Bundesliga: Finke über FC Bayern, Nagelsmann, SC Freiburg & Streich
"Trainer-Talent"-Debatte? Finke hat Rat für Julian Nagelsmann parat
14.10.2022 | 17:28 Uhr
35 oder 57? Julian Nagelsmann und Christian Streich trennt ein Altersunterschied von über 20 Jahren. Wann befindet sich ein Trainer in der Blütezeit seiner Laufbahn? Das erklärt im exklusiven Interview mit skysport.de Freiburgs Trainerlegende Volker Finke.
Zudem spricht der ehemalige Gymnasiallehrer über die beeindruckende Entwicklung beim Sport-Club, die Freiburger Fußballschule und das Topspiel zwischen Bayern und Freiburg am kommenden Bundesliga-Spieltag.
skysport.de: Herr Finke, Sie haben zwischen 1991 und 2007 16 Jahre lang ununterbrochen als Trainer beim SC Freiburg gearbeitet. Wie intensiv verfolgen Sie den Sport-Club noch?
Volker Finke: Mein erster Wohnsitz ist in Freiburg. Natürlich verfolge ich, was der SC Freiburg Jahr für Jahr macht. Das lässt mich nicht unberührt. Ich weiß, wie es früher war. Alle Zeitzeugen wissen, wie es hier früher mal ausgesehen hat. Wir haben damals dann die Fußballschule für seinerzeit gigantische 20 Millionen Mark gebaut. Diese 16 Jahre waren unfassbar viel Aufbauarbeit, auch mit vielen Widerständen.
skysport.de: Was ist das Geheimnis der Freiburger Fußballschule?
Finke: Die Freiburger Fußballschule war 2001 nach der verkorksten EM das Pilotprojekt in Deutschland. Das Motto war den Blick auf die erfolgreichsten Nationen zu werfen. Da hat man vor allem nach Frankreich geschaut. Wir in Freiburg haben eine sehr günstige Anbindung nach Frankreich. Im Gegensatz zu den Franzosen sind wir die schulische Ausbildung allerdings anders angegangen. Dort sind die Lehrer in die Fußballvereine und Internate gegangen und haben dann in Kleingruppen den Unterricht gemacht. Wir haben mit Partnerschulen in Freiburg zusammen ein Konzept entwickelt, das die Spieler in unserer Fußballschule vor allem auch im pädagogischen Bereich begleitet und je nach Qualität eingestuft wurden. Wir konnten letztlich viele Eltern davon überzeugen, ihre Kinder zu uns zu bringen und nicht zu einem anderen Bundesligisten, da es eben auch den pädagogischen Bereich mit Hausaufgabenbetreuung und allem was dazu gehört, bei uns gab. Da galten wir früh als Vorreiter.
skysport.de: Freiburg wurde in der vergangenen Saison Sechster, stand im DFB-Pokal-Finale und liegt aktuell auf Platz zwei. Überrascht Sie dieser sportliche Erfolg?
Finke: Der Verein hat inzwischen mehr als 100 Millionen Euro Umsatz, steht bei den Budgets in der Bundesliga zwischen Platz sieben und zehn. Deshalb ist es nicht so leicht, die Underdog-Rolle weiterzuspielen, nach der es immer nur um den Klassenerhalt geht.
Finke über Freiburg: "Da werden keine wilden Dinger gemacht"
skysport.de: Wohin kann die Reise für den SC in den kommenden Jahren noch gehen?
Finke: In der vergangenen Saison wäre Freiburg beinahe in die Champions League gekommen. Zwei Spieltage vor Schluss hatten sie alles in der eigenen Hand. Das war schade, dass sie es letztlich dann doch nicht geschafft haben. Jetzt haben sie sich im Sommer wieder richtig gut verstärkt. Das ist auch nur möglich, weil sich in Freiburg eine Ausstrahlung entwickelt hat. Die Spieler wissen mittlerweile, mit Freiburg kann man in Europa spielen. Die Kontinuität, die mit dem Trainerteam, mit Jochen Saier und Klemens Hartenbach da ist, das ist schon super. Das freut mich extrem, weil all diese Leute schon 2007 da waren, als wir uns damals getrennt haben.
skysport.de: Von welchem Neuzugang sind sie am meisten angetan?
