Stöger: "Dann ist Götze für jede Mannschaft der Unterschiedsspieler"
29.10.2022 | 10:46 Uhr
Peter Stöger war Trainer von Mario Götze, Anthony Modeste und Salih Özcan. Vor dem Bundesliga-Topspiel zwischen Frankfurt und Dortmund (Samstag um 18.30 Uhr LIVE auf Sky) spricht der heutige Sky Experte über österreichische Trainer , ehemalige Schützlinge und Mats Hummels.
skysport.de: Herr Stöger, momentan gibt es zwar nur einen Trainer aus Ihrer Heimat in der deutschen Bundesliga aber der hat als erster Österreicher seit dem legendären Ernst Happel einen Europapokal gewonnen. Was macht die Stärke von Oliver Glasner aus?
Peter Stöger: Es ist wirklich schade, dass momentan nur ein Österreicher in der Bundesliga trainiert. Bei Adi Hütter wird es eine Frage der Zeit sein, wann er wieder auftaucht - wenn er möchte. Oliver Glasner hat mittlerweile viel Erfahrung in verschiedenen Vereinen mit unterschiedlichen Strukturen gesammelt. In Österreich hatte er beim LASK (Linzer ASK, Anm. d. Rd.) ein Projekt ab der 2. Liga begleitet, in Wolfsburg hat er auch gute Arbeit geleistet. Ich glaube, er kann sich ganz gut darauf einstellen, was ihn in einem Verein erwartet und wie er dann seine Mannschaft zusammenstellt.
skysport.de: In Wolfsburg hakte es bisweilen in der Beziehung zu Sportdirektor Jörg Schmadtke, bei Eintracht Frankfurt war der Saisonstart misslungen, doch dann führte er die Eintracht bis zum Sieg in der Europa League. Könnte man auch sagen, Oliver Glasner versteht es, Widerstände zu überwinden?
Stöger: Ich kannte Oliver schon als Spieler und schätze ihn total als Trainer und auch als Typen. Er ist sehr klar in seiner Herangehensweise. In Österreich gehst du davon aus, dass du nicht alle Wünsche, die du hast, auch erfüllt bekommst. In Deutschland haben die österreichischen Trainer Möglichkeiten, die es in unserer Heimat nicht gibt. Hier ist vieles selbstverständlich. Die Probleme, über die hierzulande gejammert wird, sind für jemanden, der von außen kommt, oft nicht so dramatisch. Das ist vielleicht auch bei Urs Fischer (Schweizer, Anm. d. R.) in Berlin so, dass er die Bedingungen, die er bei Union vorgefunden hat, besonders wertschätzt.
skysport.de: Kann man bei den Österreichern vielleicht allgemein von einer anderen Mentalität sprechen?
Stöger: Ich weiß nicht, ob es Mentalität ist. Von den Österreichern, die in den vergangenen Jahren in Deutschland gearbeitet haben, hat jeder seinen eigenen Charakter und seine eigene Geschichte. Ralph Hasenhüttl (ehemals RB Leipzig, aktuell beim FC Southampton) ist mit der Ausbildung in Deutschland groß geworden. Adi Hütter ist seinen Weg gegangen, Oliver Glasner wieder einen anderen. Was wir alle gemeinsam haben, ist eben die Dankbarkeit über die Rahmenbedingungen, die es in Deutschland gibt. Wir können alle improvisieren. Vielleicht ist es das, was die Österreicher eint und was in Deutschland ganz gut ankommt.
skysport.de: Gibt es bestimmte Dinge, die Österreichs Trainer in der Ausbildung anders machen als ihre deutschen Kollegen?
Stöger: Jeder hat seine eigene Spielphilosophie. Oliver Glasner ist mit seinem schnellen und geradlinigen Umschaltspiel von der Idee her ein bisschen anders als ich, der den Wiener Weg gegangen ist. Es hat damit zu tun, wo du als junger Trainer warst, ob du die Ecke mit Red Bull gestreift hast oder von einer anderen Schiene kommst wie Hasenhüttl.
skysport.de: Christian Ilzer von Sturm Graz wurde bei Schalke gehandelt, er soll auch bei anderen Vereinen hoch im Kurs stehen. Wie stehen die Chancen, dass man ihn bald in der Bundesliga sieht, was macht ihn aus?
