DFB-Team in der Krise: Die Nationalmannschaft bewegt nicht mehr
Wieso sich niemand mehr für die Nationalmannschaft interessiert
23.06.2023 | 15:14 Uhr
Am 13. Juli 2014 reckte ein blutender Bastian Schweinsteiger den WM-Pokal in den Nachthimmel des Maracana. "Wir sind wieder wer", so die allgemeine Gemütslage. Neun Jahre später scheint das Interesse für die DFB-Elf auf einem Rekordtief zu sein. Aber wieso eigentlich? Eine Spurensuche.
Es herrscht Krisenstimmung in der deutschen Nationalmannschaft. Bei der jüngsten Niederlage gegen Kolumbien zeigten die Klimaaktivisten, die zwischenzeitlich auf das Feld stürmten, noch am meisten Engagement aus deutschen Reihen. Nach dreierlei verpatzten Testspielen und nur noch einem Jahr bis zur Heim-EM sind auch die fußballinteressierten Deutschen restlos genervt von der Leistung des DFB-Teams.
Zuschauerzahlen und TV-Quoten sprechen Bände
Seit Jahren schwindet das allgemeine Interesse für die Nationalelf: Die Zuschauerzahlen bei Länderspielen sind seit Langem dürftig und die TV-Quoten miserabel. Bei den zurückliegenden Spielen wurden die Spieler teilweise bereits zur Halbzeit ausgepfiffen. Die deutsche Nationalmannschaft scheint in der Bundesrepublik immer weniger Menschen zu interessieren. Woran liegt das?
"Wir wollen eine Euphorie aufbauen, das ist uns bislang noch nicht gelungen", konstatierte auch DFB-Sportdirektor Rudi Völler auf der Pressekonferenz vor dem Test gegen Kolumbien. Wie man die Fans zurückholt? Völlers Masterplan lautet: mit öffentlichen Trainingseinheiten und "ein paar anderen Kleinigkeiten" - vor allem aber mit Leistung. Und die könnte derzeit nicht schlechter sein. Mit dem letzten Sieglos-Spiel ist DFB-Coach Hansi Flick nun der zweitschlechteste Nationaltrainer der Geschichte: Ihm steht ein Punkteschnitt von 1,79 zu Buche. Dabei ging der Negativstrudel der deutschen Nationalmannschaft schon deutlich früher los und über die Ära Flick hinaus.
Die letzten Turniere verliefen katastrophal
Mit dem deutschen Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland wurde die deutsche Nationalmannschaft abrupt aus dem vier Jahre andauernden Sieges-Delirium gerissen. Zwei Jahre zuvor war man bei der Europameisterschaft immerhin erst im Halbfinale gegen das wohl beste Team des Turniers (Frankreich) rausgeflogen. Seitdem ging es nur noch bergab - sowohl auf die Leistung als auch auf das kollektive Interesse bezogen. Bei der EM 2021 stolperte die Nationalelf durch die Vorrunde, um nur ein Spiel später im Achtelfinale an England zu scheitern. Bei der WM in Katar im vergangenen Jahr war sogar bereits in der Vorrunde Schluss.
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Irgendwann auf dem Weg durch die Jahre war die deutsche Nationalmannschaft plötzlich: egal. Das dürfte verschiedene Gründe haben. Die Wurzel allen Übels war wohl der einsetzende Misserfolg, hinzu kamen mehrere Faktoren, die wechselseitig zur Abwärtsspirale der schwachen Leistung der DFB-Elf und dem stetigen Wegdriften der deutschen Anhängerschaft geführt haben. Je schlechter Deutschland spielte, desto mehr sank das Interesse. Im Jahr 2018 nahm das Schicksal seinen Lauf.
Das DFB-Debakel um die Causa Özil
13. Mai 2018 traf sich Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und posierte mit seinem Nationalmannschaftskollegen Ilkay Gündogan für ein Foto. Die Instrumentalisierung für den Wahlkampf des autoritären Staatsoberhaupts sorgte in der deutschen Öffentlichkeit für eine Welle der Kritik. Gündogan entschuldigte sich schnell für das Auftreten, Özil wahrte hingegen lange sein Schweigen und fiel bei den deutschen Fans in Ungnade. Am 22. Juli 2018 verkündete Özil seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft.
Als willkommener Sündenbock wurde der gebürtige Gelsenkirchener prompt als Hauptschuldiger für das WM-Debakel ausgemacht. Er habe ja ohnehin nie die Nationalhymne mitgesungen, so der leidige Vorwurf einiger denkfaulerer Fans. Der DFB selbst verpasste es lange, sich in der Causa klar zu positionieren und goss vielmehr Benzin in das Feuer des lodernden Shitstorms, als seinen Schützling zu verteidigen. Am Ende gingen alle als Verlierer heraus und der Samen der Missgunst gegenüber dem DFB war gesät.
Die Nations League und die Inflation der Länderspiele
Noch im selben Jahr wurde ein neuer Wettbewerb aus dem Boden gestampft, der von Jürgen Klopp später als "der sinnloseste Wettbewerb in der Welt des Fußballs" bezeichnet wurde: Die UEFA Nations League war geboren und mit ihr ein weiterer Sargnagel in der bundesdeutschen Nationalmannschafts-Euphorie. Im Kanon kritisierten Trainer und Verantwortliche den Wettbewerb als ausschließlich finanziell motiviert.
Die Nations League kratzt am Nullpunkt der sportlichen Bedeutung und ist ein weiteres Symptom der pervertierten Kommerzialisierung des Profifußballs, so der Tenor der Fans. Die Folge: Die Inflation an Länderspielen minderte den Wert eines solchen an sich. Proportional zu den Mehreinnahmen der UEFA schien das Interesse der Zuschauer zu sinken. Länderspiele, das sind doch die nervigen Pausen zwischen der Bundesliga, oder? Und der große Bruder der UEFA tat sein Übriges: die FIFA.
