Lothar Matthäus: "Diese Mannschaft hat keinen Biss, keinen Willen"
22.05.2023 | 17:55 Uhr
Sky Experte Lothar Matthäus spricht in seiner wöchentlichen Kolumne über den Meisterkampf in der Bundesliga. Er wünscht sich, dass Oliver Kahn beim FC Bayern weitermachen darf und nimmt sich stattdessen die Stars und Tuchel zur Brust. Zudem tippt er den Abstiegskampf.
Man muss davon ausgehen, dass Borussia Dortmund am Samstagabend Deutscher Meister sein wird.
Im eigenen Stadion, vor 80.000 Fans gegen den FSV Mainz 05, der schon beim 1:4 gegen Stuttgart nicht allzu große Gegenwehr geleistet hat - sowas wird sich Borussia Dortmund nicht mehr nehmen lassen.
Wenn sie es jetzt nicht schaffen, wann dann? Sie haben ihre Chance in Augsburg genutzt, auch wenn das Spiel ohne Platzverweis möglicherweise enger gewesen wäre. Aber die Klasse und der Wille von Borussia Dortmund haben sich am Ende durchgesetzt. Sie haben den Druck in den letzten Wochen sehr gut ausgehalten. Aufgrund ihrer Leistungen im Jahr 2023 ist es verdient, auch wenn nicht alles perfekt lief.
Am Ende scheint es trotz der Unentschieden in Stuttgart und Bochum zum ersten Titel nach 2012 zu reichen und das liegt an ihnen, aber natürlich auch an der katastrophalen Saison des FC Bayern München.
Fehler, Diskussionen, Unruhe soweit das Auge reicht. Der Torwart geht Skifahren, ein Mitspieler schlägt einen anderen, schlechte Kommunikation auf und neben dem Platz und so weiter. So kann man natürlich keinen großen Erfolg haben. Weder die Spieler noch die Führung haben performt und gehen jetzt dann wohl zurecht mit null Titeln in die Sommerpause.
Gefühl ist es von außen so, dass viele Probleme mit der Trennung von Hansi Flick begannen. Er hat die Mannschaft, Fans, Medien und den Klub gut gemanagt. Er war klar, kritisch aber immer fair gegenüber den anderen. Und mehr Pokale konnte man kaum gewinnen. Nur mit dem Sportdirektor ist er nicht zurecht gekommen. Ich glaube, er wäre womöglich heute noch Bayern-Trainer, wenn das anders gelaufen wäre.
Dann hat man Nagelsmann einen Fünfjahres-Vertrag gegeben und ihn oft kommunikativ in ganz schweren Zeiten im Stich gelassen. Ich erinnere mich an die turbulente Jahreshauptversammlung oder an Corona-Zeiten. Am Ende wurde ihm vorgeworfen, er würde sich in alles einmischen. Aber als sonst keiner gesprochen hat, war es allen recht. Natürlich hat auch er Fehler gemacht, aber sicher nicht alle alleine.
Wenn ich jetzt höre, die Bayern werden einen Umbruch einleiten und viel Geld investieren, frage ich mich: wie viel denn noch? Der Umbruch hat doch eben erst stattgefunden! Eine Abwehr, die circa 250 Millionen kostet in den letzten Jahren. Dazu Sadio Mane, Mathys Tel, Ryan Gravenberch, Daley Blind, Noussair Mazraoui, Joao Cancelo, Yann Sommer sind gerade erst verpflichtet worden. Entweder passen sie plötzlich nicht ins System, dürfen kaum spielen, sollen ausgeliehen werden oder haben - wie Mane - sicher keine Zukunft beim FC Bayern. Da hätte man sich im Nachhinein einiges sparen können und auf das Haaland-Angebot oben drauf packen sollen.
Und im Übrigen war es meistens so, dass der FC Bayern eine Philosophie vorgebeben hat, wie man hier zu spielen hat und danach wurde eingekauft. Spätestens seit van Gaal war das ein 4-2-3-1 mit einem Mittelstürmer, der viele Tore garantiert, und einem sehr guten Backup.
Die Chefetage ist auch noch nicht allzu lange gemeinsam am Werk. Ähnlich wie in der Mannschaft, war der Neubeginn hier gefühlt noch gar nicht so richtig abgeschlossen, da wird schon über den nächsten diskutiert.