Stöger: Er ist jemand, der für eine Spielidee steht. 4-4-2 in Raute ist sein bevorzugtes System. Er verfolgt seinen Weg und lässt sich nicht beirren. Ich habe als Sportvorstand bei Austria Wien mit ihm gearbeitet, dort war er ein Jahr lang Trainer. Aufgrund der finanziellen Situation hatten konnten wir die Mannschaft nicht so aufbereiten, wie er es gerne gehabt hätte. Er ist dann nach Graz gegangen, was für seine Entwicklung auch richtig war. Mit Sturm Graz ist er auch international gut unterwegs. Er macht einen guten Job und es würde mich nicht wundern, wenn man wieder aus einer größeren Liga auf Österreich schaut. Für das kleine Land zeigen wir schon, dass unsere Teams gut unterwegs sind und unsere Trainer einen guten Job machen. Wir haben ein paar Jungs, die spannend sind.
skysport.de: Ist es dann nicht ein Widerspruch, dass immer wieder österreichische Trainer in der Bundesliga für Aufsehen sorgen, aber Österreichs erfolgreichster Klub RB Salzburg (Trainer Matthias Jaissle) und die Nationalmannschaft von Deutschen (Ralf Rangnick, vorher Franco Foda) trainiert werden?
Stöger: Ich glaube, dass es bei uns in Österreich in vielen Bereichen so ist. Der Prophet im eigenen Land ist nicht so viel wert. Man denkt vielleicht, dass jemand, der eine bestimmte DNA in sich trägt, mehr bewirken kann als jemand, der vier, fünf Jahre Erfahrungen im Ausland gesammelt hat. Wir akzeptieren das so, wie es ist und hoffen, dass sich unser Fußball auf diese Weise weiter gut entwickelt. Die vielen Legionäre, die in ausländischen Ligen spielen, sind irgendwann einmal durch die Hände von österreichischen Trainern gegangen. Ich glaube, wir machen einen ganz guten Job. Und wir hoffen, dass wir von Ralf Rangnick und seiner Erfahrung profitieren.
skysport.de: Zurück zu Oliver Glasner: Was trauen Sie ihm noch zu mit der Eintracht? Oder könnte es sein, dass er irgendwann zu einem größeren Klub wechselt?
Stöger: Das Problem ist, dass in diesem Job alles sehr schnelllebig ist. Dass er als erster Österreicher seit Ernst Happel einen europäischen Titel gewonnen hat, ist eine herausragende Sache. Aber du hast praktisch keine Zeit, diesen Erfolg richtig zu reflektieren und auszukosten. Die Realität, das tägliche Business, hat dich so schnell wieder eingeholt, dass du gar nicht mit dem Denken nachkommst. Als Trainer machst du dein Ding, wirst vielleicht Meister, gewinnst einen Europapokal, manche trinken ein paar Bier, sind happy und ein, zwei Tage mit der Mannschaft unterwegs. Am dritten Tag denkst du dann: Wie schaut die Mannschaft nächstes Jahr aus? Wer verlässt und, wer kommt? Wie sieht die Trainingsplanung aus? Den Erfolg richtig zu genießen ist schwierig. Deswegen ist es auch schwierig zu beantworten, was er noch erreichen kann. Vor der Saison hat er ein paar Spieler verloren, aber er hat den Kader wieder sehr gut hinbekommen. Wenn er mit Frankfurt das Achtelfinale der Champions League erreichen sollte, wäre es ein riesiger Erfolg.
skysport: Nachdem Sie Köln in die Europa League geführt hatten, mussten Sie in der folgenden Saison gehen und haben dann sieben Monate lang in Dortmund gearbeitet. Damals schon wurde immer wieder über fehlende Konstanz gesprochen. Auch Edin Terzic hat aktuell mit dem Problem zu kämpfen, dass seine Mannschaft gute Leistungen nicht über einen längeren Zeitraum abrufen kann. Warum gibt es dieses Problem immer wieder und immer noch beim BVB?
Stöger: Es gab unterschiedliche Trainer und unterschiedliche Spieler, aber das Problem war immer das gleiche. Bevor ich damals beim BVB den Trainerposten übernommen hatte, war die Mannschaft unter Peter Bosz richtig gut in die Saison gestartet, hat aber danach zehn Spiele am Stück nicht mehr gewonnen. Mit mir haben wir dann zehn Spiele in Folge nicht verloren, danach war es hinten raus wieder eng. Man kann es eigentlich nicht erklären. Vielleicht ist die Erwartungshaltung zu groß. Vielleicht ist der Kader nicht so aufgestellt, dass man den FC Bayern irgendwann mal richtig attackieren kann. Vielleicht schafft oder will man es nicht, die besten Spieler zu halten, weil man es sich finanziell nicht leisten kann. Das ist alles zu akzeptieren. Aber dann wird es irgendwann richtig schwer, die Bayern zu attackieren.
skysport.de: Im Sommer hat der BVB Anthony Modeste und Salih Özcan aus Köln geholt. Es wurde viel über Modestes Anlaufschwierigkeiten gesprochen und geschrieben, aber relativ wenig über Özcan, der sich einen Stammplatz im Mittelfeld erarbeitet hat. Sie kennen beide noch aus Köln. Wie beurteilen Sie ihren Entwicklungen?
