Tennis: Rafael Nadal will 14. Titel bei French Open gewinnen
Das letzte Hurra des Matadors?
05.06.2022 | 20:09 Uhr
Rafael Nadal steht im Finale der French Open. Mal wieder. Genau 17 Jahre nach seinem ersten Titel greift der Spanier nach seinem 14. Pokal in Roland Garros. Nadal deutete zuletzt an, dass es sein letztes Match auf dem Philippe Chatrier sein könnte - und doch scheint er noch nicht satt zu sein.
Die Experten waren sich einig. Als Rafael Nadal die Tennis-Welt 2005 eroberte, glaubte fast niemand an eine lange Karriere des Spaniers. Der Teenager mit Hosen bis zu den Knien und ärmellosen Shirts peitschte seinerzeit jede Vorhand mit voller Wucht über den Platz. Zudem gab er keinen Punkt verloren und kämpfte um wirklich jeden Ball. Die spanische El Pais schrieb über ihn: "Gegen Nadal kann man nie davon ausgehen, einen Winner geschlagen zu haben, weil er über so beeindruckende Energiereserven verfügt. Er gibt alles, gibt nie einen Punkt auf und wirkt trotzdem weniger erschöpft als sein Gegner,"
Spielstil zu kräftezehrend?
Diese Attribute kombiniert mit dem unfassbaren Topspin, den Nadal produzieren konnte, sorgten dafür, dass er 2005 als 19-Jähriger stolze elf ATP-Titel einsammelte. Darunter auch den ersten von bisher 21 Grand-Slams, als er den Argentinier Mariano Puerta bei den French Open in vier Sätzen besiegte. Doch sein Körper könne dem physischen Spielstil auf Dauer nicht standhalten, so die einhellige Meinung. Wenige glaubten, dass der Mallorquiner langfristig mit dieser Art von Tennis durchhalten könnte.
Für Nadal war dies ein Ansporn, es den Kritikern zu zeigen, wie er in einem Interview mit der New York Times 2009 verriet: "Sie haben schon vor drei Jahren gesagt, dass ich das nicht durchhalten würde", so Nadal damals: "Und nach vier Jahren bin ich besser, als ich es je war. Ich habe es satt, dass man mir sagt, ich könne nicht mehr so weiterspielen."
Zu dieser Zeit hatte Nadal mittlerweile 2008 Wimbledon - im vielleicht besten Tennismatch der Geschichte - und 2009 die Australian Open gewonnen. Beide Male bezwang er seinen großen Rivalen und Freund Roger Federer in fünf Sätzen. Weitere große Titel folgten. Auch ein zweiter Triumph auf dem heiligen Rasen 2010 war darunter, obwohl viele Experten zu Beginn seiner Karriere Nadal als Sandplatzspezialisten abstempeln wollten. Und auch bei den US Open 2010 holte er sich die Trophäe und komplettierte damit seinen persönlichen Grand-Slam, also alle vier Majors zu gewinnen, noch vor Federer und Novak Djokovic.
Nadal erfindet sich neu
2015 und 2016 konnte er jedoch aufgrund zahlreicher Verletzungen erstmals kein Grand-Slam gewinnen und die Kritiker schienen doch Recht zu behalten. Mit knapp 30 war Nadal körperlich offenbar am Ende. Die USA Today bezeichnete ihn als einen "Löwen im Winter", die New York Times sah ihn auf dem absteigenden Ast und selbst die heimische Mundo Deportivo war skeptisch, ob er wieder in die Weltklasse würde vorstoßen können: "Er hat diese außerirdische Aura verloren, diesen einschüchternden, mörderischen Blick. Kurz vor seinem 30. Geburtstag ist es schwierig, die Arbeitsmethoden, die ihn zu einem der größten Spieler aller Zeiten gemacht haben, grundlegend zu ändern."
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Doch Nadal änderte sich - und kam zurück. 2017 kämpfte er sich in Australien völlig überraschend bis ins Finale, wo er knapp gegen Federer unterlag, gewann dafür aber die French und US Open. Es war der Auftakt zu so etwas wie Nadals zweiter Tennis-Karriere, denn der Spanier erkannte, dass er sich weiterentwickeln und sein Spiel umstellen muss.
Während er früher jeden Gegner mit seiner Power einfach überwältigen konnte, musste Nadal mittlerweile auf andere Mittel setzen, wenn sein Kontrahent die härteren Grundschläge hatte. "Das Spiel verändert sich ein wenig. Jeder schlägt den Ball hart und versucht, in jeder Position Winner zu schlagen. Das Spiel ist in dieser Hinsicht ein bisschen verrückter geworden", so Nadal damals, kurz nachdem er sich mit Carlos Moya einen weiteren Coach zusätzlich zu Onkel Toni Nadal an die Seite holte.
Variantenreicher unter Moya
Mittlerweile ist der ehemalige Weltranglistenerste Nadals primärer Trainer und das Duo arbeitete in den vergangenen Jahren vor allem an seinem Aufschlag, dem Spiel am Netz und war generell darauf aus, Nadals Spiel variabler zu gestalten. Der Matador hatte schon immer ein brillantes Spielverständnis und konnte ein Match so gut lesen, wie kaum ein Zweiter. Aber unter Moya verlässt sich der aktuell Weltranglistenfünfte nicht mehr so auf seinen Topspin. Nadal setzt den Slice häufiger ein, spielt Vorhand und Rückhand auch mal flach über das Netz und streut Stopps ein. Nadal ist sicherlich der Spieler der Big-Three, der sein Spiel am meisten entwickelt und verfeinert hat.
