mit dem ganz großen Coming Out in der Öffentlichkeit ist natürlich noch mal ein viel größerer Stein vom Herzen gefallen. Jetzt weiß wirklich jeder Bescheid und ich muss mich nicht mehr verstellen, nicht mehr verstecken. Es ist auch einfach schön zu sehen, wie die Reaktionen ausfallen und das war sehr überwältigend und sehr emotional für mich."
… seinen Partner: "Es hat sich mit meinem Freund Christian so normal angefühlt, wenn wir zusammen unterwegs waren. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich irgendjemand verstecken muss und das war auch wirklich sehr wichtig, weil ich zu meinem Freund stehe und nicht so ein Versteckspiel betreiben möchte. Und das war wirklich ein enorm großer Schritt, den wir da zusammen gegangen sind. Es war schön zu sehen, dass er mir auch immer den Rücken gestärkt hat, immer für mich da war und einfach bei mir war."
… seine Rolle in Leipzig und in der Mannschaft: "Für mich war es am Anfang ein bisschen mehr Druck. Aber je mehr ich gesehen habe, dass alle damit gut umgehen und ich mich immer mehr geöffnet habe zu anderen Spielern, anderen Positionen, auch im Verein, war es dann einfacher, weil ich ja viele auch schon lange kenne. Und dann war es auch einfach für mich und das Team war sehr verständnisvoll. Ich hätte mir kein verständnisverständnisvolleres Team wünschen können in dem Moment. Alle standen hinter mir und haben an einem Strang gezogen. Und deswegen war das einfacher für mich auch an die Öffentlichkeit zu gehen."
… Ängste vor dem Coming Out: "Schwul sein im Profisport ist, glaube ich, noch mit vielen Vorurteilen belegt. Und ich glaube, diese Vorurteile sollte man aufbrechen. So ging es auch mir, dass ich mir viel zu viele Gedanken gemacht habe, mir selbst im Weg stand. Das hat sich im Nachhinein ja alles gar nicht bestätigt. 'Was ist in der Dusche? Was passiert, wenn da jetzt ein schwuler Spieler ist?' Dann wurde auch ab und zu im Mannschaftsbus darüber gesprochen, als es noch nicht raus war, ich es aber für mich wusste. Und das waren solche Gespräche, von denen ich mich zurückgezogen habe. Das sind so Ängste, die mir ein bisschen im Weg standen oder wie die Mitspieler oder wie die Zuschauer reagieren, auch auswärts, man weiß es nicht. Es kann dann auch schon mal jemand sagen, wenn es vielleicht gut läuft für uns: 'Du Schwuchtel!' Das sind alles Dinge, die im Kopf herumschwirren. Man hätte es vielleicht auch schon eher machen können. Aber ich denke, es ist trotzdem nicht zu spät dafür."
… die Reaktionen: "Alle durch die Bank weg positiv. Ich glaube, bei dem Post mit Chris hatte ich jetzt über 1000 Kommentare und da sind so viele dabei, die ich auch persönlich kenne, auch vom Handball natürlich. Spieler, zu denen ich aufgeschaut habe. Jogi Bitter oder Hans Lindberg zum Beispiel. Stefan Kretzschmar oder Silvio Heinevetter sind Handball-Ikonen, die auch mit dahinterstehen. Und das finde ich einfach bemerkenswert. Mit so einem phänomenalen positiven Feedback hatte ich nicht gerechnet und das hat mich an einigen Stellen wirklich sprachlos gemacht."
… das Gefühl, der erste öffentlich homosexuelle Mannschaftssportler in einer der vier großen Profiligen Deutschlands zu sein: "Es ist schon ein besonderes Gefühl. Ich glaube, realisiert habe ich es noch nicht wirklich, weil es dann doch vielleicht zu groß entwickelt hat. Ich habe zum Beispiel über Instagram gesehen, dass die Tagesschau es gepostet hat und sie hatte einfach, glaube ich, über 110.000 Likes. Und da dachte ich mir schon: 'Okay, krass.' Mit so was rechnet man natürlich nicht. Aber umso schöner finde ich es zu sehen, dass es so passiert ist. Und klar ist es dann auch etwas Besonderes. Die Moderatorin gestern in der Sportschau hat gesagt: 'Ja, vielleicht auch Sportgeschichte geschrieben.' Und wenn man das dann so hört, dann wird das einem immer mehr bewusst. Trotzdem hoffe ich, dass es dann wirklich Normalität wird und darüber nicht mehr so groß gesprochen werden muss. Vielleicht wurde im Männermannschaftssport so ein Vorurteil gebrochen und dass wirklich Normalität einkehrt."
… seine Rolle als Vorbild und Wünsche für die Zukunft: "Ich sehe mich in dieser Hinsicht schon als Vorbild. Wir haben ja auch im Verein den Slogan 'Gemeinsam Vorbild sein'. Und das hat jetzt noch mal eine ganz andere Bedeutung gewonnen in einem ganz anderen Kontext. Und ich denke genau da kann man auch Vorbild sein. Das nehme ich auch wirklich gern mit und das möchte ich auch gerne sein. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass jetzt alles so bleibt, wie es ist. Ich bereue auf jeden Fall nicht, diesen Schritt gegangen zu sein. Das kann ich zu 100 Prozent unterschreiben. Und ich würde mich freuen, wenn vielleicht der eine oder andere Sportler auch diesen Schritt geht, weil wir dann auch wirklich mehr Richtung Normalität und Alltag kommen. Ich denke, das ist sehr wichtig und das würde mich einfach freuen. Vielleicht kann ich da auch selbst noch irgendwie tätig werden. Wenn es so bleibt, wie es ist, ist es auch sehr schön. Ich freue mich jetzt einfach auch auf die nächsten Spiele. Jetzt geht auch der Fokus wieder auf den Handball."
Mehr zu den Autoren und Autorinnen auf skysport.de
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.