Fehlschüsse und Abwehr-Chaos: Flick bleiben nur sechs Tage
08.04.2021 | 23:19 Uhr
Der FC Bayern steht nach der 2:3-Niederlage gegen PSG für das Rückspiel gehörig unter Druck. Um die Chancen aufs Halbfinale zu wahren, muss sich Hansi Flick allerdings einiges einfallen lassen. Das Hinspiel hat große Defizite offenbart.
Es gibt Tage, an denen soll es einfach nicht sein. So auch am Mittwoch. Die Münchner spielten sich um den Kasten der Pariser schwindelig, doch die zwei Treffer, die per se nicht schlecht gegen ein Team wie das von Mauricio Pochettino sind, reichten einfach nicht. Zumindest gemessen an den Chancen, die sich der deutsche Rekordmeister herausspielte.
31 - in Worten: einunddreißig - Mal schossen die Bayern auf den Kasten von Keylor Navas. Zu so vielen Abschlüssen kam die Flick-Elf in dieser Saison lediglich beim 4:0-Erfolg gegen den FC Schalke zum Rückrundenauftakt in der Bundesliga. Dass es bei dieser Anzahl von Schüssen lediglich zwei Mal klingelte, lag zum einen am starken Schlussmann der Franzosen, ebenso allerdings an der Chancenverwertung der Münchner.
"Vor dem Tor war es nicht so entschlossen, wie wir das normal können. Die Effizienz war nicht gut", monierte Flick nach der Partie am Sky Mikro. Nicht jedoch, ohne auf die insgesamt starke Leistung seines Teams einzugehen: "Aber trotzdem bin ich mit der Leistung der Mannschaft sehr zufrieden. [...] Die Art und Weise wie wir Fußball gespielt haben, war beeindruckend."
In der Tat dominierte der Bundesligist das Spiel und hielt die Zügel meist in der Hand. 64 Prozent Ballbesitz und eine Zweikampfquote von 56 Prozent sprechen eine deutliche Sprache. Doch vor dem gegnerischen Kasten fand der tolle Hurra-Fußball dann sein Ende.
So ganz überraschend kommt das nicht. Mit Robert Lewandowski, der derzeit eine Bänderverletzung im Knie auskuriert, fällt der derzeit wahrscheinlich beste Stürmer der Welt aus. Bisher kommt der Pole auf 42 Saison-Treffer in 36 Pflichtspielen für die Bayern. Die wandelnde Torgarantie fehlte den kreativen Bayern als letzte Anspielstation eindeutig.
Ersatzmann Eric Maxim Choupo-Moting machte seinen Job nicht schlecht. Der ehemalige PSG-Profi forderte seine alten Teamkollegen, setze gleich in der zweiten Minute einen Ball an die Latte und war später mit dem 2:1-Anschlusstreffer per Kopf zur Stelle. Doch auch der 32-Jährige ließ wie Leon Goretzka, Joshua Kimmich oder Leroy Sane verheißungsvolle Chancen liegen.
Neben Lewandowski fehlt mit Serge Gnabry eine Alternative zu Choupo-Moting. Der deutsche Nationalspieler ist nach Lewandowksi und Müller Top-Torjäger des FCB und im Offensiv-Spiel von Flick eine wichtige Säule. Alleine kann Choupo-Moting das Fehlen dieses Duos nicht kompensieren. Spieler wie Sane oder Kingsley Coman müssen mehr Zug zum Tor und Selbstvertrauen im Abschluss entwickeln. Denn: Lewandowski und Gnabry werden wohl auch beim Rückspiel fehlen.
Bei Lewandowski herrscht traurige Gewissheit. Der Angreifer erklärte am Rande des Spiels im Sky Interview, dass er für das zweite Viertelfinalspiel noch keine Option sei: "Das ist zu früh. Ich mache alles, um wieder auf den Platz zu kommen. Aber nur, wenn ich mich wirklich gut fühle und mir mit meiner Gesundheit sicher bin."