Ich wünsche Oliver Kahn, dass er weitermachen darf und will hier nicht draufhauen. Ich weiß selbst wie es ist, wenn der Erfolg ausbleibt. Aber ich bin sicher, dass sie ihm sehr viele unangenehme Fragen am Ende der Saison stellen werden und bin mir nicht sicher, ob seine Antworten jeden zufriedenstellen im Aufsichtsrat.
Und auch Hasan Salihamidzic hat Fehler gemacht und offenbar nicht nur gute Transfers getätigt, die zueinander passen und harmonieren. Wir haben ihn alle für die tollen Namen gelobt, aber diese Mannschaft hat keinen Biss, keinen Willen, keine richtige Identifikation mit diesem Verein. Sonst würden sie anders Fußball spielen, wenn sie dieses Trikot anziehen.
Man hat sich gegen Leipzig ergeben, obwohl man nur noch zwei Spiele gewinnen musste, um wenigstens Meister zu werden. Vielleicht ist es auch eine andere Generation und damit Mentalität. Aber so richtig stolz darüber, ein Bayern-Spieler sein zu dürfen, scheinen viele nicht zu sein. Es reicht nicht, in Grünwald zu wohnen, ein tolles Auto und eine große Villa zu haben. Und das merken auch die Fans. Sie hatten am Samstag so viel Mitleid, dass sie die Spieler nicht einmal ausgepfiffen haben. Stattdessen sind sie einfach aus dem Stadion geflüchtet.
Seit Thomas Tuchel da ist, spielt die Mannschaft noch schlechter. Sie hat in zwei Monaten alle Titel verspielt um die Nagelsmann noch gekämpft hat. Und sich jetzt vor dem letzten Spiel hinzustellen und das Team zu kritisieren, hat mich sehr gewundert. Ich glaube nicht, dass das sonderlich gut bei den Spielern ankommt.
Viele haben sich ohnehin gewundert und fanden den Rauswurf von Nagelsmann schade. Die Mannschaft bricht permanent in der zweiten Halbzeit oder nach einem Gegentor ein. Das kann nicht nur an der Konditions-Arbeit von Nagelsmann liegen. Und wenn Joshua Kimmich kurz vor dem Spiel lesen muss, dass der Trainer einen anderen Typ Sechser sucht, dann frage ich mich, ob es so schlau ist, dies nach außen zu kommunizieren.
Tuchel hat den Kader nicht zusammengestellt, aber ein gewisses Vertrauen muss er in diese Mannschaft auch vor der Unterschrift gehabt haben. Und er hatte immerhin zwei Monate Zeit. Diese Meisterschaft zu verspielen geht auch auf seine Kappe.
Ich denke nicht, dass er sofort wieder gehen muss, denn das kann sich Bayern nicht erlauben. Das wäre total unglaubwürdig. Aber gebracht hat die Verpflichtung bisher nichts. Kurz bevor er kam, hatte man noch Paris geschlagen und in der Vorrunde Inter und Barcelona. Da hieß es, die seien ja nicht so stark.
Die einen stehen jetzt im Finale und Barcelona ist Meister geworden. Tuchel hat gegen Hertha und Schalke gewonnen. Zwei Abstiegskandidaten. Gegen Bremen hat man sich schwer getan, in Mainz verloren, gegen Hoffenheim daheim 1:1 "gespielt". Da fehlen einem fast die Worte. Es muss sich eine Menge ändern, auf und neben dem Platz, damit das wieder in eine erfolgreiche Richtung geht.
Wenn man sieht, wie das Team nach 30 Minuten gegen Leipzig aufhört Fußball zu spielen, dann stimmt irgendwas in dieser Mannschaft nicht.
Im Tabellenkeller ist es ebenso bis zur letzten Sekunde spannend. Ich denke, dass es Schalke 04 erwischt, weil es für sie in Leipzig nichts zu holen gibt. Dort wird sich jeder für das Pokalfinale anbieten wollen und den Fans einen tollen Liga-Abschluss schenken. Zudem sehe ich Bochum in der Relegation. Stuttgart schlägt die geretteten Hoffenheimer.
Den letzten Champions-League-Platz sichert sich Union. Vier Tore Vorsprung vor Freiburg bei einem Heimspiel gegen Bremen lassen sie sich vor ihren fantastischen Fans im eigenen Stadion nicht mehr nehmen. Und wenn Gladbach den Trainer wechselt, habe ich dafür Verständnis. Die haben meistens so gespielt, als hätten sie überhaupt keine Lust zu Kicken. Und das mit so einem Kader
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