Roos über Sennas Rennstil: "War zu Übermenschlichem in der Lage"
07.05.2020 | 11:12 Uhr
Am 1. Mai jährt sich der tödliche Unfall von Formel-1-Fahrer Ayrton Senna zum 26. Mal. Wie hat Sky Formel-1-Kommentator Sascha Roos das "schwarze Wochenende" von San Marino in Imola erlebt?
Sky Sport: Der Todestag von Ayrton Senna jährt sich am heutigen ersten Mai zum 26. Mal. Kannst du dich noch daran erinnern, wie du diesen Tag erlebt hast?
Sascha Roos: Ja, vor dem Fernseher. Ich weiß das noch ganz genau, weil ich bis Mittag noch mit Freunden Fußball gespielt und mich dann beeilt habe, rechtzeitig zurückzukommen, um das Rennen anzuschauen. An dem Wochenende war schon sehr viel passiert: Am Tag zuvor war der Österreicher Roland Ratzenberger verstorben. Es war irgendwie schon im Vorfeld dieses Rennens eine komische Stimmung. Dann gab es noch einen Startunfall (Pedro Lamy kollidierte mit JJ Lehto, Anm. d. Red.), also sehr viel Unruhe, sehr viel Hektik, dann wurde das Rennen noch einmal neu gestartet und dann kam es einige Runden danach zu dem Unfall, bei welchem Senna in der Tamburello-Kurve von der Strecke abkam und ungebremst dort verunglückte.
Sky Sport: Wieso wurde das Renn-Wochenende nicht bereits nach dem tödlichen Unfall von Ratzenberger abgesagt?
Roos: Es war einfach die damalige Zeit. Ich will jetzt keine Parallelen zur jetzigen Zeit ziehen, wo man Dinge auch auf jeden Fall durchziehen will, auch wenn es vielleicht nicht geht, schwierig ist oder schwer vorstellbar ist. Damals war der finanzielle Druck offensichtlich auch so groß, dieses Rennen durchführen zu müssen. Auch die Teams und die Fahrer waren damals nicht so einig, wie sie es vielleicht in der heutigen Zeit sind. Natürlich gibt es auch jetzt Uneinigkeiten und verschiedene Interessen, allerdings wurden damals die Streitigkeiten mehr in der Öffentlichkeit ausgetragen.
Daher denke ich, dass der Druck zu groß und der Verband zu schwach war, um das Rennen aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden zu lassen.
Sky Sport: Wie sehr hat dieses Wochenende die Formel 1 verändert? Welche Lehren hat man daraus gezogen?
Roos: Der Sicherheitsaspekt ist wesentlich wichtiger geworden. Man hat das ganze Auto überdacht, die Bauweisen der Autos haben sich verändert. Es wurde mehr Wert darauf gelegt, die Sicherheitsstandards nach oben zu katapultieren. Später wurde auch das HANS-System, Hals- und Nackenschutzsystem, eingeführt, eine Art Geschirr, welches die Fahrer tragen. All dies ist natürlich auch in Folge dieses Unfalls passiert. Leider musste auch hier - wie so häufig - erst etwas passieren, bevor sich etwas ändert.
Sky Sport: Sennas Teamkollege Alain Prost hatte einmal gesagt, dass Senna "ihn gezwungen hätte, über seine Grenzen zu gehen". Was hat den Rennfahrer Ayrton Senna so herausragend gemacht? Welchen Rennstil hatte er?
Roos: Senna war zu seiner Zeit ein Ausnahmefahrer. Der hat Dinge anders gemacht als alle anderen, er war einer, der sehr akribisch gearbeitet hat. Ich selbst habe ihn leider nie persönlich kennengelernt oder an der Strecke fahren sehen, weil ich da noch zu jung war. Aber durch Experten und Zeitzeugen habe ich erfahren, dass Senna eingetaucht ist. Er war während der Ausführung des Sports offensichtlich in einer anderen Dimension. Der ist ins Auto gestiegen und hat alles um sich herum ausgeblendet. Er ist an diesem Wochenende an die Strecke gekommen und alles war komplett nebensächlich. Senna war total fokussiert auf das, was vor ihm liegt und welche Aufgaben er zu erledigen hat. Dann war er teilweise zu Übermenschlichem in der Lage.
Ein Beispiel: Beim Grand Prix in Monaco legte er 1988 eine unfassbare Qualifyingrunde hin, war 1,4 Sekunden schneller als sein Teamkollege Alain Prost (McLaren) und 2,6 Sekunden schneller als der Drittplatzierte Gerhard Berger (Ferrari). Bei dieser Runde sieht man, in welcher Trance er offensichtlich war: Der ist gefahren, gefahren, gefahren, gefahren. Man musste ihn nach dem Qualifying fast aus dem Auto heraustragen, weil er so erschöpft war - das gab es wohl öfters.
Oder beim Schalten: Senna hat mit dem Schaltknüppel so geschaltet, dass seine Handinnenflächen blutig waren, weil er so die Gänge reingehauen hat. Das hat er während des Fahrens gar nicht gemerkt, sondern erst beim Aussteigen. Das zeigt, wie positiv besessen er war, wenn er seinen Job ausgeführt hat.
Sky Sport: Wäre er - aufgrund seiner Liebe zu diesem Sport - einer der letzten gewesen, der das Rennwochenende abgesagt hätte?
Roos: Durchaus. Wobei er auch einer war, der sich Gedanken gemacht hat. Er war beispielsweise nach dem Unfall von Ratzenberger dagegen, das Qualifying zu fahren - und ist es letztlich auch nicht gefahren. Zudem ist im Training zuvor Rubens Barrichello verunglückt, der sich "nur" die Nase gebrochen hatte, allerdings war es ein "spektakulärer" Unfall (Barrichello krachte gegen die Oberkante eines Reifenstapels und überschlug sich mehrere Male, Anm. d. Red.). Bereits nach dem Unfall war er kritisch, was das alles anbelangt. Zudem waren die Autos damals einfach nicht sicher, das muss man so sagen.