Die Weltmeisterschaften in Russland und Katar
Wenn die allgemeine Empörungswelle in Russland auch noch weitestgehend ausblieb, so fiel sie im Vorfeld der WM in Katar um ein Vielfaches in die deutsche Debatte ein. Die Vergabe der Weltmeisterschaft in Länder, in denen nicht nur das runde Leder, sondern vor allem Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wurde zurecht vielfach kritisiert und brachte auch den DFB in die Bringschuld. Und mit ihm seine Repräsentanten auf dem Feld.
Die "One-Love-Binde", die bereits ein Kompromiss war, wurde in Katar von der FIFA verboten, die Nationalmannschaft reagierte - beziehungsweise hielt sich vor dem Auftaktspiel gegen Japan den Mund zu. Das Gros der Zuschauer versuchte sich an einer Interpretation der Aktion und quittierte sie letztlich als peinliche Nicht-Positionierung. Es war nicht die erste (Marketing-)Aktion, mit der der Deutsche Fußball-Bund frontal gegen die Wand fuhr.
Die Mannschaft "Die Mannschaft"
Im Juni 2015 stellte der DFB ein neues Logo vor, mit dem sich die Nationalmannschaft unter dem Slogan "Die Mannschaft" schmücken sollte. Für viele Anhänger ein weiterer Schritt in Richtung Kommerzialisierung und versuchter Markenbildung - am Fan vorbei. "Die Mannschaft" wirkte mehr wie ein unangenehm aufdringliches Start-Up als eine, nun ja, Mannschaft. Im Juli 2022 begrab der DFB aufgrund anhaltender Kritik den Namen. Der Ruf der Unnahbarkeit bleibt weiterhin.
In der Zwischenzeit verließen immer mehr Helden von 2014 die Nationalmannschaft und immer weniger erinnerten noch an den einstigen Erfolg: Die DFB-Elf verlor Identifikationsfiguren. Aktuell gibt es mit Robin Gosens, Niclas Füllkrug und Leon Goretzka zwar wieder Spieler im Kader, die mit einer positiven Nonchalance einem reflektierten Auftreten - auch abseits des Platzes - große Sympathien auf sich vereinen. Die ersten beiden sind unter Flick allerdings nicht gesetzt und Goretzka alleine scheint das Image-Ruder nicht herumreißen zu können. Wobei es die Deutschen einem dabei auch traditionell nicht einfach machen.
Die mangelnde Anerkennung der eigenen Stars
Wenn jedes Volk die Regierung hat, die es verdient, hat dann auch jedes Volk die Nationalmannschaft, die es verdient? Ist es letztlich vielleicht auch eine deutsche Eigenart, mit den eigenen Stars besonders hart ins Gericht zu gehen? Ein Gefallen am Scheitern und öffentlichen Zurschaustellen? Deutsche Nationalspieler, die im Ausland verehrt werden, haben hierzulande häufig nie die adäquate Wertschätzung erhalten. Warum sollten sich Spieler wie Mesut Özil, Toni Kroos oder Ilkay Gündogan für die DFB-Elf "zerreißen", wenn die höchst mögliche Honorierung ohnehin nur ein müdes "Na geht doch" ist?
Der DFB und die deutsche Nationalmannschaft stehen in der Außenwirkung so schlecht da wie schon lange nicht. Sportdirektor Rudi Völler verkörpert mit seiner saloppen Rückwärtsgewandtheit einen Typus, der gerade bei jüngeren Fans nicht mehr verfängt. DFB-Präsident Bernd Neuendorf wird seiner Rolle als Repräsentant der Nationalmannschaft bislang kaum gerecht und Hansi Flick hat die Vorschusslorbeeren aus seiner Zeit beim FC Bayern mittlerweile endgültig verspielt. Und bislang hat der DFB kein erkennbares Konzept vorgelegt, dass in absehbarer Zeit das zerrüttete Verhältnis zwischen Fans und Mannschaft wieder verbessern könnte.
Kommt mit dem Erfolg die Wende?
Die Pfiffe müsse man aushalten, so Völler und bis zu einem gewissen Grad muss sich die deutsche Nationalmannschaft fast schon glücklich schätzen, dass überhaupt noch jemand pfeift. Das bedeutet schließlich, dass die DFB-Elf immerhin noch eine Regung auslöst. Aber was, wenn irgendwann nicht mal mehr jemand pfeift? Wenn auf den Missmut nur noch die Gleichgültigkeit folgt?
"Sobald wir zeigen, was in uns steckt, wenn die Spieler zeigen, was sie können, mit welcher Hingabe sie Spiele umbiegen wollen, sind die Zuschauer doch sofort wieder auf unserer Seite", erklärte Völler selbstaffirmativ und klang dabei mehr hoffend als wissend. Womöglich hat er damit aber Recht. Am Ende übertrumpft simpler Erfolg wohl doch die unglücklichste Außendarstellung. Wenn es die deutsche Nationalmannschaft schafft, ihren Kampfgeist und in letzter Instanz auch den Erfolg zurückzugewinnen, dann wird wohl niemand mehr über missratene Freundschaftsspiele reden. Und welchen besseren Zeitpunkt gäbe es dafür als eine Europameisterschaft im eigenen Land?
Für alle, die sich darauf nicht verlassen wollen und unterdessen schon mitreißenden und leidenschaftlichen Fußball sehen möchten: Am 24. Juli startet die deutsche Nationalmannschaft der Frauen in die Weltmeisterschaft.
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