Ernüchterung statt Euphorie: Die sieben "E" der Ära Flick
18.06.2023 | 15:00 Uhr
Nach den letzten Misserfolgen steigt der Druck auf den Bundestrainer. Der letzte Test vor der Sommerpause gegen Kolumbien am Dienstag hat mit Blick auf die Heim-EM besondere Bedeutung. Das betont auch DFB-Sportdirektor Rudi Völler. Skysport.de blickt auf Flicks Arbeit und zeichnet ein Stimmungsbild.
Flick hatte mit acht Siegen nacheinander einen Rekordstart als Bundestrainer hingelegt. Die Gegner waren zwar von überschaubarer Qualität (Liechtenstein, Armenien (je zweimal), Island, Rumänien, Nordmazedonien und Israel), aber nach dem zähen Ende der Ära Löw schien die Nationalmannschaft auf dem Weg der Besserung zu sein.
Doch nach dem Startrekord gelangen in den weiteren 15 Spielen nur noch vier Siege. Das 0:1 in Warschau gegen Polen am Freitag war die elfte sieglose Partie.
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Die anfängliche Euphorie ist schon lange verfolgen, es herrscht Ernüchterung. Das Verpassen der Finalrunde der Nations League war noch ein leicht zu verschmerzender Schönheitsfehler.
Die WM in Katar war der erste Härtetest für Flicks Team, das gleich den Auftakt verpatzte. Der Bundestrainer geriet durch seine Aufstellung und seine Auswechslungen in die Kritik. Das Vorrunden-Aus war die erste große Enttäuschung seiner Amtszeit. Seitdem hat sich nichts zum Guten gewendet.
Nach dem 3:3 gegen die Ukraine und der Niederlage in Polen ist das Spiel gegen Kolumbien am Dienstag für Flick und für seine Mannschaft besonders wichtig für die Weichenstellung mit Blick auf die Heim-EM im kommenden Jahr.
Auf die Nachfrage von Sky Reporter Florian Plettenberg, ob er ausschließe, dass Flick selbst hinwerfen könnte, antwortete er: "natürlich".
Er sei "überzeugt, dass wir am Dienstag eine Top-Leistung bringen und uns verbessern werden", ergänzte Völler.
Auf der Suche nach Stabilität in der Defensive hat Flick in 23 Spielen 20 (!) verschiedene Abwehr-Formationen ausprobiert. Anstatt den Leistungsträgern die Gelegenheit zu geben sich einzuspielen, gab der Bundestrainer im März Antonio Rüdiger eine Pause, im aktuellen Kader fehlt Niklas Süle. Statt Spieler aufzustellen, die in ihren Vereinen zu den Stammkräften und Leistungsträgern zählen, ließ er David Raum oder Thilo Kehrer auflaufen. Das sorgte für Diskussionen.
"Wenn du als Trainer Ruhe haben willst, musst du so aufstellen, wie du es sagst", schrieb Lothar Matthäus in seiner Sky Kolumne: „Flick will die besten Spieler spielen lassen, die performen, die ihre Leistung bringen, die in ihrem Verein Stammspieler sind. Wenn er das aber so nicht umsetzt, macht er sich angreifbar.
Beim 3:3 gegen die Ukraine funktionierte die Dreierkette - wieder einmal - nicht. Im Mittelfeld zog er Joshua Kimmich vor und beorderte Leon Goretzka auf die Sechs. Auch das klappte nicht - und sorgte bei Sky Experte Matthäus für Unverständnis: "Warum reiße ich etwas auseinander, was über Jahre in München erfolgreich funktioniert hat, nur weil ich etwas Neues ausprobieren will?"
Dass die anhaltende unbefriedigende Situation Flick beschäftigt, ist ihm anzumerken. An Seitenlinie machte er zuletzt bisweilen einen eher phlegmatischen Eindruck. Auf Pressekonferenzen wirkte er hingegen dünnhäutig, reagierte bei Kritik häufig mit Rückfragen und schoss mit seiner Brandrede für Joshua Kimmich und dem Vergleich mit den Basketball-Legenden Bryant und Jordan über das Ziel hinaus.
Von Vorfreude ist ein Jahr vor dem Beginn der EM im eigenen Land nichts zu spüren. Für das Spiel gegen Kolumbien am Dienstag in Gelsenkirchen gibt es noch 10.000 Karten.
Es sei bisher noch nicht gelungen, die Euphorie für das Heim-Turnier zu entfachen, räumte Völler am Sonntag ein, blickte aber positiv in die Zukunft: "Wir wollen unsere Spiele gewinnen, die Menschen begeistern und ihnen zeigen, dass sie auf uns bauen können."
Wenn der Flick es aber nicht schafft, die Nationalmannschaft weg von ihrem Schlingerkurs und wieder in die Erfolgsspur zu führen, droht im kommenden Sommer die nächste große Enttäuschung oder im schlimmsten Fall - sollte sich das WM-Debakel wiederholen - das blanke ENTSETZEN.