Stöger: Salih Özcan ist für Dortmund ein Goldgriff. Er hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt und ist ein ehrlicher Junge, der das Spiel liebt. Er arbeitet für die Mannschaft, kann aber auch kicken. Man spricht nicht so viel über ihn, weil er dieses gewisse Glitzermoment nicht hat, und es ihn auch nicht interessiert. Tony Modeste ist ein Spieler mit viel Erfahrung, aber dennoch ist es für einen Stürmer schwieriger als für einen Mittelfeldspieler, sich in eine neue Mannschaft mit einer unterschiedlichen Spielidee hineinzufinden. Dass Salih Özcan eine tragende Rolle spielen wird, da bin ich mir ziemlich sicher. Dass Anthony Modeste seine Tore schießen wird, dass hoffe ich und das glaube ich auch.
skysport.de: Ein anderer ehemaliger Spieler von Ihnen ist Mario Götze. Das Ende Ihrer gemeinsamen Zeit war nicht gerade harmonisch, sagen wir es mal so. Nach einem Europa-League-Spiel gegen Salzburg fühlte er sich von Ihnen ungerecht behandelt, in Ihrem letzten Spiel als BVB-Trainer ließen Sie Götze 90 Minuten lang auf der Bank sitzen. Haben Sie seitdem mal darüber gesprochen?
Stöger: Nein, haben wir nicht. Aber ich schätze Mario Götze sehr und freue mich über seine Entwicklung. Als ich nach Dortmund kam, hatte er gesundheitliche Probleme. Heute wirkt er fit und vollkommen durchtrainiert. Er ist wahrscheinlich der beste Passspieler, wenn er Raum und Zeit hat. Damals in Dortmund war er nicht fit und die Mannschaft um ihn herum war nicht gut genug, um ihn unterstützen zu können.
skysport.de: Bei Frankfurts Sieg gegen Marseille war Götze am Mittwoch der Man of the Match. Trauen Sie ihm zu, auch in der Nationalmannschaft noch einmal der Unterschiedsspieler sein zu können?
Stöger: Na klar, warum nicht? Mario war immer sehr fleißig. Deswegen hat es mir damals für ihn so leidgetan, dass die Umsetzung nicht funktioniert hat. Wenn man ihn mit der damaligen Zeit vergleicht, ist das ein gravierender Unterschied. Gottseidank. Wenn Mario fit ist, dann ist er für jede Mannschaft der Unterschiedsspieler, natürlich auch für die deutsche Nationalmannschaft.
skysport.de: Würden Sie ihn mit zur WM nehmen, wenn Sie Hansi Flick wären?
Stöger: Er kann wahrscheinlich besser als jeder andere die Bälle auf die schnellen Jungs durchstecken. Das hat er nicht verlernt. Ich sehe keinen Grund, warum er nicht im Kader stehen und nicht wieder für etwas Außergewöhnliches sorgen könnte.
skysport.de: Mats Hummels war zu Ihrer Dortmunder Zeit gerade beim FC Bayern. Hätten Sie sich damals einen Spieler wie ihn gewünscht? Und was halten Sie von seiner öffentlichen Kritik?
Stöger: Du brauchst in einer Mannschaft zwei, drei von Jungs wie ihm, die mal anecken und Klartext reden. Er muss natürlich auch mit seinen Leistungen vorangehen, aber solche Spieler sind für eine in sich stimmige Gruppe total wichtig. Ich habe zwar nie mit ihm zusammengearbeitet, aber ich habe oft gegen ihn gespielt und gedacht: Es wäre cool, wenn du den in deiner Mannschaft hättest. Ich finde super, dass er dort ist, und bin ein Fan von ihm.
syksport.de: Würden Sie Hummels mit zur WM nehmen?
Stöger: Der WM-Kader besteht aus 26 Spielern. Da sollte ein Platz für ihn dabei sein. Am Ende ist es eine Entscheidung, die Hansi Flick treffen muss. Er muss wissen, wie wichtig ihm die Struktur in der Mannschaft ist und ob er ihn dabeihaben möchte. Vom Sportlichen her gibt es keine zwei Meinungen.
Das Interview führte Thorsten Mesch
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.