Neustart gescheitert! Hecking geht All-in in Nürnberg
23.02.2023 | 19:32 Uhr
Seit nunmehr vier Jahren spielt der 1. FC Nürnberg in der 2. Bundesliga. Statt sich Gedanken um einen möglichen Aufstieg zu machen, steckt der Club mitten im Abstiegskampf. Der Neustart der Franken ist gescheitert – Sportvorstand Dieter Hecking ist gezwungen All-in zu gehen.
Nach dem Abstieg 2019 hatten die Nürnberger einiges umzukrempeln. Leistungsträger wie Tim Leibold und Eduard Löwen verließen den Verein und mussten ersetzt werden. Gleichzeitig brauchte es einen neuen Trainer, der die Mission Wiederaufstieg angeht. Die finanziellen Abstriche durch den Gang in die Zweitklassigkeit erschwerten die Suche.
"Abstiegs-Business as usual", möchte man meinen. Doch den Club traf die Umstellung hart. Es wurden teils falsche Personal-Entscheidungen getroffen, die namhaften Abgänge konnten nicht kompensiert werden und der neue Trainer Damir Canadi wurde den Ansprüchen der Franken nicht gerecht. Nach fünf sieglosen Spielen in Serie musste der Coach seinen Stuhl bereits am 12. Spieltag wieder räumen.
Mit Jens Keller als neuem Cheftrainer erhofften sich die Clubberer die Wende. Der ehemalige Schalker, der mit den Königsblauen Vizemeister wurde und mit viel Vorschusslorbeeren zum Traditionsverein geholt wurde, übernahm den Absteiger auf Rang 15 - lediglich einen Punkt vom Relegationsplatz entfernt.
Die Saison verlief auch unter dem neuen Coach schleppend und die Nürnberger schafften es zu keinem Zeitpunkt, sich aus dem Abstiegssumpf zu ziehen. Letztlich landete die Keller-Elf mehr oder weniger dort, wo der Hoffnungsträger sie übernommen hatte: auf dem Relegationsplatz. In zwei nervenaufreibenden Spielen sicherte sich der Club den Klassenerhalt nach einem 2:0 und einem 1:3 gegen Ingolstadt lediglich dank der Auswärtstor-Regel. Ein Warnschuss, der Nürnberg dazu zwang, einmal mehr alles infrage zu Stellen.
Einen nicht unbedeutenden Faktor in den neuen Planungen der Franken spielte die Corona-Pandemie. In der Spielzeit 2019/2020 verbuchte der Club ein Minus von rund 9,4 Millionen Euro. Ein finanzielles Defizit, das die Nürnberger bis heute belastet. "Die Finanzlage ist angespannt", erklärte Finanzvorstand Niels Rossow noch auf der Jahreshauptversammlung im November letzten Jahres. Die Schuldlast hat sich im Vergleich zu 2021 von 13 Millionen Euro auf 18,7 Millionen Euro erhöht. Obendrein ist das Eigenkapital des Zweitligisten weiter gesunken.
Aufgrund der finanziellen Lage fiel der große Neuanfang im Sommer 2020 schwer. Doch die Zuversicht überwog, als man mit Dieter Hecking einen absoluten Fußball-Fachmann und eine Identifikationsfigur des Clubs als Sportvorstand engagieren konnte. Der Ex-Trainer, der von 2009 bis 2012 an der Seitenlinie der Franken stand, verfolgte eine klare Vision für die Mission Aufstieg.
Die vielleicht wichtigste Komponente dieser Vision musste der neue Trainer sein. Dieser hatte die Aufgabe, im Rahmen eines Zwei-Jahres-Plans aus der Mannschaft ein echtes Team zu formen und einen attraktiven, offensiven Fußball zu etablieren. Hecking holte Robert Klauß. Ein junger Coach, der perfekt in das Anforderungsprofil passte. Der heute 38-Jährige stammt aus der Trainer-Akademie von RB Leipzig, betreute dort diverse Jugendmannschaften und wurde letztlich zum Co-Trainer der Profis. Zunächst ein Jahr unter Ralf Rangnick, dann unter Julian Nagelsmann.