Finke: Diese Leichtigkeit, mit der Daniel-Kofi Kyereh Fußball spielt, gefällt mir sehr gut. Wenn man im Hinterkopf hat, dass er im NLZ beim VfL Wolfsburg noch wegen fehlender Perspektiven aussortiert wurde, da geht mir das Herz auf. Es freut mich besonders, dass er beim SC Freiburg gelandet ist. Zu meiner Zeit haben wir auch viele afrikanische Talente für ganz kleines Geld geholt. Ich finde auch gut, welche Leistungen Matthias Ginter in Freiburg wieder bringt. Er ist eine Hilfe für die Mannschaft. Er hatte aber in Gladbach eine Zeit, in der er nicht so gut gespielt hat. Deshalb müssen wir mal die kommenden Wochen und Monaten abwarten, wie er sich weiter in Freiburg präsentiert.
skysport.de: Haben Sie zu Cheftrainer Christian Streich hin und wieder Kontakt?
Finke: Wir sehen uns ab und zu und sprechen dann sehr, sehr gerne miteinander.
skysport.de: Hätten Sie gedacht, dass nach Ihrer langen Amtszeit nun mit Streich wieder in Freiburg ein Trainer über so viele Jahre eine neue Ära prägen kann?
Finke: Da geht es nicht nur um Christian Streich, sondern auch um die Leute, die da hintendran stehen. Da ist Kontinuität, da werden keine wilden Dinger gemacht. Deshalb kommt es jetzt nicht so überraschend, dass Christian in vorderster Linie seit Jahren in Freiburg tätig ist. Die Gruppe um Christian kennt sich seit Jahren. Selbst wenn mal drei, vier Spiele in Folge verloren gehen, wird da keiner ungeduldig.
skysport.de: Streich trainiert seit 2011 die erste Mannschaft beim SC. Glauben Sie, dass er Ihre Laufzeit übertreffen wird?
Finke: Ich wünsche es ihm. Er wird das selbst entscheiden. Es geht letztlich darum, dass Christian das macht, womit er sich gut fühlt.
Finke: "Favoritenrolle bleibt bei den Bayern"
skysport.de: Der FC Bayern ist aktuell nur Dritter in der Bundesliga. Am Sonntag kommt es zum Duell mit Freiburg. Kann der Sport-Club für eine Überraschung sorgen?
Finke: Die Favoritenrolle bleibt bei den Bayern. Corona schadet dem FC Bayern aktuell aber gerade sehr. Die Freiburger sind psychologisch in einer etwas besseren Ausgangslage. Die Spieler bekommen auch mit, was vor so einem Spiel geschrieben wird.
skysport.de: Trainer Julian Nagelsmann steht seit Wochen in der Kritik. Wie bewerten Sie seine Arbeit vor allem auch im Umgang mit den Medien? Zuletzt wirkte er sehr dünnhäutig.
Finke: Das ist schwer zu sagen. Dafür ist man zu weit weg. Als Außenstehender hat man dennoch den Eindruck, dass die Bayern noch auf der Suche nach der optimalen Zusammenarbeit sind.
skysport.de: Karl-Heinz Rummenigge sorgte in der vergangenen Woche mit der Aussage, Nagelsmann sei noch ein "Trainer-Talent" für Unmut beim Bayern-Trainer. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Finke: Ich würde Nagelsmann den Rat geben, dass er in seinem Verhalten auf gar keinen Fall signalisieren sollte, dass er sich über diese Aussage ärgert. Es ist ein Thema, auf das die Medien nur warten.
Finke: "Es kommt auf das Umfeld an"
skysport.de: Nagelsmann ist erst 35 Jahre alt. Trainer wie Jupp Heynckes oder auch Ottmar Hitzfeld wurden im Laufe Ihrer Karrieren deutlich ruhiger und besser im Moderieren eines Teams. Wann ist man als Trainer in der Blütezeit?
Finke: Mindestens genauso wichtig wie das eigene Alter, ist die Konstellation um den Trainer herum. Nehmen wir das Beispiel FC Bayern: Einem Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge kann man es nicht verübeln, dass sie sich mal zu Wort melden, auch wenn sie nicht mehr im operativen Geschäft mit dabei sind. Ein Trainer kann letztlich mit 35 oder 55 Jahren seine beste Zeit haben. Das kommt eben ganz auf das Umfeld an.
skysport.de: Einer, der trotz der durchwachsenen Phase bei den Bayern glänzt, ist Jamal Musiala. Ihm wird sogar schon nachgesagt, einmal Weltfußballer zu werden. Gehen Sie da mit?
Finke: Musiala ist wahnsinnig begabt. Er ist einer von den Spielern, die die Spielsituation auch mal komplett verändern können. Er kann mit dem Fuß mal schnell ein, zwei Spieler aussteigen lassen und zieht zudem Spieler auf sich. Dann tun sich Lücken auf. Musiala ist definitiv eines der erfreulichsten Talente und natürlich auch extrem wichtig für die Nationalmannschaft.
Das Interview führte Fabian Schreiner.
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