Und doch ist auch Nadal selbst überrascht, dass er mit 36 Jahren noch auf einem derart hohen Niveau unterwegs ist, wie er im vergangenen März am Rande des Masters in Indian Wells berichtete: "Wir haben geglaubt, dass meine Karriere nicht mehr so lange dauern würde, und es stimmt, dass ich körperliche Probleme hatte. Es ist unglaublich, dass ich im Jahr 2022 immer noch an Wettkämpfen teilnehme, wie ich es tue. Ich genieße es in vollen Zügen und wir werden sehen, wie lange das anhält" so der Spanier.
Chronische Verletzung bereitet weiter Sorgen
Zu diesem Zeitpunkt hatte Nadal gerade den besten Start in eine Saison hingelegt und stand bei 15 Siegen ohne Niederlage und hatte bereits drei Turniere gewonnen. Darunter auch seine zweiten Australian Open, wodurch er erst zum vierten Spieler der Tennisgeschichte wurde, der jeden Grand-Slam mehrfach abräumen konnte. Doch im Finale des Turniers in Kalifornien zog er sich einen Rippenbruch zu und musste wochenlang pausieren und verpasste auch einen Teil seiner so geliebten Sandplatzsaison.
Hinzu kam, dass Nadals chronische Fußverletzung nach seinem Comeback wieder schlimmer wurde. In Rom konnte er nach dem Aus gegen Denis Shapovalov beispielsweise kaum gehen. Seit Beginn seiner illustren Karriere plagt sich Nadal bereits mit einer Fehlstellung des Fußes herum, dem sogenannten Müller-Weiss-Syndrom, das ihm immer wieder Schmerzen bereitet. 2021 musste er seine Saison deshalb frühzeitig beenden und gab vor den Australian Open im Januar zu, dass er während der Reha ein Karriereende nicht ausschließen konnte. Auch in Paris hat er mit dem Problem zu kämpfen und kann laut eigener Aussage nur deshalb auf hohem Niveau spielen, weil er seinen Arzt an seiner Seite hat.
Nadal selbst sprach in Interviews mehrfach davon, dass es deshalb seine letzten French Open sein könnten, wenn sich sein Zustand nicht bessern würde. Doch trotz aller Probleme und Beschwerden steht Nadal nun gegen den Norweger Casper Ruud auf den Tag genau 17 Jahre nach seinem ersten Titel in Paris erneut im Finale und kann seinen 14. Pokal in Roland Garros holen.
14. Titel für einen neuen Fuß?
Auf diesen würde er aber liebend gerne verzichten, wenn er dafür einen neuen Fuß bekommen würde. Das beichtete er auf der Pressekonferenz nach seinem Sieg gegen Alexander Zverev im Halbfinale. Doch da dies natürlich nicht möglich ist, wird Nadal auch gegen Ruud versuchen, sein nächstes Major zu gewinnen. Es wäre sein 22. solcher Titel und er hätte damit zwei mehr als seine Erzrivalen Djokovic und Federer.
Und dann? Könnte er den Schläger wirklich an den Nagel hängen? Nadal hat bewiesen, dass er immer noch zur absoluten Weltspitze zählt und auf verschiedene Art und Weise ein Spiel gewinnen kann. Im ewigen Duell gegen Djokovic peitschte er die Vorhand wie zu besten Zeiten übers Netz und zwang den Weltranglistenersten mit seiner Power in die Knie. Ganz anders die Situation gegen Alexander Zverev im Halbfinale. Bei extrem schwierigen und langsamen Bedingungen akzeptierte Nadal früh im Match, dass der Deutsche an diesem Tag mehr Power haben würde, konterte dies aber mit zahlreichen Tempoveränderungen und konnte somit auf Augenhöhe agieren.
Im Finale gegen Ruud könnte es wieder anders aussehen: Gut möglich, dass Nadal gegen den 23-Jährigen - ähnlich wie im Viertelfinale gegen Djokovic - wieder mehr über die Kraft und den Topspin zum Sieg kommen will. Nach dem Turnier will Nadal sich dann äußern, wie es weitergeht für ihn.
Sowohl auf diese Saison bezogen, als auch auf seine Karriere gemünzt. Der spanische Journalist Manolo Poyan, der Nadals Karriere verfolgt, seit er 17 Jahre alt war, sagte einst über seinen Landsmann: "Er hat mehr Hunger als jeder andere, den ich kenne." Und satt scheint Nadal noch nicht, wie er auf der Pressekonferenz vor dem Finale andeutete.
Nadal noch nicht satt
Als er gefragt wurde, ob er sich noch etwas beweisen müsse, entgegnete er: "Darum geht es nicht. Es geht darum, wie viel Spaß du an dem hast, was du tust, oder wenn du keinen Spaß daran hast, dann ist das eine andere Geschichte, oder?", so der Spanier. Und weiter: "Aber wenn man das, was man tut, mag, dann macht man weiter, denn wenn du zum Beispiel gerne Golf spielst, dann gehst du weiter zum Golfspielen. Wenn ich gerne Tennis spiele und es mir möglich ist, weiter zu spielen, dann spiele ich weiter, weil mir das, was ich tue, gefällt. Das ist alles."
Man kann also nur hoffen, dass sein Fuß es ihm ermöglicht, weiterzumachen, denn ein Nadal in dieser Form ist gut für den Tennissport. Darüber sind sich die Experten übrigens auch einig...