Im Fall Gnabry ist eine Prognose nur schwer zu treffen. Der 25-Jährige wurde am Dienstag positiv auf das Coronavirus getestet. Ein Einsatz gegen die Franzosen hängt davon ab, wann das Virus nicht mehr bei dem Angreifer nachweisbar ist. Zudem muss die Schwere des Krankheitsverlaufs mit einbezogen werden. Bleibt es bei Gnabrys "Halsschmerzen", von denen Flick sprach, ist eine schnelle Rückkehr auf dem Platz nicht unwahrscheinlich. Für das am nächsten Dienstag stattfindende Rückspiel wird es aber in jedem Fall eng.
Zusätzlich müssen sich die Münchner noch um Niklas Süle und Leon Goretzka Gedanken machen. Beide wurden während des Spiels mit muskulären Problemen ausgewechselt, was der wilden Partie zusätzlich Unruhe verlieh. "Mit den Ausfällen von Goretzka und Süle während des Spiels haben wir nicht gerechnet", erklärte Müller nach der Partie, der dennoch genug Qualität im Team sieht.
Damit machen die Bayern sich um ein Duo Sorgen, das sonst für Stabilität und Struktur sorgt. Attribute, die der bayrischen Abwehr am Mitttwoch überwiegend fehlten. Bei Gegentreffer Nummer eins zögert Süle zu lange mit dem attackieren, ehe Neuer auch noch patzte, beim zweiten Tor rannte die gesamte Abwehr vom eigenen Tor weg und beim 3:2-Endstand ließ sich Boateng auf ein Spielchen mit Mbappe ein, dass er verlor.
Auch abseits der Treffer machte die Defensive zu keiner Zeit einen wirklich sicheren Eindruck. Dass PSG dann auch noch 50 Prozent der eigenen Torschüsse umsetzte, während die Bayern selbst am Tor verzweifelten, passt zum bitteren Abend.
"Beim ersten Tor sind die Abstände in der Abwehr viel zu groß. Die Lücken sind viel zu groß. Wenn ein Neymar dazwischen geht und Süle sich dazu entscheidet, rüber zu laufen...", analysiert Sky Experte Erik Meyer. "Beim zweiten Tor rennen alle raus, nur Süle hat den Kopf unten und achtet nicht auf den Gegner. Das ist vogelwild. 50 Gegentore in 42 Spielen, das ist nicht FC Bayern München."
Diese "vogelwilde" Abwehr muss Flick schnellstens in den Griff bekommen. Kylian Mbappe, Neymar und Angel di Maria haben bereits bewiesen, dass sie Fehler eiskalt nutzen. Umso wichtiger, dem Weltklasse-Trio Konterchancen und Lücken in der Abwehr nicht auf dem Silbertablett zu servieren.
Personaloptionen hat Flick dafür nicht sonderlich viele. Zur Konterabsicherung würde sich ein Startelf-Einsatz von Alphonso Davies für Lucas Hernandez auf der linken Seite anbieten. Davies ist mit einem Top-Speed von 36 km/h ähnlich schnell wie das PSG-Gespann - Hernandez kommt auf stabile 33,5 km/h. Nicht schlecht, aber kein Spitzenwert.
Zudem könnte Flick darüber Nachdenken, die Innenverteidigung umzubauen. Der angeschlagene und glücklose Süle könnte von Beginn an Platz für Boateng machen. Auch Hernandez könnte bei einem Davies-Einsatz im Zentrum spielen. Offensiv wiederum stellt sich das Team von selbst aus. Hier könnte Flick lediglich mit Jamal Musiala ein wenig frischen Wind hineinbringen.
In jedem Fall muss sich in der Defensive mindestens an der Ordnung etwas ändern. Der Trainer muss seine Spieler wachrütteln und die Struktur in die Abwehr bringen, an der es eigentlich schon die ganze Saison über mangelt. Vorne reicht mehr Kaltschnäuzigkeit, um der ebenfalls wackligen Hintermannschaft von PSG weh zu tun. Zeit für Experimente bleibt aber eigentlich nicht. Flick hat nur noch sechs Tage, um sein Team zu sammeln.