Eine Top-Ausbildung, geprägt von einer ansprechenden Offensiv-Philosophie. Aggressives Pressing, schnelle Spielverlagerungen und klares Passspiel. Die Leipziger Schule sollte für die Nürnberger den Weg zurück ins deutsche Oberhaus ebnen. "Robert ist ein mutiger Trainer mit frischen und innovativen Methoden", freute sich Hecking bei der Präsentation am 30. Juli 2020 über seine Neuverpflichtung.
Junge Spieler wie Robin Hack, Tom Krauß, Fabian Nürnberger oder Erik Shuranov sollten zu reifen Profis geformt werden, die in naher Zukunft ihren Beitrag zum Wiederaufstieg leisten können. In seiner ersten Saison kämpfte Trainer Klauß noch mit der Umstellung, die in der vergangenen Saison schon deutlich mehr Züge annahm. Nach Tabellenplatz elf landete die Truppe des jungen Trainers 2021/2022 auf dem achten Tabellenrang.
Für diese Spielzeit mussten die Ziele dann wieder ein Stück höhergesteckt werden. Fans, Funktionäre und Spieler wollen endlich wieder Bundesliga-Luft atmen. Stagnation oder gar Rückschritt waren nach der konstanten Weiterentwicklung keine Optionen mehr. Doch diese Saison startete mit einem Negativlauf. Von den ersten zehn Spielen gewann der Club lediglich drei. Mit zehn Punkten aus zehn Spielen standen die Nürnberger nur zwei Punkte vor dem 18. Tabellenplatz, obwohl der Wiederaufstieg ins Auge gefasst werden sollte.
In den Augen der sportlichen Führung um Vorstand Hecking bedurfte es deshalb einer Korrektur. Nach dem Cheftrainer-Novizen Klauß setzten die Funktionäre wieder auf mehr Erfahrung. Markus Weinzierl, 408 Spiele als Übungsleiter in Profiklubs im Rücken, sollte die Mannschaft stabilisieren. Doch das Engagement erwies sich als Missverständnis. "Ich sehe, dass wir mit einem Auto in die Sackgasse reinfahren und die Wand ist kurz davor. Ich bin keiner, der wartet, bis das Auto vor die Wand fährt", fällte Hecking ein hartes Urteil, als er die Entlassung von Weinzierl nach nur 13 Pflichtspielen bekanntgab. Nach dem Ende von Klauß ist auch Weinzierl gescheitert.
Nürnberg steht auf Platz 13, nur drei Zähler vom Tabellenende entfernt, hochverschuldet. Nach dem Neustart 2020 hat sich der Verein gewandelt, um nun am selben Punkt wie vor knapp drei Jahren anzukommen. Und wie geht es weiter? Hecking hat vorerst genug von Trainer-Experimenten. Der 58-Jährige übernimmt den Posten an der Seitenlinie bis zum Saisonende selbst. Der Sportvorstand wird zum Feuerwehrmann, obwohl er seine Karriere als Coach eigentlich für beendet erklärt hatte. Eine Tatsache, die unterstreicht, wie brenzlig die Lage beim Club ist.
"Es fühlt sich irgendwo noch so an, als wenn ich es gar nicht wollte. Es war ja auch wirklich nicht vorgesehen, dass ich auf den Trainingsplatz gehe. Wenn du innerhalb einer Saison eine Mannschaft übernimmst, ist es einerseits einfach, weil jeder sofort wieder auf Sendung ist. Andererseits ist es schwierig, weil du etwas verändern willst und musst", zeigte sich Hecking bei seiner ersten Pressekonferenz am Donnerstag vor dem Spiel gegen Sandhausen am Samstag (ab 13 Uhr live auf Sky) noch ein wenig überrumpelt.
Mit seiner Entscheidung geht Hecking ein persönliches Risiko ein. Scheitert der Funktionär als Trainer, dürfte seine Reise mit Nürnberg auf allen Ebenen vorbei sein. Nach dem stetigen Aufbau der letzten zwei Jahre hat der Sportvorstand in einer halben Spielzeit gleich zwei Trainer vor die Türe gesetzt.
All-in-Entscheidung für den Klassenerhalt bis zum Saisonende. Danach heißt es bei den Nürnbergern Neuanfang. Kaderumbau, Trainersuche, Schulden tilgen - die Mission Aufstieg in Angriff nehmen. Einmal mehr...
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